Hunger und Verwüstung in Glarus
Der Gemeinderat von Glarus:
«Wir schicken unsere Kinder auf die Wiesen, um sich neben den Unvernünftigen mit Kräutern zu ernähren.»
Pfarrer Johann Rudolf Steinmüller in Gais, Sohn eines Glarner Lehrers, schrieb am 17.Okttober 1799 an seinen Freund, Hans Konrad Escher:
«Letzte Woche durchreiste ich den unglücklichen Linth-Kanton und betrachtete mit Tränen in den Augen die greulichen Verwüstungen. Ganze Strecken von Waldungen sind umgehauen, die meisten Viehställe zerrissen und ohne Heu, die Wiesen und Äcker verwüstet und alle Brücken abgebrannt. Die Baumwollenspinnerei steht still; die Lebensmittel sind teuer und sehr viele Bürger sind von Österreichern, Russen oder Franzosen ausgeplündert worden. Es gibt beinahe kein ebenes Plätzchen, das nicht im Krieg getötete Menschen in sich verschlossen hielte. Unsere Liebe Heimat istein Totenacker geworden. Den Eingang in unsere Berge und Täler sollte man mit Zypressen und Trauerweiden bepflanzen und auf Denksäulen schreiben: Dies war die Schweiz !»
Bettelnde Landammänner und ein tapferer Ratsherr
Georg Müller, gegen Ende September 1799, an seinen Bruder:
«Vor einigen Tagen kam Landammann Müller von Glarus zu Seckelmeister Stokar (in Schaffhausen) und bat - um ein Hemd, um Schuhe oder einen alten Rock! Auch Landammann Weber von Schwyz ist in nicht viel besseren Umständen hier gewesen. Ratsherr Weidmann von Einsiedeln, der zu mir kam, um ein Almosen zu holen, hat mich zu Tränen gerührt. Dieser schöne, wohlgewachsene Schweizer erzählte, ohne ein Wort zu klagen oder zu jammern, wie die Franzosen sein Haus ausgeplündert hätten, daß er aber auch als Hauptmann bei Morgarten, in Unterwalden und neulich in Glarusgegen sie gestritten und nun hingehen wolle, um bei erster Gelegenheit mit seinen Landsleuten wiederum gegen sie zu fechten. Er war ungemein gerührt, als er Abschied nahm, und ich auch. O, das sind herrliche Menschen !»
Von den Leiden im östlichen Mittellande
Ende Juli 1799 beschwerten sich einige zürcherische Gemeinden beim heivetischen Direktorium:
«Nachts um 10 Uhr fielen französische Husaren in unsere Hütten. Sie erbrachen sämtliche Wohngebäude und alle Kisten und Kästen, nahmen, was sich in ihnen befand, und machten das nicht Passende unbrauchbar. Die Leintücher zerrissen sie; viele Betten schnitten sie auf und leerten die Federn aus. Der Hausrat ist weg. Drei bis vier Familien müssen in einer Pfanne kochen. Einem Richter forderten sie, mit der Flinte auf der Brust, Geld ab; den Bürgern entrissen oder zerstreuten sie beinahe alle Schriften, so Tausch-, Kauf- und Gültbriefe. Auch raubten sie nachts das meiste Vieh aus den Ställen. Pflüge, Wagen und Karren führten sie weg, um die Eisenteile zu bekommen. Sie verbrannten Frucht- und Eichbäume, beraubten die Tannen der Rinde, so daß ganze Wälder zugrunde gerichtet sind. Kirschbäume, welche die Franzosen nicht besteigen konnten, hieben sie nieder, um die Kirschen bequemer pflücken zu können.
Als sich in Siebnen zwei Bauern den Untaten Widersetzen wollten, schossen Soldaten sie über den Haufen»
Aus einem Briefe Georg Müllers vom 2. Oktober 1799 an seinen Bruder:
Wo die Russen stehen, da ist nicht nur kein Erdapfel, kein Apfel, keine Birne und keine Traube mehr vorhanden, sondern sie richten überdies mutwilligerweise die Reben und die Bäume dergestalt zugrunde, daß auch aufs künftige Jahr an vielen Orten der Herbst größtenteils dahin ist. In den Dörfern und auf den Landgütern wird Nacht um Nacht geplündert. Es könnte leicht zu einem allgemeinen Aufstand gegen diese Räuberhorde kommen. Hätte man uns die Wahl gelassen zwischen ihnen und einem Heuschreekenschwarm » ich glaube, wir hätten den letztern vorgezogen. Das Elend auf dem Lande geht über alle Beschreibung.
Vorgestern forderten sie plötzlich von unserer Stadt 40‘000 dreipfündige Brote, bis auf den folgenden Mittag zu liefern, mit dem Troste, die Franzosen taten das auch! Heute verlangen sie Branntwein und Fleisch. Kurz, wir leiden unter der Geißel einer der schwersten Landplagen. Das Leben wird einem zur Last, und es besteht keine Hoffnung, daß wir es bald wieder mit Freuden genießen werden. - O, wie glücklich sind die, die vor diesem Jammer zur ewigen Ruhe gekommen sind.»
Ein Mitglied des Großen Rates schildert die Zustände im St. Gallischen:«Hausväter, Fabrikanten, die vor zwei Jahren noch zehn, zwanzig und mehr Arbeiter beschäftigten und ebenso viele Familien ernährten,findet man heute mit Weib und Kindern vor den Türen anderer heulend um Brot bitten. Andere, einst ebenso Wohlhabende, fluchen ihrem Schicksal und denen, die es bereitet haben.››Der Regierungsstatthalter des Kantons Thurgau klagte:«Die Forderungen der fremden Heere gehen ins Unendliche. Der Holzaufwand übersteigt alle Begriffe; ganze Waldungen sind schon niedergehauen. An manchen Orten wird die Reihe bald an die Obstbäume kommen. Die Fuhrungen nach Zürich, Basel und oft noch weiter kosten großeSummen und ruinieren die Gemeinden; denn es gehen viele Pferde zuschanden. Die Annen finden keine Unterstützung. Blaß und abgezehrt schleichen ganze Scharen durch die Gassen. Sie starren einen an, gleichgültig, ob man ihnen gebe oder nicht. Sie lachen nicht und weinen nicht.Ganze Haushaltungen wandern aus. Wohin? Allenthalben ins Elend»
Freundeidgenössische Hilfe
Da in den Waldstätten die Not besonders groß war, erließ ein wackerer Schweizer einen «Aufruf zum Erbarmen». Er verhallte nicht ungehört. Überall bildeten sich Vereine, die zu sammeln begannen. Bald sah man aus den Gegenden, die der Krieg verschont hatte, gewaltige Frachtwagen mit Lebensmitteln, Hausgeräten, Bett- und Kleidungsstücken wegrollen und den Weg in die Innerschweiz einschlagen. Zudem richteten diese Hilfsgesellschaften in den verwüsteten Dörfern Küchen und Speiseanstalten ein, in denen die Notleidenden Suppe erhielten. Es war ergreifend, wenn man diese Ärmsten Ställe und Keller, in denen sie hausten, verlassen und nach der Speisung wieder aufsuchen sah.
Die westlichen Kantone nahmen Scharen von Kindern aus den Hungergebieten auf. Die Kinder wurden in Wagen an ihre Bestimmungsorte gebracht. Dann setzte die Verteilung ein. Hierüber berichtet ein Zeitgenosse:
«Da stand so ein Haufen Kinder halbnackt auf der Straße oder dem Marktplatz. Die mildtätigen Einwohner kamen, nahmen hier ein Kind, da ein Kind an die Hand und führten es mit sich nach Hause. Allmählich sich vermindernd, zogen die übrigen weiter, bis alle versorgt waren.»
Die Reise Napoleons durch die Schweiz
Wie erging es der Schweiz in der Zeit Napoleons? Wie behandelte er sie? Napoleon lernte, zwei Jahre bevor er Erster Konsul wurde, unser Land kennen. lm November 1797 reiste er nämlich von Italien über Genf, Lausanne, Bern und Basel nach Deutschland. In Lausanne traf er um 1 Uhr nachts in einer von acht Pferden bespannten Kutsche ein. Die Stadt war illuminiert. Zwei Kampanien versahen den Ehrendienst. Die zusammengeströmte Volksmenge jubelte: «Es lebe Bonaparte! Es lebe der Freiheitsheld! Es lebe der Retter Frankreichs und ltaliens!» Seine Kutsche hielt an. Fenster und Türen öffneten sich; aber Napoleon stieg nicht aus. Ehrenjungfrauen überreichten ihm Gedichte, Blumen und Kränze. Der bernische Landvogt von Lausanne trat an den Wagenschlag und begrüßte den Gefeierten. Dieser dankte mit einigen raschen Worten, schloß Türen und Fenster, ließ die Pferde wechseln und fuhr weiter. Zwei bernische Ratsherren begleiteten ihn.
Beim Beinhaus von Murten hielten die Wagen an. Alles stieg aus. Napoleon schaute sich um und murmelte zu einem seiner Begleiter: «Man könnte diese Gegend und ihre Dörfer mit 2000 Mann besetzen,»
Um halb 7 Uhr abends traf er mit seinem Gefolge in Bern ein, von 150 Kanonenschüssen begrüßt. lm Gasthof zum Falken waren die Tische für ihn gedeckt; umsonst. Wie in Lausanne, so mußte ein Ratsherr Napoleon auch hier am Wagenfenster willkommen heißen. Am untern Tor hielt der Zug eine Weile. Da strömte schaulustiges Volk zusammen, aber niemand rief: «Es lebe Bonapartel» Ein neugierige: Landarzt zündete mit seiner Laterne in die Kutsche hinein, um das Gesicht des berühmten Mannes sehen zu können.
Auf der verschneiten Straße nach Fraubrunnen fuhren die Wagen heimkehrenden Bauern vor. Einige von ihnen sollen gegen die Kutsche Napoleons geschrien haben: «Du Donner, ein jeder Schelm bleibe in seinem Lande !»
Die Bewohner Waldenburgs im Baselbiet belegten die Straße, auf der Napoleon daherfuhr, mit Teppichen. Die Stadt Basel empfing ihn wie einen König. Beim festlichen Essen, das sie ihm bot, durfte Peter Ochs an seiner Seite sitzen. «Ich habe ihm daher alles sagen können, was ich auf dem Herzen hatte. Er hat mich mit halben Worten verstanden» So erzählte Ochs später.
In Paris trug Napoleon stark dazu bei, daß die französische Regierung den Entschluß faßte, in die Schweiz einzubrechen und sie auszuplündern. Er konnte ihr Geld brauchen. - jene elf vierspännigen Wagen, die im April 1798 mit einem Teile des bernischen Staatsschatzes die Aarestadt verließen, fuhren nach Lyon und Toulon. Hier nahm der Korse das Geld entgegen. Es diente ihm dazu, die Kosten für einen Feldzug nach Ägypten zu bezahlen.