Hans Konrad Escher wagt den Versuch, einen Traum zu verwirklichen – Es gelingt

Was war zu tun? Konnte man überhaupt etwas tun? - Mathematiker und Ingenieure gaben den Rat, man solle die Linth in den Walensee leiten, dessen Seespiegel senken und die Ebene entsumpfen. Ein Chronist meinte aber: «Ein solcher Plan ist so schwierig und bedenklich, daß wir ihn für einen Traum ansehen»

Gab es Menschen, die mutig genug waren, den Versuch zu wagen, den Traum zu verwirklichen? Ja, es gab solche. Zu ihnen gehörte vor allem Hans Konrad Escher. Einige Jahre vor dem Untergang der Alten Eidgenossenschaft hatte er in der Helvetischen Gesellschaft von den Überschwemmungen in der Linthebene gehört. Er reiste in die Gegend und erschrak ob den Morästen, und das Elend der Bewohner griff ihm ans Herz. <<Welcher Mann, der einen Bruder im Schlamme dahinsinken sieht, fühlt sich nicht gedrungen, ihn zu retten ?» So fragte er.

Im gleichen Jahre, in dem die Schweiz die Mediationsverfassung erhielt (1803), berieten die Tagsatzungsherren, ob man diese Übelstände beheben könne. Sie setzten verschiedene Kommissionen ein und ernannten Escher zu einem der Präsidenten.

Escher gab sich zuerst Rechenschaft, warum es eigentlich zu der unheilvollen Überschwemmung gekommen war. Im 18.Jahrhundert blühte im Glarnerlande die Baumwollindustrie auf. Da brauchte man viel Bau- und Brennholz. Zudem führten die Glarner Holz nach Holland aus. Infolgedessen lichteten sie ihre Wälder zu stark, besonders an den Talhängen.

Bei Unwettern glitten nun große Stein- und Erdmassen in den Fluß. Darum vermochte dieser in den flacheren Gebieten, in denen sein Gefälle abnahm, das Geschiebe nicht mehr wegzuschleppen und trat über die Ufer. So mußten die Bewohner der Ebene unter den Fehlern, welche die Bergler begangen hatten, leiden.

Escher kam, wie schon andere vor ihm, zum Schluß: Man muß die Linth in den Walensee leiten, damit sie dort ihr Geschiebe ablagern kann; hernach gilt es, vom Walen- zum Zürichsee einen möglichst geraden Kanal zu bauen; so verschwinden die unzähligen Schleifen der Linth; im untern Teile der Ebene wird ihr Lauf um mehr als die Hälfte verkürzt; dadurch erhält sie in ihrem neuen Bett ein größeres Gefälle.

Allein wo sollte man das Geld hernehmen? Escher dachte: Es ist notwendig, Grund und Boden in der Linthebene auszumessen und vor und nach der Entsumpfung einzuschätzen. Das gleiche Stück Wiesland, das jetzt 100 Franken wert ist, wird nach der Entwässerung einen viel höheren Wert haben, zum Beispiel 500 Franken. Also soll der Eigentümer an die Kosten des Kanalbaues 400 Franken entrichten, oder man wird das versumpfte Land von den Bauern kaufen, und es später teurer an sie verkaufen. Es zeigte sich jedoch, daß der Mehrerlös lange nicht genügte, um die Kosten zu decken.

Escher übernahm die Leitung des ganzen Werkes. Das brachte ihm eine ungeheure Arbeit: Er mußte die Kanäle abstecken und ihre Tiefe bestimmen; er mußte das Land ankaufen und mit denen, die zu viel forderten oder zu betrügen suchten, Prozesse führen. Er mußte die Tagsatzung, die Kantonsbehörden und Private immer wieder anflehen, Beiträge zu bewilligen und Aktien zu kaufen. Er mußte mit Unternehmern Verträge schließen und ihre Arbeit kontrollieren. ja, er mußte, besonders am Anfang, sich auch mit den einzelnen ungeschickten oder widerspenstigen Arbeitern abmühen. Es kam vor, daß er selbst in Sumpf, Wasser und Schlamm mit Schaufel und Spaten hantierte, wenn die Arbeiter sich beklagten. Nach und nach faßten diese Vertrauen zu ihm und leisteten manches ihm zu Gefallen. Ja, es kam die Zeit, da waren sie ihm so herzlich zugetan, daß sie jeweilen beinahe in ein Jubelgeschrei ausbrachen: «Er kommt, er kommt !››, wenn er sich in weiter Ferne blicken ließ.

An einem unfreundlichen Morgen meinte ein Arbeiter zu ihm: «Herr Präsident, warum bleibt ihr doch in allem Wetter draußen! Wenn ich so ein Herr wäre wie ihr, ich ließe mir's daheim wohl sein.» Escher antwortete: «Darum hat euch wahrscheinlich der Herrgott kein Geld gegeben, weil ihr, wenn ihr reich wäret, nicht mehr arbeiten würdet !»

Viel Interessantes und Ergreifendes vernimmt man aus Eschers Briefen.
Er erzählt zum Beispiel:

«Beim Güterankauf machte ich vor einigen Tagen wieder schlimme Erfahrungen. Unglücklicherweise versuchen die Menschen, die wir aus der elendesten Lage retten wollen, uns zum Dank dafür zu prellen, wo sie nur können. Bisweilen kam mir der Gedanke wegzulaufen. Wenn ich dann aber in der Gegend spaziere und nach Weesen hineinschaue, dann fasse ich beim Anblick dieser Sümpfe allen Mut zusammen und sage mir selbst: «Sie müssen doch weg ! »

Ich lebe hier wie ein wahrer Mönch und Einsiedler. Abends schließe ich mich in meine einsame Zelle ein. Wenn ich in meiner Klause dann die Briefe zähle, die ich schon geschrieben oder noch zu schreiben habe, blicke ich etwa zum Trost an den fernen Albis hinunter und denke: Dort lebt die mir

liebe Welt, die ich verlassen habe. Da ich indessen unaufhörlich beschäftigt bin, schwinden mir Tage und Wochen schnell dahin, und ich bin trotz aller Einsamkeit froh, regsam und gesund, während sonst hier herum das Fieber sich wieder stärker verbreitet als in den letzten Jahren.»

Nach unendlichen Anstrengungen und Mühsalen gelang es Escher, die Hauptarbeit zu Ende zu führen. Daß er das Werk zustande brachte, ist seiner Frau mit zu verdanken. Sie übernahm zu einem guten Teile die Erziehung ihrer fünf Töchter und ihres Sohnes. Deshalb konnte sich ihr Gatte um so besser seiner segensreichen Arbeit widmen.

Im Jahre 1823 starb Escher, noch nicht ganz 56 jährig. Die Nachricht von seinem Tode weckte in der Linthebene, ganz besonders bei seinen ehemaligen Arbeitern, tiefste Trauer. Bald hing sein Bild in den Bauernstuben neben dem Haussegen.

Die Regierung des Kantons Zürich beschloß, die männlichen Nachkommen des verdienten Mannes fortan «Escher von der Linth» zu nennen. Die Tagsatzung ließ eine goldene Denkmünze prägen und der Gattin, dem Sohne und jeder der fünf Töchter Eschers je ein Exemplar überreichen. Zudem

sorgte sie dafür, daß zu Ehren des Verstorbenen an einem Felsen bei der Ziegelbrücke eine marmorne Gedenktafel angebracht wurde mit der Inschrift:

«Ihm danken die Bewohner Gesundheit,
Der Fluß den geordneten Lauf,
Natur und Vaterland hoben sein Gemüt.
Eidgenossen!
Euch sei er ein Vorbild»

 

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