Aus dem Leben und Wirken Heinrich Pestalozzis bis zum September 1798
Die Feuersäulen von Nidwalden hatten so weit ins Land hinaus gestrahlt, daß sogar noch über Aarau der Himmel rot wurde. Kein Bewohner dieser Stadt erschrak hierüber so tief wie ein 52jähriger Mann, namens Heinrich Pestalozzi. Er rannte mit wild zu Berge stehenden Haaren wie ein Verzweifelter in den Straßen der Stadt herum und ließ «sieh nicht aufhalten, geschweige denn etwas zur Beruhigung sagen».
Wer war dieser seltsame Mann?
Er wurde in Zürich als Sohn eines Wund- und Augenarztes geboren. Mit sechs Jahren verlor er seinen Vater. Von seiner Jugendzeit erzählt er: «Ich wurde gehütet wie ein Schaf, das nicht außer den Stall darf. Ich kam nie zu den Knaben meines Alters, kannte keines ihrer Spiele, keine ihrer Übungen, keines ihrer Geheimnisse»
Mit dem Eintritt in die Schule änderte sich nicht viel. Pestalozzi berichtet weiter:
«Ich war in sämtlichen Knabenspielen der ungewandteste und unbehilflichste unter allen meinen Mitschülern. Deshalb trieben einige von ihnen gar oft ihr Gespött mit mir, und einer hängte mir den Beinamen Heiri Wunderli von Torlikon an. Die meisten aber liebten doch meine Gutmütigkeit und Dienstfertigkeit.»
Mit 21 Jahren begab sich Pestalozzi auf das Gut eines bernischen Patriziers. Er wollte sich hier vorbereiten, um Landwirt werden zu können. Hernach kaufte er - größtenteils mit geliehenem Gelde ein Grundstück in der Nähe von Brugg, den Neuhof. Bald darauf heiratete er eine Zürcherin, «die schöne und gelehrte Jungfer Schultheß». Ihre Freundinnen fragten sie nachher, «wie sie nur einen so wüsten Mann habe heiraten mögen». Sie antwortete: «Er hat doch eine schöne Seele.»
Nach wenigen Jahren faßte Pestalozzi den Entschluß, auf seinem Gute eine Anstalt zur Erziehung von armen Kindern zu gründen. Er war überzeugt, daß Liebe die Seele auch «des niedersten Menschen›› erhebe und ihn willig mache, reiner und besser zu werden. Für die Kinder, die er aufnahm und retten wollte, fühlte er ein unendliches Erbarmen. Allein weil es ihm an Geld fehlte, mußte er seine Anstalt eines Tages schließen. Er berichtet hierüber:
«Mein Versuch scheiterte auf eine herzzerschneidende Weise. Meine alten Freunde hielten es beinahe allgemein für ausgemacht, ich werde meine Tage im Spital oder gar im Narrenhause enden.»
Einst versputteten ihn die Kinder, jetzt auch die Erwachsenen. Wenn er vom Neuhof nach Brugg hinüberritt, nannten niederträchtige Leute ihn «Pestilenz» und «Vogelscheu».
Nach der Auflösung seiner Anstalt verfaßte Pestalozzi ein Buch, das rasch berühmt wurde, Es trug den Titel «Lienhard und Gertrud» und weckte die Hoffnung, daß «den Menschen, auch denen der niedersten Volksklasse, geholfen werden» könne. Die damalige preußische Königin schrieb
über dieses Werk:
«Ich lese jetzt «Lienhard und Gertrud». Es ist mir wohl mitten in diesem Schweizer Dorfe. Wäre ich mein eigener Herr, so setzte ich mich in meinen Wagen und rollte zu Pestalozzi in die Schweiz, um dem edlen Mann mit Tränen in den Augen und mit einem Händedruck zu danken. Wie gut meinter‘s mit der Menschheit !»