Sonntag der 4.März – die Regierung dankt ab und die Verwirrung wächst
Morgens um 6 Uhr versammelt sich der Rat. Die Franzosen haben immer wieder beteuert, Frankreich führe nicht gegen das bernische Volk Krieg, sondern einzig und allein gegen die Obrigkeit. Deshalb beantragen einige Mitglieder des Rates, abzudanken und eine provisorische Regierung einzusetzen. Schultheiß von Steiger und seine Freunde wehren sich hiegegen, müssen aber schließlich nachgeben. Der Schultheiß ist tief ergriffen vom Unglück des Vaterlandes. Er steigt von seinem Schultheißenthron herunter und schreitet mit Würde der großen Türe zu. Auf der Schwelle wendet er sich zurück und wirft einen Blick über die versammelten Ratsherren. Sie erheben sich wie auf einen Schlag und erwarten ein Abschiedswort. Allein Steiger hat ihnen nichts mehr zu sagen. Er setzt seinen Gang fort. Vor dem Rathause bemerkt er zu einem Kollegen: «Nun ist mein Platz da, wo die feindlichen Bajonette herandringen.»
Er begibt sich nach Hause - in die Kramgasse -, zieht seine Amtstracht aus und läßt seine Ordonnanz, seinen Botengänger, kommen. Dieser, Christian Dubi, Korporal der Stadtwache, berichtet:
«Um halb 11 Uhr erklärte der Schultheiß, daß er ins Grauholz wolle. Ich mußte in die Stadt hinunter und dem Kutscher Befehl bringen, daß er um halb 2 Uhr beim untern Tore bereit sei. Unmittelbar vorher nahm mich Ihr Gnaden bei Seite und eröffnete mir, er sei gesinnet, draußen bei den Truppen zu sterben. Diesen Ausdruck wiederholte er mir mehrmals, auch im Grauholz. Ich solle Sorge und Acht zu ihm haben, daß er ja nicht von den Franzosen gefangen werde. Nach dem Mittagsmahl langten Ihr Gnaden sowie ein Bruder und sein Tochtermann beim untern Tore an und setzten sich in die Kutsche. Der Kammerdiener und ich stiegen hinten auf. So fuhren wir, von zwei Husaren begleitet, dem Grauholze zu.
Unterwegs, rechts vor dem Schermenhölzlein, befand sich ein Bataillon von Frutigen. Das wollte weder vor- noch rückwärts. Viele drangen auf ihren Major ein, schalten ihn einen Landesverräter und Franzosen und wollten ihn ums Leben bringen. Der Major verteidigte sich und sagte: Sehet, ich will wie einer der Geringsten unter euch sein; ich verlange gar nicht, das Kommando zu behalten, sondern will wie ein Soldat in Reih und Glied fechten. Die drei Herren in der Kutsche stiegen aus, begaben sich zu den Wütenden und vermochten sie endlich zu besänftigen.
Gegen 4 Uhr nachmittags kamen wir im Grauholz an.»
In der Stadt hatte die Unordnung inzwischen zugenommen. Schneidermeister Eggimann, welcher der Friedenspartei anhing, erzählt:
«Am Nachmittag öffnete man das Zeughaus, und wer nur wollte, erhielt Waffen. Doch mußte man versprechen, sie wiederzubringen, wenn die Franken besiegt sein würden. Weiber und Greise eilten herbei, um sich zu bewaffnen. Da sah man alte Weiber und Mägde mit Morgensternen und andere mit Säbeln den Franken den Tod schwören. Ich schmeichelte mir, diese würden nun, da die Regierung zurückgetreten war, sogleich die Feindseligkeit einstellen. Aber ich irrte mich sehr. Die Abdankung diente nur dazu, unsere Kraft noch mehr zu lähmen.
Verschiedene höhere Offiziere eilten nämlich in die Hauptstadt, um neue Befehle zu holen. Ihre Truppen betrachteten das als Verlassen der anvertrauten Posten und empörten sich. So wurden Oberst Stettler und Oberst Ryhner, zwei sehr wackere Männer, unweit der Stadt von ihren eigenen Leuten auf eine schändliche Weise ermordet. Diese Nachricht erfüllte die Herzen aller Rechtschaffenen mit Schrecken und Entsetzen. Man wußte nicht mehr, vor wem man sich am meisten zu fürchten habe, ob vor den Franzosen oder vor den rasenden Bauern.»
Ein Weiterer Augenzeuge schrieb:
«Das Vaterland eilt mit furchtbar schnellen Schritten der politischen Auflösung entgegen. Mit jeder Minute vermehrt sich die Verwirrung. Nicht nur will in diesen so entscheidenden Augenblicken niemand mehr gehorchen, es will auch niemand mehr befehlen.»
Der General wußte, wie übel es stand. So erzählt ein Patrizier (Johann Rudolf von Stürler), der Besitzer des Schlosses und der Schloßgüter zu Jegistorf:
«Sonntag, den 4.März, beritt General von Erlach mit seinen höheren Offizieren die neue Linie. Wir waren als Besitzer der Schlösser Hindelbank und Jegistorf Nachbarn und miteinander bekannt und befreundet. Als er mich an meinem Kantonnementsort in Moosseedorf gewahrte, hielt er an und winkte mir. Ich eilte hinzu. Auf seinen Zügen lag ein Hauch von Wehmut, den ich nie vergessen werde. Er sagte mir, indem er sich über sein Pferd bog, halb leise: <Mein lieber Nachbar, es ist alles verloren; die Regierung hat abgedankt ; die Truppe ist revolutioniert; ich werde das Leben verlieren und, was mich weit mehr bekümmert, die Ehre. Adieu, adieu !› Er schied, und wir sahen uns nicht wieder.»