Greift an ! - Gruft nicht an ! – Das Misstrauen der bernischen Soldaten steigt
Montag, den 26.Februar, erschien General von Erlach mit ungefähr siebzig Oflizieren im Ratssaal zu Bern und hielt eine kräftige Rede. Er sagte: Entweder entlaßt mich oder gebt mir Erlaubnis, den Kampf gegen die Franzosen zu eröffnen.
Der Rat faßte den einstimmigen Beschluß: Nach Ablauf des Waffenstillstandes soll der General Vollmacht haben, alles das zu tun, «was er zur Rettung des Vaterlandes für nötig findet››.
Als der General mit seiner Botschaft ins Feld zurückkehrte, erwachte unter der Mannschaft «ein neuer unbegrenzter Mut. Man drückte sich die Hände, man umarmte sich, und man hörte von allen Seiten: Gottlob, endlich ein Entschluß ! nun wird alles gut gehen.»
Donnerstag, den 1.März, abends um 10 Uhr, ging der Waffenstillstand zu Ende. Ein patrizischer Scharfschützenleutnant, der mit seinen Soldaten in Greng bei Murten postiert war, berichtet über diesen Donnerstag und den folgenden Morgen:
«Den ganzen Tag über strömten die jungen Leute von allen Seiten zur Armee. Keiner wollte zu Hause bleiben. P., D., S., G. stellten sich als Freiwillige unter unsere Scharfschützen. Unter freudig banger Erwartung rückte der Abend heran. Hier war eine Gruppe Soldaten, die nach Art der alten Schweizer laut beteten. Dort eine, welche die aus geteilten Lieder sangen und sich untereinander schwuren, zu siegen oder zu sterben. Wir zweifelten nicht mehr, daß auf diesen schönen Abend eine für die Feinde verderbliche und für uns ruhmvolle Nacht folgen würde. Schlag 10 Uhr sollten wir auf allen Seiten losbrechen. Der Landsturm, das Brennen aller Wachtfeuer, das Läuten aller Glocken im ganzen Lande sollte das allgemeine Zeichen sein.
Aber das Schicksal hatte es anders verhängt! Es hatte eben 8 geschlagen. Die Offiziere des ganzen Postens waren in dem Saale des Schlosses Greng versammelt. Wir letzten uns bei einem traulichen Punsch, als eine Ordonnanz uns die Nachricht brachte, es halte ein Wagen mit Abgeordneten aus Bern vor der Wache und begehre, nach Payerne zu General Brune durchgelassen zu werden.
Wir waren alle wie niedergedonnert. Keiner vermochte zu sprechen. - Es war nur zu deutlich, daß die Regierung nachgegeben hatte. Gatschet, der Kommandant, eilte hinunter, um das Nähere zu Vernehmen. O Gott ! wir hatten recht geahnt.
Ich war wie gelähmt an allen Gliedern; denn ich sah den unvermeidlichen Ruin meines Vaterlandes. Das Leben war mir eine unerträgliche Last. Einige meiner Kameraden rasten und wollten mit einem Teile des Heeres nach der Hauptstadt, um das Übel an der Wurzel auszurotten. Andere wollten ihre Leute abdanken. Nur mit Mühe konnten die Vernünftigeren die Ruhe bewahren. Bis gegen Mitternacht hatten wir damit zu tun, den verschiedenen Posten den Gegenbefehl mitzuteilen. Endlich legten wir uns nieder. Allein so müde wir auch waren, so ließ uns doch unsere Unruhe keinen Schlaf.
Zwischen 2 und 5 Uhr stürzten plötzlich Soldaten von der Wache in unser Zimmer. Auf! auf ! man hört von der Seite von Büren und Solothurn schrecklich kanonieren ! ganze Dörfer und Städte müssen in Flammen stehen; der Himmel ist fürchterlich rot. Auch sind die Franzosen in Pfauen in Bewegung und verstärken sich.
Ein Strahl der Hoffnung fuhr durch meine Seele. Ich vermutete, die andern Posten hätten den Gegenbefehl zu spät erhalten und angegriffen. In einem Augenblick war alles unter den Waffen.
Jetzt brach der Morgen des 2.März an. Das erste, was wir erblickten, war die Schlachtordnung unserer Feinde, mehr als 2000 Mann stark, keine 6oo Schritte von uns. Wir waren kaum unserer 500, ohne Kanonen; aber keinem fiel ein: sie sind ihrer mehr als wir. Im Gegenteil, nur mit größter Mühe konnten wir unsere Jäger abhalten, Feuer zu geben. Die Erde unter uns erzitterte von dem entfernten Kanonendonner. Wir konnten nicht mehr zweifeln, daß sich unsere Brüder schlugen; aber wir durften nicht losbrechen, weil unsere Gesandten noch nicht zurück waren.»
Ähnliches wie in Greng geschah an jenem Donnerstagabend und in der folgenden Nacht an vielen andern Orten. Überall wirkte der Gegenbefehl nicht kämpfen! - wie eine Betäubung.
Und als nun die Franzosen angriffen, gab das den bernischen Soldaten zu denken. Merkwürdig, so sagten sie, im gleichen Augenblick, in dem wir das Schwert in die Scheide stecken mußten, zog es der Franke. Spielen unsere Oberen mit den Feinden unter einer Decke? Haben sie uns verraten? Nicht wenige glaubten es.
Brune beteuert neuerdings, die französischen Soldaten kämen nur aus Freundschaft und nicht , um Land und Gut weg zunehmen
Im Augenblick, in dem Brune den Kampf eröffnete, erließ er eine neue Kundgebung «an die Bevölkerung des Kantons Bern und der andern Teile der helvetischen Eidgenossenschaft» Es hieß in der Proklamation:
«Die braven Soldaten, die ich kommandiere, sind gezwungen, einen Teil eures Gebietes zu betreten. Schöpfet daraus keinen Argwohn ; sie sind eure Freunde, eure Brüder. Sie stehen unter den Waffen gegen die Tyrannei, die euch unterjocht. Eure Bedrücker, eure grausamsten Feinde, werden sich
rühren, um euch die Furcht einzulößen, daß die französische Regierung bei diesem Anlaß ihr Gebiet auf Kosten des eurigen vergrößere.
Eure edlen und hochherzigen Seelen werden diese hinterlistigen Einflüsterungen von sich weisen.
Nein, die französische Republik will nichts von alledem sich aneignen, was zur helvetischen Eidgenossenschaft gehört. Nicht als Eroberer, nur als Freunde der würdigen Nachkommen Willhelm Tells, nur um die schuldigen Räuber eurer Freiheit zu strafen, befinde ich mich in diesem Augenblicke mitten unter euch.
Fern sei also von euch jede Sorge um eure persönliche Sicherheit, euer Eigentum, euren Gottesdienst und um eure politische Unabhängigkeit. Die französische Regierung verbürgt sie euch. Ich schwöre darauf bei ihrer Liebe zur Freiheit»
Mancher törichte Berner glaubte, was er da las. Er dachte: Wir haben also nichts zu befürchten. Deshalb war er nicht bereit, mit ganzem Ernst zu kämpfen.
Freitag der 2.März
Es war am Freitag, dem 2. März, in der Morgenfrühe. Die bernischen Truppen im Dorfe Lengnau - 850 Mann - schliefen noch. Über dem dunklen Jurahang stand der Vollmond. Plötzlich schlichen sich in der Stille französisehe Soldaten gegen das Dorf, umstellten es und drangen dann von allen Seiten ein. Die Überraschten setzten sich zur Wehr. Bald hörte man Sturmglocken läuten, Kanonen donnern und Flinten knattern. Die Berner erlagen der achtfachen Übermacht. Zweihundert Mann fielen; die andern flohen gegen Grenchen und Solothurn. Um 11 Uhr übergab sich diese Stadt den anrückenden Franzosen. Ungefähr zur gleichen Zeit kapitulierte Freiburg. In Payerne unterhandelten die ahnungslosen bernischen Gesandten noch immer - bis um 1 Uhr.
Die Truppen in Murten und Umgebung mußten ihre Stellungen aufgeben. Über ihren Rückzug berichtet jener Scharfschützenleutnant <<Wo wir durchkamen, lagen Greise, Weiber und Kinder auf den Knien und beschworen uns, sie nicht zu verlassen; denn sie betrachteten uns als ihre Schutzengel. „Truppweise folgten sie schluchzend unserem Zuge. Viele hatten ihre besten Habseligkeiten zusammengepackt und flüchteten, sie wußten selbst nicht, wohin. Alle beteuerten, sie wollten fechten bis auf den letzten Mann; nur sollten wir bei ihnen bleiben. Für mich war es der traurigste Augenblick meines Lebens, dieses schöne Land, dieses treue Volk einem übermütigen Feinde preisgeben zu müssen, ohne einen Schuß zu seiner Verteidigung getan zu haben.»
Nach dem Falle Freiburgs und Solothurns liefen Scharen von bernischen Soldaten nach Hause. Sie waren fest davon überzeugt, daß Regierung und Offiziere sie «verkauft und verraten» hätten.
Wie verlief der Tag in der Stadt? Ein Patrizier (Oberst und Ratsherr Albrecht Rudolf von Büren) und ein Handwerksmann (Schneidermeister Eggimann) berichten:
«In der Morgenfrühe hörte man fernen Kanonendonner. Nachmittags gegen 2 Uhr schallten von verschiedenen Orten her Sturmglocken. Auf dem Gurten und dem Bantiger brannten Wachtfeuer hell und hoch als Alarmzeichen. Massen von Zuschauern füllten die Plattform an, um das niegesehene Feuerzeichen der Not des Vaterlandes anzustaunen. Verwirrung, Angst und Unordnung stiegen allenthalben.»
«Um 5 Uhr abends langte ein Teil der Truppen, die bei Lengnau gefochten hatten, in der Stadt an. Man erfuhr von ihnen, daß die Franken weit bessere Soldaten seien, als man sie unserm leichtgläubigen Landvolke geschildert hatte. Diese Berichte dienten wahrlich nicht dazu, unsern Mut zu erhöhen.
Nun fing es an, in dem sonst so ruhigen Bern recht lebhaft zu werden. Bataillone rückten ein, Bataillone rückten aus, bald hierhin, bald dorthin. Bagagewägen und Kanonen sprengten bald zu diesem, bald zu jenem Tore hinaus. Kuriere langten an, Kuriere flogen fort. Überall wollte man helfen, und nirgends war geholfen. Bagagewägen schleppten Brot hin, wo Kugeln nötig waren, und Kugeln dorthin, wo man kein Brot bekommen hatte. Die Befehle durchkreuzten sich.
Abends um 6 Uhr ward durch Trommelschlag bekanntgemacht, wie sich jegliche Klasse der Bewohner Berns bei einem Angriff auf die Stadt zu verhalten habe. So endigte der erste Tag des unseligen Krieges. Man legte sich mit sehr verschiedenen Gefühlen zu Bett, die einen mit schwerem Herzen; die andern waren immer noch der besten Hoffnung und träumten sogar von Siegen»