Der Große und der Kleine Rat an der Arbeit
Waren die Osterwahlen vorüber, so machten sich die bisherigen und die neuen Ratsherren an ihre Arbeit. Wie verrichteten sie diese? Geschickt und mit scharfem Gewissen? Oder nahmen sie es leicht mit ihrer Pflicht?
Ein Patrizier (Carl Viktor von Bonstetten) berichtet: «Im Jahre 1775 kam ich in den Großen Rat. Nichts Erhabeneres gibt es als diesen Senat. Welch einen Eindruck machte er auf die jungen Müßiggänger, die hier zum erstenmal ihren Platz einnahmen ! Sie erblickten seine Mitglieder in dem schönen gewölbten Saal auf erhöhten Sitzen in ihrer Amtstracht. In der Mitte, auf einer Art Thron, saß der Schultheiß. Die Sorge um das Wohl der Regierten war so ernsthaft, daß man sich in diesem Kreise geläutert und ein besserer Mensch werden fühlte»
Der schon erwähnte Münsterpfarrer (David Müslin) weiß indessen auch Ungutes zu melden:
Wie die Landvögte bestimmt wurden und wie sie ihr Amt antraten
Um 1750 gab es im Bernbiet 50 Landvogteien, 38 deutsche und 12 welsche. Sie brachten dem Inhaber sehr verschieden hohe Einkünfte.
Während langer Zeit wählte der Große Rat die Landvögte. Das hatte aber einen Nachteil: Es erhielten immer wieder die gleichen Männer Vogteien; andere jedoch gingen leer aus. Deshalb führte der Rat im Jahre 1710 das Los ein. Es wurden aber nicht alle Mitglieder des Großen Rates ohne weiteres zum Losen zugelassen. jüngere Großräte konnten sich zum Beispiel nicht um eine gute Vogtei bewerben, solange ältere da waren, die noch kein Amt versehen hatten. Man wollte dafür sorgen, daß jedes Mitglied des Großen Rates früher oder später ein Amt und eine Besoldung bekomme.
Gelost wurde auf folgende Weise: Wenn sich zum Beispiel fünf Männer um eine Landvogtei bewarben, so legte man vier silberne Kugeln und eine vergoldete, die genau gleich groß und gleich schwer war wie die silbernen, in einen Sack. Dann mußten die Bewerber Handschuhe anziehen und darauf der Reihe nach mit verbundenen Augen in den Sack greifen. Wer die goldene Kugel erwischte, erhielt die Vogtei. Die Amtszeit eines Landvogtes dauerte sechs Jahre. Wenn sie begann, begab sich der Gewählte zu Pferd oder in einer vierspännigen Kutsche in seine Vogtei. An ihrer Grenze holten ihn Dragoner ab, und wenn er sich dem Dorfe oder Städtchen, in dem sich sein Amtssitz befand, näherte, so krachten Lärmkanonen. Am Amtssitze selbst empfingen ihn Mannschaften in Uniform und präsentierten das Gewehr. Posaunenblaser meldeten die Ankunft des Vogtes, und an Bechern und Ehrenwein fehlte es auch nicht. Oft boten die Vogtsleute ihrem neuen Herrn zum Willkomm ein festliches Essen. Dieser veranstaltete auf den Abend im Schloß eine Gegeneinladung für sein Ehrengeleite und eine Anzahl der vornehmeren Landleute.
An einem der nächsten Tage versammelten sich die Abgeordneten der Vogtsleute auf einem geeigneten Platz oder in der Kirche. Der alte Landvogt dankte in einer längeren Rede ab. Dann schwur der neue, er werde die Untertanen bei ihren alten Rechten und Freiheiten belassen, sie vor Schaden schirmen und als Richter Arme und Reiche gleich behandeln. Hierauf las er laut und eindringlich vor, was die Untertanen eidlich zu versprechen hatten:
<<Alle, die in den Landen und Gebieten der Stadt Bern wohnen, schwören, ihrer rechten, natürlichen Obrigkeit Treue und Gehorsam zu leisten, ihren Nutzen und ihre Ehre zu fördern und allen Schaden von ihr abzuwenden. Sie werden in keine verbotenen Kriegszüge ziehen und keine Versammlungen ohne Bewilligung abhalten. Wenn sie etwas hörten, sähen oder vernähmen, was der Stadt Bern Schaden oder Unehre brachte, das sollen sie unverzüglich dem Landvogt anzeigen und überhaupt alles tun, was frommen, getreuen Untertanen ziemt.>›
Nach dem Verlesen dieses Eides wies der Landvogt die Untertanen an, die Schwurfinger zu erheben und ihm die Worte nachzusprechen: «Ich will dem, was mir vorgelesen worden ist, nachgehen und alles in guten Treuen vollbringen, so wahr mir Gott helfe»
Einst mußten sich sämtliche männliche Bewohner der Vogtei an einer einzigen Stätte, auf freiem Felde, versammeln und den Treueid schwören. Im 18.Jahrhundert aber reiste der Landvogt von Gerichtsbezirk zu Gerichtsbezirk, um die Huldigung entgegenzunehmen. Der Landvogt zu Trachselwald zum Beispiel reiste zu Pferd oder in der Kutsche nach Rüderswil, Langnau, Trub, Trubschachen, Schangnau sowie nach Huttwil, Affoltern usw. Überall wurde geschossen oder posaunt. Die Nächte verbrachte der Vogt auf diesen Reisen regelmäßig in den Pfarrhäusern. Natürlich mußte er die Pfarrer oder deren Kinder beschenken, und den Schützen und den Posaunisten hatte er Trinkgelder zu entrichten.
Von der Arbeit des Landvogtes
Hatte der Landvogt in der ganzen Vogtei die Huldigungen entgegengenommen, so rnußte er die Wälder sowie die Güter und Gebäulichkeiten, die dem Staate gehörten, in Augenschein nehmen; denn er hatte dafür zu sorgen, daß sie in einem rechten Zustand erhalten blieben. Das war eine schwere Aufgabe. Besonders schwer war es, die Staatswälder zu überwachen; denn die Bauern suchten zu freveln. Es kam vor, daß sie mitten in der Nacht Bäume fällten und das Holz rasch nach Hause schafften. Die vereidigten Bannwarte und Förster begünstigten den Frevel zuweilen. Und nicht wenigen Bauern bereitete es ein großes Vergnügen, wenn sie den Herrn Landvogt hinter das Licht führen und überlisten konnten.
Es verursachte dem Vogt auch viel Mühe, für den Unterhalt der staatlichen Gebäude, zum Beispiel der Pfarrhäuser, Pfarrscheunen und der Schloßbauten, zu sorgen; denn er konnte nicht das Geringste von sich aus anordnen. Wollte er eine Türe reparieren lassen, so mußte er zuerst nach Bern schreiben und eine Kommission des Rates anfragen.
Der Vogt hatte ferner den obrigkeitlichen Getreidezehnten und die Bodenzinse, die auch in Getreide entrichtet wurden, einzuziehen oder einziehen zulassen. Das Getreide kam ins Kornhaus, das zum Schlosse gehörte.
Dann mußte er diese Getreidevorräte, oft mehrere Hundert Hektoliter, von Zeit zu Zeit umschütteln lassen, damit sie nicht verdürben. Zu den Pflichten des Vogtes gehörte es ferner, die Geldzinse einzusammeln, welche die Bauern bezahlten, statt Eier, Erbsen, Bohnen, Hühner, Lämmer und Heu abzugeben. Dann mußte er zweimal im Jahre Straßen, Wege, Brücken und Flußschwellen besichtigen. Und wenn es nötig war, mußte er für ihre Ausbesserung sorgen.
Weiter hatte er Rekruten auszuheben, lange Listen der dienstpflichtigen Mannschaften anzulegen und das Kriegsmaterial im Schlosse zu kontrollieren. Musketen, Munition und allerlei Gerätschaften mußten gezählt, in Stand gehalten und in Rodel eingeschrieben werden.
Sehr viel zu tun gab ferner das Gerichtswesen. An den zahlreichen niederen Gerichten brauchte der Landvogt nicht immer anwesend zu sein; aber er mußte ihre Urteile überprüfen. In vielen Fällen mußte er selbst richten. Für diese Arbeit war er nicht fest besoldet, sondern er durfte einen Teil der Bußen, gewöhnlich ein Drittel, behalten. Dann und Wann versuchte ein Bauer, den Richter zu bestechen. So erzählt ein Landvogt von Trachselwald (Sigisrnund Ludwig Lerber):
von den Städteorten
Wie in Bern, so regierten auch in Freiburg,Solothurn und Luzern Patrizier.
In den Städten Zürich, Basel und Schaffhausen dagegen besassen die Mitglieder der Zünfte das Recht, Vertreter in die Räte zu wählen. Allein in Wirklichkeit konnten auch in diesen Städten nicht etwa sämtliche Bewohner gleichmässig mitregieren. In Zürich z.B. gelang es den reichen Seiden- und Baumwollfabrikanten, in mehreren Zünften Mitglieder zu werden. Auf diese Weise fiel es Ihnen leicht, eine grosse Zahl von Ratssesseln zu besetzen. Kurz, auch in den drei Zunftstädten kamen einzelne vornehme Familien und Geschlechter zur Macht.
Ihr Landgebiet regierten diese Städte ganz ähnlich, wie Bern und die andwern Patrizierorte das taten. Sie schickten ebenfalls Landvögte hin und erliessen auch zahlreiche Mandate. In einem Punkte jedoch verfuhren die Zunftstände und auch Freiburg und Luzern anders als Bern: Sie schrieben den Landleuten genau vor, welche Gewerbe sie betreiben durften und welche nicht. So verbot die Stadt Basel dem Landvolk, auf eigene Rechnung Seide zu weben.
Von den Länderorten
In Uri, Schwyz, Unterwalden, Zug ,Glarus und Appenzell versammelten sich das Volk von Zeit zu Zeit unter freiem Himmel zu Landsgemeinden. In diesen Länderorten, so sollte man denken, regierte also die Gesamtheit ihrer Bewohner. Wie verhielt sich das, und wie ging es an den Landsgemeinden zu und her?
Wenn sich in Schwyz die Männer zusammenscharen, um nach dem Landsgemeindeplatz nach Ibach aufzubrechen, so läuten die großen Kirchenglocken. Unter ihren feierlichen Klängen verläßt der Zug das Dorf. Voran schreiten ein paar Dutzend Trommler und Pfeifer in den Landesfarben. Dann erscheinen der Landamtmann und der Landesstatthalter hoch zu Roß, zu beiden Seiten begleitet von Hellebardenträgern. Hinter diesem Vortrupp reiten paarweise die übrigen Ratsherren daher. Hierauf folgen die Landvögte aus den gemeinen Herrschaften, alle in schwarzen Mänteln mit Kragen und Degen, begleitet von Dienern und Weibeln in roten Gewändern. Den Schluß bilden die Harste der gewöhnlichen Landleute.
In Ibach schwingen sich die Berittenen von ihren Pferden und besteigen die aufgerichtete Bühne. Das Volk stellt sich im Halbkreis auf, kniet nieder und betet still fünf Vater unser und andere Gebete.
Dann eröffnet der Landammann, umringt von Ratsherren und Beamten, von der Tribüne aus mit lauter Stimme die Versammlung. Er ruft: «Gelobt sei Jesus Christus in Ewigkeit. Amen !»