2 Was die Friedensverträge bestimmten
Um die Besiegten darniederzuwerfen und ungefährlich zu machen, wurde festgesetzt: Deutschland muß die allgemeine Wehrpflicht abschaffen; sein Söldnerheer darf nur 100 000 Mann zählen. Damit im Laufe der Zeit nicht etwa gleichwohl größere Truppenmassen ausgebildet würden, sollten Unteroffiziere und Gemeine wenigstens 12 Jahre und Offiziere 25 Jahre Dienst leisten, und der jährliche Wechsel durfte höchstens 5000 Personen umfassen. Das vorhandene Kriegsmaterial mußte ausgeliefert oder unter Aufsicht zerstört werden. Über die Anzahl der erlaubten Feuerwaffen stellte der Vertrag genaue Vorschriften auf; schwere Feldartillerie verbot er überhaupt. Ähnliche Bestimmungen regelten die See- und Luftstreitkräfte. Auf dem linken Rheinufer und in einem 50 Kilometer breiten Streifen des rechten Ufers sollten keine Festungen weiterbestehen oder neu angelegt werden. - Eine militärische Kontrollkommission der Siegermächte hat den Vollzug dieser Vereinbarungen überwacht und 1927 das Land verlassen.
Nach dem Wortlaut des Vertrages und dem Wunsche Wilsons sollte die Abrüstung Deutschlands „die Einleitung einer allgemeinen Rüstungsbeschränkung aller Nationen ermöglichen“. An diesen Satz haben die Deutschen immer wieder erinnert und seine Durchführung gefordert.
Deutschland verlor außer den sämtlichen Kolonien etwa einen Zehntel seines Gebietes. Elsaß-Lothringen mußte es an Frankreich zurückgeben. Hätte die Bevölkerung ihre Wünsche durch eine Abstimmung äußern können, so würde sie sich, wie ein deutscher Geschichtsschreiber behauptet, wahrscheinlich weder für Deutschland noch für Frankreich erklärt haben, sondern für die Gründung eines selbständigen Staatswesens, vielleicht auch für den Anschluß an die Schweiz. Ebenfalls ohne Volksabstimmung mußte Deutschland einen Grenzbezirk an die Tschechoslowakei abtreten. Vor allem aber hatte es - auch ohne Volksbefragen - ausgedehnte Gebiete mit etwa 3,5 Millionen Einwohnern an das neu erstandene Polen zu überlassen.
Dadurch hat Polen einen direkten Zugang zum Hafen von Danzig erhalten; Ostpreußen aber wurde vom übrigen Deutschland völlig abgetrennt. In gewissen Teilen von Nordschleswig, West- und Ostpreußen und Oberschlesien ordnete der Friedensvertrag Volksabstimmungen an. Deutschland verlor durch sie einen starken Drittel der Bewohner dieser Gebiete, nämlich an Dänemark 166 000 und an Polen beinahe eine Million. Im oberschlesischen Abstimmungsgebiet mußte Deutschland hiebei auf 53 Kohlengruben verzichten; nur 14 verblieben ihm. Die neue Grenzlinie durchschneidet in vielen Fällen Bergwerke, Fabrikanlagen, Wege und Eisenbahnlinien. So entstanden schwere Übelstände. Endgültig geregelt sind die dortigen Verhältnisse noch heute nicht.
Auch für ein Gebiet an der belgischen Grenze sah der Friedensvertrag eine Abstimmung vor. Sie wurde in folgender Weise durchgeführt: Die Freunde Deutschlands sollten sich in öffentliche Listen eintragen zu einer Zeit, da Belgier das Land beherrschten und bedrückten. Von den 65 000 Einwohnern, die nahezu rein deutsch sind, wagten nur wenige Hunderte, sich in die Listen einzuschreiben. Die Abstimmung in diesem Bezirk war also bloßer Schein.
Die Bewohner derjenigen Gebiete, die sich von Deutschland lossagten, brauchten nach den Bestimmungen des Friedensvertrages nichts an die ungeheure deutsche Kriegsschuld und auch nichts an die Wiedergutmachungssummen beizusteuern. - Die Loslösung von Deutschland war also mit einem Geldvorteil verbunden.
Als Ersatz für zerstörte Kohlengruben in Nordfrankreich mußte Deutschland die Kohlengruben im Saarbecken an Frankreich herausgeben. Die Regierungsgeschäfte in diesem Gebiet übernahm eine Kommission von fünf Mitgliedern, die der Völkerbundsrat ernannte. Die Bewohner, etwa 750‘000 Seelen, sprechen, bis auf einen kleinen Bruchteil, deutsch. Im Januar 1935 hatten sie abzustimmen, ob sie die bisherige Ordnung beibehalten oder ob sie sich mit Frankreich oder Deutschland vereinigen wollten. 90 % entschieden sich für den Anschluß an Deutschland. Der Völkerbundsrat stimmte zu. Deutschland mußte aber, gemäß den Vertragsbestimmungen, die Kohlengruben von Frankreich zurückkaufen.
Neben den Gebietsverlusten hatte Deutschland ungemein schwere wirtschaftliche Lasten auf sich zu nehmen. Der Friedensvertrag erklärte (wir wissen heute, mit Unrecht), Deutschland und seine Verbündeten trügen die alleinige Schuld am Kriege; darum seien sie auch verpflichtet, soweit als möglich die entstandenen Schäden wieder gut zu machen. Deutschland sollte z. B. alle die Summen, die Belgien zu Kriegszwecken bei seinen Verbündeten geliehen hatte, mit einem Zins von 5 % zurückzahlen. Es sollte ferner für zerstörtes Eigentum, zerstörte Gesundheit und Arbeitsfähigkeit der nicht am Kriege beteiligten Bevölkerung der Siegerstaaten Schadenersatz leisten; es sollte die Pensionen für die Verletzten und Krüppel seiner ehemaligen Gegner und die Unterstützungen an die Familien der Gefallenen ausrichten. Es sollte endlich all das, was die fremden Regierungen für die Kriegsgefangenen und die Angehörigen der Aufgebotenen bezahlt hatten, und viel anderes vergüten. In späteren Verhandlungen wurden Deutschland sehr hohe Zahlungen auferlegt. Als es sich aber erwies, daß es diese gewaltigen Summen nicht aufbringen konnte, ermäßigte man sie stark.
Einen Teil der Schuld trug Deutschland nicht in Geld ab, sondern in allerlei Gütern, wie Handelsschiffe, Kohlen, Eisenbahnmaterial, Baustoffe, Maschinen, Möbel, Milchkühe, Zuchthengste und Schafe.
„Um die Ausführung des Vertrages durch Deutschland sicherzustellen“, besetzten die Sieger die deutschen Gebiete im Westen des Rheines. Die Kosten der Besatzungsarmee mußte Deutschland tragen. Im Jahr 1930 sind die letzten Gebiete geräumt worden. Nicht besser als Deutschland erging es seinen ehemaligen Verbündeten, Österreich, Ungarn, Bulgarien und der Türkei. Die Donaumonarchie wurde völlig zertrümmert und das habsburgische Kaiserhaus entthront. An Stelle des untergegangenen Reiches und auf seinem Boden entstanden neue selbständige Staaten, so die Republik Österreich (Deutsch-Österreich)mit ungefähr 6 Millionen Einwohnern, Ungarn mit 8 Millionen (einst 21) und die Tschechoslowakei. Bedeutende deutsche, slawische und magyarische Gebiete fielen an Italien, Großserbien und Rumänien. Die Grenzen sind sehr willkürlich gezogen. Österreich darf sich nicht mit Deutschland vereinigen, d.h. nur der einstimmige Völkerbundsrat könnte das erlauben. Es sollte, gleich wie Ungarn, ungeheure Kriegsschulden und Entschädigungsgelder bezahlen. Österreich, Ungarn und Bulgarien sind, ähnlich wie Deutschland, entwaffnet worden. Auch sollen sie ebenfalls nur kleine Söldnerheere unterhalten.
Polen, die Tschechoslowakei und Rumänien, die man auf Kosten der Besiegten begünstigt hatte, wurden nach Kriegsschluß zu Bundesgenossen der Entente. Sie bildeten einen förmlichen Ring von Bollwerken, die Deutschland darniederhalten sollten.
Bittere Feindschaften entstanden und entstehen vor allem deshalb, weil die Angehörigen der verschiedenen Völkerschaften bunt durcheinander wohnen und nicht immer eigene Staatswesen bilden können.
Es leben z. B. viele Deutsche und Magyaren unter der Herrschaft von Slawen und Rumänen. In den Friedensverträgen haben Polen, die Tschechoslowakei, Jugoslawien, Rumänien, Österreich, Ungarn und Bulgarien die Verpflichtung übernommen, die stamm- und religionsfremden Minderheiten zu beschützen: Sie sollen z. B. vor dem Gesetz gleich gehalten werden wie alle andern Staatsbürger; sie sollen auch öffentliche Ämter bekleiden und ihre Muttersprache in Kirche, Zeitung und vor dem Richter frei gebrauchen können. Leider wurden und werden diese Bestimmungen sehr oft nicht beachtet, zum Teil schon deshalb nicht, weil die Großmächte ihre Minderheiten nach Belieben behandeln dürfen und dadurch ein schlechtes Beispiel geben. Italien z. B. sucht in Südtirol die deutsche Sprache durch scharfe Verbote und Strafen auszurotten.
Die Friedensbedingungen sind überaus hart. Allein nachdem vier Jahre lang in der Welt nichts als blinde Leidenschaft geweckt und verbreitet werden war, hielt es von vornherein schwer, zu einer freundlichen und gerechten Verständigung zu kommen. Daß die Deutschen französischen Boden besetzt und verwüstet hatten, erfüllte Frankreich mit Haß und Furcht. Und nun wollten die französischen Politiker Deutschland heimzahlen und es dauernd treffen. Dabei sind die Grundsätze Wilsons aufs schwerste verletzt worden. Wilson hat für ihre Beachtung an der Konferenz von Paris eifrig gekämpft; aber seine Gegner haben ihn besiegt. So konnte ein holländisches Blatt bemerken: „Deutschland hat den Krieg verloren und Wilson den Frieden“. Als der amerikanische Präsident den Vertrag unterzeichnete, hat er gedacht und gehofft, der Friede sei etwas Vergängliches und könne mit der Zeit geändert und verbessert werden, der gleichzeitig abgeschlossene Völkerbund aber sei etwas Bleibendes.