Waffenstillstand - Begegnung in Versailles
Im Herbst 1918 mußten die Mittelmächte nach heldenmütigem Widerstand und unerhörten Leiden und Entbehrungen um Waffenstillstand und Frieden bitten. Die deutschen Unterhändler trafen ineinem Wald, unweit Paris, mit dem Oberkommandanten der Entente, Foch, zusammen. Auf den Knauf seines Schwertes gestützt, übergab dieser ihnen die schriftlich festgesetzten Bedingungen des Waffenstillstandes. Am 11.November, um fünf Uhr morgens, wurden sie unterzeichnet. Die beiden Parteien erklärten, daß für den Friedensschluß die meisten Grundsätze gelten sollten, die der amerikanische Präsident Wilson in verschiedenen Reden und Schriftstücken aufgestellt hatte. Einer dieser Sätze lautete: Die Völker dürfen nicht von einer Landesherrschaft an die andere überwiesen werden, als ob sie Sachen wären; sie haben, im Gegenteil, das Recht, selber zu bestimmen, zu welchem Staate sie gehören und unter was für einer Staatsform sie leben wollen.
In den Tagen der Verhandlungen über den Waffenstillstand brach in Deutschland die Revolution aus. Die Republik wurde ausgerufen; der Kaiser entfloh nach Holland.
ln Paris, wo man während des Krieges die deutschen Ferngeschütze hatte donnern hören, herrschte ungeheurer Jubel. Die Abgeordneten der siegreichen Völker rückten in der triumphierenden französischen Hauptstadt ein, um die Friedensbestimmungen zu vereinbaren. Die Besiegten durften, entgegen der bisherigen Sitte, an der Friedenskonferenz nicht teilnehmen.
Erst im Frühjahr 1919 hatten sie Abgeordnete nach Paris zu senden, die den Friedensvertrag in Empfang nehmen und unterzeichnen sollten. Als die deutschen Bevollmächtigten eintrafen, wurden sie in einem Hotel in Versailles untergebracht, das durch Wachen und Stacheldrahtzäune von der übrigen Welt streng abgesperrt war. Die Deutschen durften z.B. nur in französischer Begleitung Ausfahrten unternehmen.
Am 7. Mai, einem wundervollen Frühlingstage, an dem Versailles Blumengärten in hellen Farben leuchteten, fand die erste persönliche Begegnung zwischen den deutschen Abgeordneten und den Diplomaten der ehemaligen Feinde statt. Die Vertreter der 27 Siegerstaaten und einige Berichterstatter von Zeitungen versammelten sich in einem Saale des Trianon-Palastes. Nachdem sie Platz genommen hatten, öffnete sich die Türe noch einmal: Ein Oberst führte die deutschenBevollmächtigten herein, acht bis zehn Mann. Die ganze Versammlung erhob sich und stand schweigend da, während die Deutschen ihre Plätze einnahmen. Ihr Führer, Graf Brockdorff-Rantzau, eine hochgewachsene hagere Gestalt, in schwarzem Kleid, mit bleichem Gesicht, fühlte sich offensichtlich bedrückt. Etwas steif verbeugte er sich gegen das Tischende, wo Clémenceau stand, der erste Minister Frankreichs, Präsident der Friedenskonferenz; zu seiner Rechten befandsich Wilson, zu seiner Linken Lloyd George, der politische Leiter Englands. Alle setzten sich; einen Augenblick herrschte völlige Stille.Dann erhob sich Clémenceau mit seinem buschigen Schnurrbart und seinen funkelnden Augen und begann zu sprechen: „Es ist weder die Zeit noch der Ort für überflüssige Worte -“- Und mit einem scharfen Blick auf die deutschen Abgeordneten am untern Tischende fuhr er fort: „Sie sehen vor sich die Vertreter all der kleinen und großen Mächte, die vereint den schrecklichen Krieg geführt haben, der ihnen so grausam aufgezwungen worden ist. Die Stunde der schweren Abrechnung ist gekommen. Sie haben um Frieden gebeten. Wir sind bereit, Ihnen diesen zu gewähren, und werden Ihnen jetzt ein Buch überreichen, das unsere Bedingungen enthält . . . Eine mündliche Erörterung wird nicht stattfinden“. Die ganze Ansprache hatte nicht länger als zwei Minuten gedauert.
Ein Sekretär legte den Friedensvertrag vor den Führer der Deutschen hin. Der Graf ließ das Buch zunächst unberührt liegen und ergriff, ohne sich von seinem Sitze zu erheben, das Wort. Er erklärteunter anderem, die ehemalige deutsche Regierung habe gewiß zum Kriegsunheil beigetragen; aber er bestreite nachdrücklich, daß Deutschland allein mit Schuld belastet sei. Clémenceau antwortete nicht auf die Rede, sondern schloß zornig die Sitzung, die nur einen kurzen Augenblick des herrlichen Frühlingstages beansprucht hatte.
Die Sieger fuhren nach Paris; die Deutschen kehrten hinter ihre Stacheldrähte in ihr Hotel zurück und begannen eilig, die Bestimmungen des Vertrages zu studieren. Zuerst lasen sie flüchtig und rasch, hernach bedächtig und langsam, Artikel um Artikel. Sie entsetzten sich dabei und wollten ihren Augen kaum trauen. In schriftlichen Eingaben erhoben sie Einwände und machten Gegenvorschläge,richteten aber sehr wenig aus. Am 28. Juni wurde der Friede im Spiegelsaale des Schlosses von Versailles unterzeichnet, an der Stelle, wo im Januar 1871 die Gründung des geeinigten, deutschen Kaiserreiches ausgesprochen worden war. - Wie hatten sich die Zeiten gewandelt! «- Etwas später kamen Friedensschlüsse mit Österreich, Ungarn, Bulgarien und der Türkei zustande.