Not in Wien
Nach Abschluß des Waffenstillstandes kamen aus Österreich, Ungarn und Deutschland beängstigende Meldungen: Viele wissen nicht mehr, wie sich Bettzeug, Wäsche und Kleider verschaffen. Man wickelt Säuglinge in Papier ein. Der Winter steht vor der Tür; er trifft uns ohne Kohlenvorräte an. Mangelhafte Ernährung schwächt Kinder und Erwachsene. Krankheiten nehmen überhand. Die Spitäler sind überfüllt. Es fehlt alles, was zum Heilen und Helfen notwendig wäre: Weißzeug, Arzneien. Stärkungsmittel. Für 20 Kranke gibt es einen halben Liter Milch im Tag.
Ganz besonders schlimm stand es in der Stadt Wien. Um die Jahreswende 1918/19 traten in fast allen Kantonen der Schweiz Männer und Frauen zu Vereinen zusammen, um der bedrängten Stadt zu helfen.
Bald eilte die Schuljugend fröhlich von Haus zu Haus und sammelte Lebensmittel und Gelder. „Groß und klein, arm und reich wollte etwas beitragen; Bauern leerten ihre Rauchküche und ihre Schnitztröge, Kinder ihre Sparbüchsen, arme Familien brachten gedörrte Kartoffeln, und die Vermögenden sandten größere Geldsummen“. Im Februar verließen zwei Eisenbahnzüge mit Liebesgaben die Station Buchs an der österreichischen Grenze. Die Wiener empfingen sie mit größtem Dank, obwohl nur wenige, nur die Allerärmsten, beschenkt werden konnten.
In jener schrecklichen Zeit reisten zwei Zürcher Pfarrer, Pfister und Pfenninger, nach Wien, um aus eigener Anschauung die dortigen Verhältnisse kennen zu lernen. Pfarrer Pfister erzählt: