Genf gibt Auskunft
„Lebt er noch? In welchem Gefangenenlager? Oder ist er gefallen? Wie starb er? Wo ist er begraben ?“ So fragten während des Krieges Tausende und Tausende nach ihren vermißten Angehörigen.
Da war es eine Wohltat, daß es in Genf eine Stelle gab, bei der man sich erkundigen konnte. Das internationale Komitee vom Roten Kreuz hatte sie bei Kriegsausbruch eingerichtet, anfangs mit ein paar wenigen Hilfskräften. Zuletzt arbeiteten 1200 Freiwillige in den Räumen eines Museums und zwei anderer Gebäude an diesem Werk mit. Hier trafen alle Gefangenenlisten ein, mit Ausnahme der russischen, österreichischen und italienischen. Ihre Angaben mußten sorgsam abgeschrieben und oft nach Regimentern geordnet werden. Hier liefen auch die Berichte zusammen über die im Felde Gefallenen und die in den Spitälern Gestorbenen, zum Teil abgefaßt von Privaten. Eine belgische Krankenschwester z. B. sandte im August und September 1914 Angaben ein über 4900 Fälle.
Ununterbrochen erhielten die Leiter des Werkes in Genf schriftliche und telegraphische Anfragen, oft auch persönliche Besuche von verzweifelten Frauen, Vätern, Müttern, Schwestern und Bräuten.
Nach den großen Schlachten gab es Tage, an denen 30 000 Briefe und Karten eintrafen. Oft war es sehr schwer, die Fragen zu beantworten. Wenn aus den zusammengestellten Listen nichts zu ersehen war, mußte man an militärische Behörden und Kameraden schreiben. Unterdessen hatte das Kommando aber vielleicht gewechselt, und die Kameraden waren gefallen oder wußten nicht sicheren Bescheid. Es kam vor, daß man zur Erledigung einer einzigen Anfrage 150 Briefe schreiben mußte. Nicht selten war überhaupt nie etwas Bestimmtes zu vernehmen über Todesart und Todesstunde. In andern Fällen aber konnte man den Zurückgebliebenen genaue Nachrichten geben und ihnen sogar das Bild der Grabstätte und allerletzte Briefe und Andenken übersenden. Auch traurige Botschaften wurden so als Trost empfunden: Man wußte nun, wo man mit dem Herzen die Gräber der toten Angehörigen suchen durfte.