Gefangenentransporte

« Bei jedem Umzug von einem Krankenhaus oder Lager ins andere zeigte sich dasselbe furchtbare Bild: Die Schwerverwundeten schrien und stöhnten, wenn die Sanitätsmannschaften sie für die Überführung ankleideten. Es gab unter ihnen Lahme und Hilflose, welche die Wärter wegen des Schmutzes und Gestankes nicht berühren wollten. Aber sie mußten alle hinaus, wo sie im Winter stundenlang auf die elektrische Bahn warteten. Es kam sogar vor, daß Scharen von Krüppeln mehrere Kilometer im Schnee krochen, um die Eisenbahn zu erreichen. Diese Umzüge gingen gewöhnlich in der Nacht vor sich. Ein russischer Offizier antwortete einmal auf die Frage nach der Ursache hierzu: Es ist doch peinlich, der Bevölkerung zu zeigen, in welchem Zustande wir unsere Gefangenen herumschleppen. Wochen und Monate lang rollten die Kriegsgefangenen in Zügen von 40 bis50 Güterwagen durch das unfaßlich große Sibirien. Die Wagen hatten zwei Reihen Holzpritschen, und in dem freien Mittelraum stand ein eiserner Ofen, dessen Abzugsrohr zum Dach hinausging. Selbst wenn der kleine Ofen ordentlich geheizt wurde, gab er doch nur in seiner unmittelbaren Nähe eine starke Hitze. Die untern Wagenecken blieben eisig, und die Kälte drang so durch die dünnen Wände,daß die Kleider der Gefangenen, die an der Außenwand lagen, oft anfroren.

Die Wagen strotzten von Ungeziefer; die Kriegsgefangenen mühten sich umsonst, es zu vertilgen. Während der langen Fahrt kam es oft zu Erfrierungen und Krankheiten. Die Kranken mußten weiterfahren, da sich nur selten ein russischer Arzt sehen ließ, der sie ins nächste Lazarett hätte senden können. Starb jemand, so blieb der Leichnam bis zum Wechsel der Begleitmannschaft im Wagen, damit die übernommene Anzahl Gefangener - ob tot oder lebend - übergeben werden konnte.

An manchen Tagen erhielten die Gefangenen nur das heiße Wasser, das es auf jeder russischen Station in einem kleinen Häuschen zum allgemeinen Gebrauch gibt. In der Regel durften sie es ungehindert holen; leider gab es aber Transporte von Gefangenen, welche die Wagen wochenlang nicht verlassen durften.

So sandte man z. B. im Dezember 1914 von der Südfront 200 Cholerakranke, türkische Kriegsgefangene, nordwärts in verschlossenen Wagen, die erst nach drei Wochen geöffnet wurden. Aus dem Schmutz zog man 60 Mann, die kaum noch lebten, alle andern hatten ausgelitten