Vom Los der Gefangenen

Oft litt der Soldat im Spital und im Gefangenenlager noch weit furchtbarer als im Schützengraben. Überaus grauenhaft war das Los der Gefangenen vor allem in Rußland. Es gab zwar auch Lazarette und Lager mit ausgezeichneten Ärzten und wohlwollenden Kommandanten. Aber sie bildeten Ausnahmen. Die Großzahl der russischen Ärzte war unglaublich ungeschickt und von einer förmlichen Sucht besessen, Glieder zu amputieren (abzunehmen). Viele Lagerkommandanten und Beamte unterschlugen die Gelder und Lebensmittel, welche die russische Regierung lieferte. Sie ließen die Gefangenen nicht nur elendiglich hungern, sie tyrannisierten und quälten sie auch mit willkürlichen Prügel- und andern Strafen und mit allerlei gehässigen Verboten. In manchen Lagern war den Gefangenen z. B. nicht gestattet, heimzuschreiben oder in der Kanzlei angekommene Briefe für sie abzuholen. Überhaupt erreichten Briefe, Lebensmittelpakete, Wäsche- und Geldsendungen in ungezählten Fällen die Adressaten nicht. Ganz besonders lästig für Gefangene und Kranke war, daß sie immer wieder von einem Lager ins andere verschickt wurden. Etwas gemildert wurde ihre Not zuweilen durch die herzliche Gutmütigkeit des russischen Personals, z. B. der Wachmannschaft. Auch überarbeitete sich manche russische Schwester, „damit etwas weniger Schande über unser Land kommen soll“. Nach den ersten zwei Kriegsjahren besserten sich die Zustände, vor allem weil Deutschland und Österreich gewaltige Unterstützungssummen bezahlten.

Elsa Brändström, die Tochter des schwedischen Gesandten in Petersburg, die während fünfeinhalb Jahren mit allerlei Hilfsvereinen in Rußland gearbeitet hat, schrieb über ihre dortigen Beobachtungen und Erlebnisse ein erschütterndes Buch: Brändström, „Unter Kriegsgefangenen in Rußland und Sibirien“. Es folgen hier einige Stellen aus ihm - , nicht etwa die grauenvollsten.