Verlauf

Bei Kriegsausbruch wurden zunächst viele Menschen von einer großen Begeisterung erfaßt, Die Soldaten rückten zum Teil bekränzt auf den Waffenplätzen ein und konnten den Zusammenstoß mit dem Feind kaum erwarten. Das Neue, Unbekannte lockte wie das Geheimnis eines gewaltigen Abenteuers. Es wurde aber bald furchtbarer Ernst.

Überall, zu Land, auf dem Wasser und in den Lüften, entbrannte ein mörderischer Kampf. In Europa konnte man bald drei große Kriegsschauplätze unterscheiden: Einen im Osten, von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer, einen im Westen, von der Schweizergrenze bis zum Kanal, und einen dritten im Süden, auf dem Balkan und an der österreichisch-italienischen Grenze. Gemäß ihrem Kriegsplan richteten die Deutschen ihre Hauptmacht gegen Frankreich, in der Hoffnung, dieses Land rasch darnieder zuwerfen. Die Russen dagegen sollten vorläufig nur beschäftigt, abgewehrt und erst nach der Niederlage Frankreichs mit ganzer Macht angegriffen und geworfen werden.

Anfänglich hatten die Deutschen Erfolge. Sie errangen gegenüber Frankreich Sieg um Sieg. In ungehemmtem Sturmlauf drängten sie gegen das Herz des Landes vor: Schon konnte man in Paris deutsche Geschütze dröhnen hören. Am 3. September 1914 siedelte die französische Regierung nach Bordeauxüber. Allein in den folgenden Tagen trat eine bedeutungsvolle Wendung ein. Nach den vielen deutschen Siegen, an die sich die Welt schon beinahe gewöhnt hatte, brachten die Zeitungen die überraschende Nachricht, der französische Oberbefehlshaber Joffre habe in fünftägigen Kämpfen an der Marne dem deutschen Vormarsch Halt geboten. Die Deutschen zogen sich zurück - in voller Ordnung. Ihr Generalstabschef Moltke, ein Neffe des berühmten Siegers von 1870, legte sein Amt nieder.

Von diesem Augenblick an änderte sich im Westen die ganze Kriegsart: Die Heere gruben sich in die Erde ein; sie errichteten Schützengräben und mit Holz und Beton ausgebaute Unterstände. Von diesen unterirdischen Höhlen und Gängen aus begannen sie, um kleine Geländestücke, ja um jeden Fuß breit Erde erbittert miteinander zu ringen. In diesen Kämpfen wurde von Tag zu Tag das Kriegsmaterial wichtiger. Erfolg und Mißerfolg hingen zu einem großen Teil ab von der Munitionsmenge, welche die Artillerie zu verschießen hatte, später auch von der Zahl der gepanzerten Kampfwagen, den Tanks, und von der Wirksamkeit der giftigen Gase. Mit Schiffen und Eisenbahnen, mit Kraftwagen und Pferden transportierte man aus fernen und nahen Ländern, über Meere und Gebirge, durch Wälder und Moräste eine unglaublich gewaltige Masse solchen Kriegsmaterials an die Fronten.

Im Osten waren die Russen rascher als erwartet aus ihren Grenzen hervorgebrochen. Sie hatten Ostpreußen besetzt und verwüstet. Allein noch im August gelang es General Hindenburg, russische Truppen bei Tannenberg einzukreisen und mehr als 90 000 Gefangene zu machen; die Zahl der Toten betrug über 50‘000. Im September erfocht er einen zweiten großen Sieg bei den Masurischen Seen. Die Geschlagenen mußten sich trotz ihrer Übermacht in fluchtartiger Eile zurückziehen. Begeistert jubelten die Deutschen ihrem erfolgreichen Heerführer zu. Nach zwei Jahren, im Sommer 1916, übernahm er den Oberbefehl über die gesamten Truppen der Mittelmächte. Nach und nach wurde der „Bewegungskrieg“ auch im Osten und im Süden in der Hauptsache zum „Stellungskampf“, zur gewaltigen Grenzbesetzung. Es schien, dieses Ringen werde weder der einen noch der andern Partei entscheidende Erfolge bringen, obwohl die Soldaten zu Zeiten schier Übermenschliches leisteten. Der Krieg breitete sich immer weiter aus. Überall in der Welt erscholl Waffenlärm. In den afrikanischen Kolonien Deutschlands wurde heftig gekämpft, aber auch im heiligen Land, um Jerusalem, in Mesopotamien. Hier standen sich Türken und Engländer gegenüber. In China sicherte sich Japan wichtige Vorrechte, und im Stillen Ozean lauerte es auf die deutschen Inseln. Seit dem Frühjahr 1917 wiederhallten auch die Vereinigten Staaten in Amerika von Kriegsruf und Kriegsvorbereitungen, und in den Fabriken neutraler Länder ratterten und kreischten die Maschinen, die Munition und Waffen für die Kriegführenden herstellten. Die Kriegslieferanten und viele Handelsleute erzielten gewaltige Gewinne. - Wie sollte es zu einem Ende kommen?

Die Entente faßte früh den Plan, die Mittelmächte auszuhungern; deshalb sperrte sie die Meere, so daß die Zufuhr von Lebensmitteln, Rohstoffen und Fabrikaten (Getreide, Öl, Stahl, Kupfer, Gummi) sehr erschwert oder ganz verhindert wurde. Männer, Frauen und Kinder litten unbeschreiblich unter dieser Blockade. Vielerorts aßen sie monatelang beinahe nichts als Rüben. Die Deutschen suchten ihre Feinde durch einen äußerst gewalttätigen Seekrieg zu schädigen. Nicht nur Kriegs-, sondern auch Handelsschiffe, oft sogar neutrale, bohrten sie ohne weiteres in den Grund, um den Gegnern die Zufuhren ebenfalls möglichst zu unterbinden. Flugschriften, Zeitungen, Bücher und Bilder schürten den Haß Tag um Tag durch Verleumdung, Lüge und Entstellung. Regierungen und Armeeführer unterdrückten alle Nachrichten, die den Willen zum Weiterkämpfen schwächen konnten.

Schließlich kam es doch zu Entscheidungen. Im Frühjahr 1917 brach in Rußland die Revolution aus. Die Partei, die zuerst ans Ruder kam, stürzte den Zaren und seine Beamten, wollte aber den Krieg weiterführen. Allein sie wurde schon im Herbst des gleichen Jahres aus dem Sattel geworfen durch die Bolschewisten, unter der Führung Lenins und Trotzkijs. Die Bolschewisten wollten dem Staat, den ihre Partei leitet, eine absolute Gewalt sichern und dem einzelnen Menschen alle Freiheit rauben: Er soll so kaufen und verkaufen, arbeiten, reden, denken und glauben, wie der Staat es befiehlt; alles ist geboten oder verboten. Die sogenannte Rote Armee sorgt für das Vollstrecken seines Willens. Diese Armee mußten die Bolschewisten nun aber zunächst im Innern des Landes gebrauchen oder wenigstens bereit halten; darum vermochten sie nicht länger, nach außen Krieg

zu führen. Sie unterzeichneten deshalb im Frühling 1918 einen Frieden, welchen die Deutschen ihnen diktiert hatten. Damit schied Rußland aus dem Kampfe gegen die Mittelmächte aus. So konnte Deutschland noch einmal alle seine Kräfte zusammenraffen zu einem letzten großen Angriff im Westen. Auf der Gegenseite übernahm damals der französische Marschall Foch den Oberbefehl über Engländer, Franzosen, Amerikaner und Portugiesen. Zeitweise schien ein endgültiger Erfolg der Deutschen auf des Messers Schneide zu stehen. Allein schließlich erlagen sie der Übermacht trotz unerhörter Anstrengungen und Leiden. Das meiste zu diesem Ausgang trugen wohl die Vereinigten Staaten von Amerika bei, da sie ihre Bundesgenossen mit Geld, Waren, Waffen und frischen Soldaten unterstützten. Sehr wichtig war üherdies, daß ihr Präsident, Woodrow Wilson, verkündigt hatte, die Welt solle durch den Abschluß eines gerechten Friedens und durch die Gründung eines Völkerhundes besser und glücklicher eingerichtet werden. Die hungernden und leidenden Völker horchten erwartungsvoll auf bei dieser Botschaft; dabei erlahmte ihr Wille und ihre Kraft zu weiterem Widerstand.

Das Ringen von 1914 bis 1918 hinterließ mindestens neun Millionen Tote. Wenn sie und die fünf Millionen Krüppel in Viererkolonne an uns vorbeimarschieren könnten, so würde das 85 Tage und 85 Nächte dauern. - Der Jubel war längst verstummt. - Die Menschen hatten inzwischen den Krieg so kennen gelernt, wie er in Wirklichkeit ist.

Den europäischen Völkern und Völkerstämmen hat er auch politisch schweren Schaden zugefügt. Die Angehörigen der fremden Rassen verloren nämlich einen guten Teil ihrer Scheu und Ehrfurcht vor den Weißen, weil Hunderttausende von farbigen Truppen Schulter an Schulter mit Europäern gegen Europäer gekämpft haben.