2. Von den Kraftwerken Oberhasli

Schon 1903 dachten die Leiter der Werlke in Hagneck und Spiez an eine Verwertung der Wasserkräfte im Oberhasli. Doch erkannte man bald, daß es hierzu noch zu früh sei. Man hätte die gewaltigen Energiemengen, die dort zu gewinnen waren, damals unmöglich absetzen können. Immerhin sicherte sich die Gesellschaft 1906 die Bewilligung zu einem solchen Unternehmen. Daß es schließlich zustande kam, ist das Verdienst einzelner Männer. Am meisten hierzu beigetragen hat wohl Eduard Will, der Generaldirektor der Bernischen Kraftwerke. Ähnlich wie Oberrichter Teuscher einst für den Bau der Lötschbergbahn gearbeitet hatte, kämpfte Will für die Schaffung der Oberhasli Werke. Wie jener mag er oft bis tief in die Nacht hinein mit seinem Plane gerungen haben. Er hielt auch dann an ihm fest, als beinahe all seine Freunde den Mut verloren und die Schwierigkeiten unüberwindlich schienen. Als der Bau begonnen war und man auf das notwendige Geld sicher zählen konnte, bewegte ihn ein starkes Glücksgefühl: Erreicht!

Früh erwarb die Gesellschaft allerlei Gebäulichkeiten im Oberhasli und vor allem das notwendige Gelände, so die Unteraaralp, den Grund des heutigen Grimselsees. Auch richtete sie Stationen ein, um die Niederschlagsmengen und die Wasserabflüsse genau zu messen. Für ein Elektrizitätswerk ist es am günstigsten, wenn das ganze Jahr ungefähr gleich viel Wasser zur Verfügung steht. Genau genommen, sollte im Winter eine etwas größere Menge vorhanden sein, weil da der Bedarf nach elektrischer Kraft größer ist als im Sommer. Es zeigte sich aber, daß oberhalb der Handeck während fünf Sommermonaten 90 % der dortigen jährlichen Wassermenge abfließt. Auf die sieben Wintermonate dagegen trifft es nur ungefähr 10 %. Das wäre sehr mißlich gewesen, wenn im Oberhasli nicht zugleich so gute Gelegenheiten zur Anlage von Speicherseen bestanden hätten. Vorteilhaft ist ferner, daß das Wasser wenig Schlamm und Geschiebe mit sich führt und keine scharfen Bestandteile enthält. So werden die Stauseen nicht vorzeitig aufgefüllt und die eisernen Zuleitungen und die Turbinen nicht angefressen. - Unter diesen Übelständen hatte das Werk in Spiez eine Zeitlang schwer zu leiden.

Seit 1908 ließen die Bernischen Kraftwerke eine Reihe von Plänen ausarbeiten. Um 1920 richteten sie in Innertkirchen ein Baubureau ein unter der Leitung von Ingenieur Kaech. In den darauffolgenden Jahren haben dieser Mann und seine Mitarbeiter tausend und tausend Fragen überlegt und untersucht und wieder überlegt und wieder untersucht. An alles mögliche mußte man denken, an Lawinen, Gesteinsart, Wassermengen, Gefälle, Baumaterialien, Zufahrtswege, Kosten. Schließlich legte Kaech ein neues Projekt vor. Eine Kommission von gelehrten Männern prüfte es und hieß es gut. Darauf (im Jahre 1925) gründeten die Bernischen Kraftwerke zum Bau und Betrieb der Oberhasliwerke eine Tochtergesellschaft, die „Kraftwerke Oberhasli A.-G.“. Ihre Aktionäre sind die Bernischen Kraftwerke, die Stadt Bern und der Kanton Basel-Stadt. Die beiden Städte sind je mit einem Sechstel an Rechten und Pflichten in den Oberhasliwerken beteiligt. Sie haben auch je einen Sechstel des Aktienkapitals aufgebracht.


Im Sommer 1925 begannen die Arbeiten. Zuerst mußten Logier- und Kosthäuser für die Arbeiter gemietet oder gebaut werden. Im Hotel Handeck richtete man ein Spital ein. Eine sehr wichtige Aufgabe war, für die notwendigen Transportmittel zu sorgen. Es mußten nämlich ungeheure Mengen von Materialien, vor allem Zement, aus dem Unterland heraufgeführt und an die Baustellen geschafft werden. Hätte man sämtliche Baumaterialien in einen einzigen Güterzug verladen können, so würde sich dieser von Münster im Jura über Grenchen-Biel-Bern-Thun bis nach Interlaken erstreckt haben. Das sind 144 Kilometer. Von Meiringen nach Innertkirchen errichtete man eine Schmalspurbahn. Von Innertkirchen bis zum Grimselnollen, einem 100 Meter hohen Granitbuckel an den Grimselseen, wurde eine fast 17 Kilometer lange Luftkabelbahn erstellt. Sie diente zur Beförderung von Zement,Bauholz, Lebensmitteln und Postsachen. Die Grimselstraße hatte man schon vorher ausgebessert und in der Nähe des Grimselnollens anders angelegt.


Fast alle Arbeiten wurden ausgeschrieben und an einzelne Unternehmer vergeben. Den Zement, diesen wichtigen Baustoff, bezog die Gesellschaft zum größten Teil aus unterländischen Zementfabriken und gab ihn den einzelnen Unternehmern zu einem festen Preise ab.

Jedem Zementzug, der in lnnertkirchen ankam, entnahm man einige Proben und untersuchte sie in einem besonders hierzu eingerichteten Laboratorium, ob sie richtig zusammengesetzt seien.

In den Sommermonaten konnten jeweilen vielmehr Arbeiter beschäftigt werden als im Winter. Im September 1927 arbeiteten zum Beispiel 1731 Mann, im Januar 1930 nur 169. Im Herbst 1932 wurde das Unternehmen zu einem vorläufigen Abschluß gebracht.

Zu beiden Seiten des Grimselnollens stauen zwei gewaltige Sperrmauern die Aare zu einem See von 5 1/2 Kilometern Länge. Die größere dieser Mauern, die sogenannte Spitallamm, ist unten 64 und oben 4 Meter dick. Ihre Höhe beträgt 114 Meter, 14 Meter mehr als das Berner Münster. Die Spitallamm ist gegenwärtig die zweithöchste Talsperre der Erde.


Aus dem Grimselsee führt ein fünf Kilometer langer Verbindungsstollen im Berginnern der rechten Talflanke das Grimselwasser in den Gelmersee. Auch dieser See ist gestaut worden. Die höchste Höhe dieser Sperrmauer mißt 35 Meter. Aus dem Gelmersee stürzt das Wasser in einem gepanzerten Druckschacht 545 Meter tief hinunter auf die Turbinen des Handeckwerkes.

Die hier erzeugte Kraft wird, der Lawinengefahr wegen, bis nach Guttannen durch Kabel in einem Tunnel geleitet. Eine kleine Bahn befährt ihn und ermöglicht so im Winter eine gefahrlose Verbindung zwischen den beiden Punkten. Von Guttannen an führen Freiluftleitungen die elektrische Kraft nach Innertkirchen.

Das Handeckwerk ist nur der erste und oberste Teil der geplanten Hasli-Werke. Das Wasser, das matt und wie leblos die Handeck Turbinen verläßt, kann man nämlich nochmals fassen, am rechten Hang talaus führen und schließlich mit einem Gefälle von 667 Metern in einem Werk bei Innertkirchen ausnutzen. Auf diese Weise können künftig in Innertkirchen noch bedeutend größere Kraftmengen gewonnen werden als in der Handeck, und zwar weit billiger. Denn es ist diesmal nicht nötig, Staubecken und Sperren zu errichten. Wenn das Handeckwerk 82,5 Millionen Franken gekostet hat, so braucht man für die Anlage Innertkirchen vermutlich nur etwa 32 Millionen zu rechnen. Ihr Bau wird erst begonnen, wenn die Zeit günstiger und der Bedarf an elektrischer Kraft von neuem gestiegen sein wird. Der alleroberste Teil des Wasserstollens ist schon erstellt worden, damit man bei den neuen Sprengarbeiten nicht etwa die Fundamente der Zentrale Handeck erschüttere.

Sollte die Nachfrage nach elektrischer Energie später noch ein zweites Mal anwachsen, so könnten außer der Grimselaare unter der Handeck erst noch ihre verschiedenen Nebenflüßchen bei Innertkirchen ausgenutzt werden. (So die Bäche aus dem Gadmer-, Gen und Urbachtal.)

Während der ganzen Bauzeit bestand zwischen Arbeitern und Unternehmern ein gutes Verhältnis. Es kam zu keinen Streiks und Lohnkämpfen. Größere Unglücksfälle traten nicht ein. lm Verlaufe der sieben Baujahre sind aber doch 22 Menschen ums Leben gekommen. Ein jedes größere Werk erfordert solche Opfer. Wir haben Ursache, ehrfürchtig an sie zu denken. Froh war man, daß man keinen einzigen Hasler von seinem Heimwesen zu verdrängen brauchte. Man mußte bloß einiges nicht sehr wertvolles Weidland unter Wasser setzen.

Samstag, den 1. Oktober 1932, gegen Abend, traf eine ansehnliche Reihe von Automobilen beim neuen Hospiz auf dem Grimselnollen ein. Gleich darnach vereinigten sich die angekommenen Männer zu einer stattlichen Versammlung. Eingefunden hatten sich die bernischen Regierungsräte, die Leiter der Bernischen Kraftwerke und die Verwaltungsräte der Kraftwerke Oberhasli, endlich auch Vertreter der Städte Bern und Basel.

Ingenieur Kaech, der Erbauer des Werkes an der Handeck, ergriff das Wort. Er erinnerte an den Hauptförderer des Unternehmens, Eduard Will, den im zweiten Baujahr der Tod ganz plötzlich dahingerafft hatte: „Es würde wohl heute kein See von der Grimsel zum Gletscher reichen, wenn Oberst Will nicht gelebt und gewirkt hätte.“ Kaech schilderte auch kurz das Werden der Bauten: „Sie sind wohl berechnet und solid ausgeführt. Deshalb können wir heute die Bauanlagen zum Kraftwerk Handeck mit ruhigem Gewissen übergehen. Natürlich müssen sie, wie alle Gebilde von Menschenhand, sorgfältig unterhalten sein. Im Altertum sind schon größere Bauwerke als die Spitallammsperre der Vernichtung anheim gefallen, weil die später Lebenden nicht wachten und sorgten.“ Der Baudirektor des Kantons Bern dankte darauf allen Mitarbeitern und erklärte, er übernehme das Werk im Namen des Regierungsrates.