Zeppelin fährt um die Welt

Nach den Tagebüchern von zwei Mitfahrenden, Heinz von Lichberg und Max Geisenheyner:

«Den 15. August, morgens vier Uhr. Halbe Dämmerung. Durch die noch dunkeln Straßen von Friedrichshafen wandern Tausende der Halle zu. Dazwischen die Autos, die Motorradfahrer, die Radler. Die Werft ist sorgfältig abgesperrt. So stehen nur wenige Menschen vor dem Eingang zum Luftschiff. An der Passagiergondel werden die Namen der Mitfahrenden ausgerufen. Dann gehts die kleine Himmelstreppe ins Wolkenschiff empor. Jetzt setzt sich das Schiff rückwärts nach dem Hallentor zu in Bewegung. Die Zuschauer laufen mit, winken und rufen, drängen und schieben sich . .  Nun sind wir auf dem Wege um die Welt. Um sieben Uhr gibt es Frühstück - die erste Mahlzeit an Bord. Es herrscht Windstille. Um neun Uhr erscheint eine große Stadt: Leipzig. Später geht Berlin vorüber . . Stettin. Danzig, Ostpreußen, Königsberg, die Ostsee. Unvergeßlich die Städte mit ihren heulenden Sirenen, mit ihren Menschen auf den Dächern und den winkenden Tüchern.

Den 16. August früh. Gestern abend ist es noch ziemlich lebhaft hergegangen in unserem Salon, der mit seinen Schreibmaschinen, Ferngläsern, Büchern, Kinoapparaten und Kameras eigentlich nicht mehr viel von einem Salon hat.
Wir nähern uns dem Uralgebiet . . . Plötzlich quellen aus den Wäldern Rauchwolken auf. „Da brennt ja der Wald“, schreit einer. Der Brand hat sich in den dichten Wald förmlich eingefressen, nicht nur in einer Linie. Er hat Feuerreiter nach allen Seiten ausgeschickt. Graurote Rauchwolken ballen sich über den Bäumen und vernebeln die Aussicht.

Nun kamen die Tundren. Sie lagen höhnisch wartend tage- und nächtelang zu beiden Seiten des Schiffes. Trübe Wasserspiegel zwischen trügerischem Algengewächs. Graublaue Wolkenwände ringsum. Die Sonne eine matte Scheibe ohne Leuchtkraft. War es nicht ein grotesker Einfall des menschlichen Geistes, über diese Wüstenei dahinzufahren? War es nicht eine Frechheit, ein Versuchen der ewigen Geschicke? Hätten wir in einer dieser Nächte notlanden müssen, ich glaube, keiner von uns wäre wieder zurückgekommen. Lautlos hätten uns die Sümpfe verschlungen.

Montag. den 19. August. Um sieben Uhr morgens Jakutsk. Wir schaudern über dem, was wir hinter uns haben. Da waren Wälder, die keine Wälder mehr waren, Flüsse, die nicht zu fließen wagten; Seen, die nicht lebten, weil ihr Wasser kein Wasser war. Nun fahren wir südwärts an der Ostküste Japans entlang. Schon haben uns die ersten japanischen Flugzeuge erwischt. An allen flattert die deutsche und die japanische Flagge . . - Tokio ist wunderbar . . .

Die Sonne steht schon ganz tief, und gleich wird die Dämmerung beginnen. Eine riesige Menschenmenge in weiter Absperrung um den Flugplatz, eine Unmenge weißer Pünktchen: Die Marinesoldaten. Wir steuern auf die Pünktchen los; sie werden größer. Unser Wasserballast zischt zur Erde. Die Seile fliegen hinunter; die Soldaten halten uns - da sind wir. - Am Hallentor stehen Empfangsabordnungen und winken. Im Zuge nach Tokio . . .

Den 23. August, nachmittags drei Uhr. Wieder in der Luft. Das schöne, aber im August reichlich heiße Japan liegt hinter uns.

Den 24. August. Vom Stillen Ozean sehen wir nichts. Ununterbrochen rasseln wir über Wolken und Nebel. Immer vorwärts. Manchmal spielt das Grammophon., manchmal nicht. Ich glaube, ich verschlafe den ganzen Stillen Ozean.

Den 1. September. Drei Tage New-York hinter uns: Das war eine wilde Angelegenheit, die Riesenparade, der Ehrenzug mit dem Geschrei der riesigen Menschenmenge und das Riesenbankett im Hotel Astor.

Den 4. September, sechs Uhr. Über der Schweiz. Trotz des frühen Morgens werden wir aus allen Ortschaften lebhaft begrüßt. Und nun Friedrichshafen! Die Stadt ist beflaggt. Auf dem Feld, bei der Halle - liegt ausgebreitet der Landnngspfeil. Ich sehe, wie die Photographen mit der Polizei kämpfen... Die Seile fallen; die Motoren stehen still. »

Noch weit rascher als Reiseverkehr und Güteraustausch vollzieht sich heute die Mitteilung von Nachrichten und Gedanken. Wie anders war es einst! Die Nachricht vom Tode Napoleons auf St.Helena (1821) brauchte 60 Tage. um nach London zu gelangen. Zwei Tage später wußte man es in Paris; nach weiteren sechs Tagen konnte man den Bericht in der ersten deutschen Zeitung lesen. 1833 wurde der Telegraph, 1860 das Telephon, kurz vor 1900 die drahtlose Telegraphie erfunden, und nun sprechen und hören wir durch das Radio.(1936)