Durch!

Ingenieur Rotpletz erzählt, wie der Durchschlag des Lötschbergtunnels erfolgte:

« Wir hatten immer am Tunneleingang angeschlagen, wieviel Meter noch zu durchbrechen seien. Das war eigentlich unklug. Unter den Arbeitern wuchs die Aufregung mit der Verringerung der Meterzahl.

Die Eifersucht, beim Durchbruch dabei zu sein, steigerte sich, und die Leute fingen an zu berechnen, welche Arbeitsschicht es treffen würde. Sie suchten dadurch das Glück zu beeinflussen, daß sie wenig oder teilweise gar nicht arbeiteten, damit dann der Durchbruch auf ihre Schicht falle. Schließlich mußten wir Leute anstellen, die dafür sorgten, daß überhaupt gearbeitet wurde.

Aber nun wuchs auch bei den Ingenieuren die Eifersucht, und es kam dazu, daß wir genaue Vorschriften für die Ingenieure aufstellen mußten. Es kam die Stunde, wo der Anschlag besagte, daß nur noch 13 Meter zu durchbohren seien. Nun war die Aufregung allgemein. Wenn sich Herr Bäschlin verrechnet hätte! Offen gestanden, trauten wir seinen Angaben nie recht, und er selbst sagte ja oft, so genau könne man das eigentlich nicht berechnen. Heute bitten wir ihm alles Unrecht reuevoll ab. Donnerstag nachts zehn Uhr hatten wir abgeschossen, voll Erwartung, voll nervöser Spannung. Es war nichts.

Da setzte ich mich beiseite, und was mir da durch den Kopf schoß, war sehr ernst. Die Tunnelachse stimmte nicht. Wir werden wieder anfangen müssen, Sondierlöcher vorzutreiben. Um vier Uhr trieben wir ein vier Meter langes Bohrloch vor. Nichts! Schließlich haben wir abgeschossen. Nichts! Hoffnungslos grübelte ich vor mich hin.

Plötzlich kommt ein Mann gesprungen. „Durch“ schreit er. „durch !“ ln dem Augenblick hätte ich am liebsten weinen mögen. Aber mich rief die Arbeit. Dann kam der Augenblick, in dem mir Oberingenieur Moreau an einem Bohrer ein Blumensträußchen von der Südseite her durch das Loch entgegenstreckte. Das sind die schönsten Blumen, die ich meiner Lebtag gesehen habe. Bald darauf kroch Moreau, der beleibte Mann, mit einer erstaunlichen Schnelligkeit durch die Öffnung, und was nun folgte, war ein wildes Durcheinander, ein Trubel und ein Jubel unter Arbeitern und Ingenieuren. Das Ganze ein Bild, das mir unvergeßlich bleiben wird.»