3. Von den bernischen Bahnen

Linien im Mittelland

Die Eisenbahnen werden billiges, fremdes Getreide ins Land bringen und dadurch unsern Kornbau und unsere Landwirtschaft überhaupt schädigen. so fürchteten die bernischen Bauern um die Mitte des Jahrhunderts. Und die Wirte, die Fuhrleute, die Sattler, Schmiede, Wagner und Krämer in den belebten Ortschaften rangen bekümmert die Hände: Das neue Verkehrsmittel wird unser Gewerbe ruinieren.

Die Führer des Volkes schauten ebenfalls besorgt in die Zukunft. Ein patrizischer Altschultheiß meinte: Die Lokomotive wird die Unabhängigkeit der kleineren Staaten zum Lande hinausführen. Die damalige bernische Regierung erklärte: Bahnen sind ein notwendiges Übel. Innerlich war die Behörde ihnen abgeneigt; aber sie sah wohl ein: Man kann ihnen, auch wenn man wollte, das Land nicht auf die Dauer verschließen; der Bund würde sich einmischen, und so ist es besser, die Sache selbst und nach eigenem Gutdünken zu ordnen.

Eine baslerische Eisenbahngesellschaft, die sogenannte Zentralbahn-Gesellschaft, plante den Bau einer Linie von Basel über Olten nach Luzern und von Olten aus an den Genfersee. In dieser Ost - Westrichtung, so glaubte man, wird nur ein Schienenstrang rentieren. Und nun fragte es sich: Wo soll dieser eine durchführen, der Aare entlang über Solothurn-Lyss-Yverdon oder über Langenthal, Burgdorf und Bern?

Die Solothurner wünschten die Aarelinie. Schon glaubten sie, durch Verhandlungen mit verschiedenen Bahngesellschaften ihr Ziel erreicht zu haben. Sie freuten sich des Erfolges. Allein nicht lange. Bernische Staatsmänner (unter der Führung von Eduard Blösch) schlossen im Dezember 1852 mit den Kantonen Freiburg, Waadt und Genf einen Vertrag: Wir bewilligen nur eine Bahn, die über Langenthal-Burgdorf-Bern führt.

Die Regierung des Kantons Solothurn hatte von diesen Vereinbarungen keine Ahnung. Wie erschrak sie und wie fühlte sie sich enttäuscht, als sie durch die Zeitungen von ihnen erfuhr! Der solothurnische Große Rat war sehr ungehalten über Bern. Es schädige Solothurn bei den Eisenbahnen wie einst bei den Posten und Straßen, so klagte er.

Selbstverständlich kann es Solothurn niemand verargen, daß es die Aarelinie gewünscht hatte. Es blieb ihm aber jetzt nichts übrig, als nachzugeben und sich mit einer Zweigbahn von Herzogenbuchsee aus zu begnügen. Sie wurde durch die Zentralbahn-Gesellschaft erstellt und schon 1857 bis Biel fortgesetzt.

Der Sieg Berns schien sehr wichtig. Hätte man die Flußlinie gebaut und wäre sie, wie man damals ja glaubte, der einzige Schienen-Strang in dieser Richtung geblieben, so würde sie den ganzen Güter-und Personenverkehr an sich gerissen haben. In den Ortschaften an dieser Linie wären neue Gewerbe, Werkstätten, Fabriken und Gasthäuser entstanden. Langenthal, Burgdorf und Bern dagegen hätten sich wohl nur wenig vergrößert. Die Bundesstadt hätte sich mit einer Nebenbahn nach Lyss zufrieden geben müssen.

Der Kanton Bern erteilte jener Eisenbahn-Aktiengesellschaft von Basel die Erlaubnis, die Linie über Langenthal nach Bern und andere Strecken zu bauen. Dabei erhielt sie allerlei Vorrechte. Es zeigte sich später, daß der Vertrag für den Kanton sehr ungünstig war.

Allein beim Abschluß konnte man das nicht wissen. Bahnen waren eben etwas ganz Neues. So besaß man noch keine Erfahrungen und Anhaltspunkte, um Vor- und Nachteile zu berechnen. Mitte November 1858 konnte man auf dem Bahnhof Bern zum erstenmal den „Kohli“ vor einem fahrplanmäßigen Zug von Olten her dampfen sehen. lm folgenden Jahre eröffnete die gleiche Gesellschaft die Linie Bern-Thun.

Unterdessen waren neue Projekte entstanden. Einmal plante eine Gesellschaft eine Linie Bern-Luzern-Zug-Zürich, und dann wünschten die obersten Behörden unseres Kantons, daß Bern-Biel-Neuenstadt miteinander verbunden würden. Sehr gerne hätte die Zentralhahn diese zweite Strecke gebaut. Allein der Staat Bern wollte die Gesellschaft nicht noch mächtiger werden lassen. Auch wußte man, daß sie dereinst dem Bau von Bahnen im Jura Widerstand leisten und sie schädigen würde. „Wenn die Zentralbahn den Schlüssel in den Händen gehabt hätte, den Verkehr über den Hauenstein oder über den Berner Jura zu leiten, so würde sie gewiß keinen Zentner Waren durch diesen, sondern alles mit ihren eigenen Bahnen über Olten geführt haben“.

So sagte später der Berner Jakob Stämpfli im Großen Rat. _ Eine jede Eisenbahngesellschaft hat natürlich das Bestreben, möglichst viel Verkehr über ihre Linien zu leiten. damit sie besser rentieren und höhere Gewinne abwerfen. _ Der Kanton Bern übergab 1857 und 1858 den Bau der beiden Strecken Zollikofen-Biel-Neuenstadt und Bern-Langnau-Kröschenbrunnen (an der Luzernergrenze) nicht der Zentral-, sondern der sogenannten Ost-Westbahngesellschaft und leistete an die Kosten des Unternehmens selbst zwei Millionen Franken.

Allein die Gesellschaft trieb allerlei Schwindel, beging Fälschungen, täuschte den Regierungsrat und wurde zahlungsunfähig. Der Große Rat setzte eine Kommission ein, welche die ganze Sache zu untersuchen hatte. Als diese Kommission ihren Bericht vorlegte, kam es im Rathaus zu stürmischen Auftritten. Einzelne Großratsmitglieder erhoben heftige Anschuldigungen gegen die Regierung. Die vier Wände mögen ordentlich gezittert haben. Einmal, vom 5. auf den 6. April 1861, beriet man eine ganze Nacht durch bis zum hellen Morgen. _ Schließlich kaufte der Kanton die noch nicht beendigten Linien. Die schon bezahlten zwei Millionen Franken gingen verloren. Zunächst galt es, die Linien fahrbar zu machen. Die Strecke Zollikofen-Biel war noch nicht einmal in Angriff genommen.

Im Sommer 1864 eröffnete der Staat die Abschnitte Neuenstadt-Biel, Bern-Langnau und betrieb sie auf eigene Rechnung. Die Sackbahn Bern-Langnau war unrentabel; so ergab sich zunächst ein jährlicher Verlust von einer halben Million. Und doch war das Geld, das der Kanton für seine Eisenbahnen aufgewendet hatte, durchaus nicht verloren.

Es zeigte sich später.