Fridolin Schuler als Fabrikinspektor in Glarus
Diesem Gesetze gemäß wurde ein Fabrikinspektorat von drei Männern geschaffen.
Bei der zweiten Besetzung des Amtes, im Herbst 1867, wollte niemand die Stelle eines Hauptinspektors annehmen. Das beschäftigte jenen Glarner Arzt, Fridolin Schuler, stark:« Ich bedauerte lebhaft, daß kein Hauptinspektor zu finden war.
Vermutlich muß dies unserem Landammann Dr. J. Heer zu Ohren gekommen sein. Er bat mich eines Tages zu sich, erzählte, wie dieSachen standen, und sprach seine Überzeugung aus, daß unser Fabrikgesetz toter Buchstabe bleibe, wenn kein Inspektorat zusammengebracht werde. Ob ich dies nicht für ein Unglück hielte, fragte er mich. Ich bejahte und erwartete nun die weitere Frage, ob ich ihm jemand vorzuschlagen wüßte.
Stattdessen überraschte er mich mit dem Vorschlag: Gut, so bringen Sie das Opfer und übernehmen Sie die Stelle. Ich verhehle Ihnen nicht, sie wird Ihnen manche Unannehmlichkeiten bringen, vielleicht auch einige Einbuße in der Praxis; aber Sie haben keine Kinder und daher als guter Bürgerdoppelte Pflicht, etwas für das Land zu tun. Mit seiner eindringlichen Beredsamkeit wußte er mich so weit zu bringen, daß ich Bedenkzeit verlangte.Daheim beriet ich mich mit meiner Frau und meinen Eltern. Frau und Mutter mahnten dringend von der Zusage ab.
Ich behielt den Entscheid meinem Vater vor. Seine erste Frage war: Bist du wirklich von der Notwendigkeit eines Inspektorates überzeugt ? Als ich bejahte, mahnte er: So tue deine Pflicht und nimm an. Ich gehorchte.
Die Fabrikanten sahen uns Inspektoren meist ungern. Ja, manche haßten uns wie eine Art neuer Geßler. Nicht viel weniger erbittert war ein Teil der Arbeiter über mich. Ich wurde als Knecht der Fabrikanten, als Verräter der Arbeiterschaft von vielen mit Verwünschungen überhäuft. Allgemach war ich abgehärtet worden und ertrug die spitzigen Bemerkungen leicht, die bei den Fabrikbesichtigungen für mich abfielen.
Am unangenehmsten war mir die beträchtliche Einbuße an Praxis. da die Fabrikanten zu meiner besten Kundschaft gehört hatten, jetzt aber zu einem bedeutenden Teile dem Vielgehaßten fernblieben.
Alles dies war Landammann Heer bekannt geworden. Eines Tages drückte er mir sein großes Bedauern aus, daß er mich zur Annahme des Inspektorates bewogen habe. Ich beruhigte ihn aber, indem ich die Überzeugung aussprach, bald werden beide Parteien erkennen, daß ich weder im Dienste der Fabrikanten noch in dem der Arbeiter gestanden sei oder jemals stehen werde.
So geschah es denn auch. Gelöste Freundschaften wurden wieder angeknüpft; der Arzt fand von neuem Eingang bei seinen ehemaligen Pflegebefohlenen. Selbst die bittersten Gegner söhnten sich im Laufe der Jahre wieder mit mir aus. Die Fabrikanten sahen ein, daß sie viel zu große Befürchtungen von den Neuerungen gehegt.»
In einem neuen Gesetz von 1872 wurde in Glarus die Arbeitszeit auf elf Stunden herabgesetzt.