Von den Kämpfen um Freiburg

General Dufour beschloß, zuerst das alleinstehende Freiburg anzugreifen, um es zum Rücktritt vom Sonderbund zu zwingen. Dieser hatte von Anfang an kaum Aussicht auf einen Sieg, weil sein Gebietweit zerstreut lag und weil er weit weniger Truppen und Geschütze besaß als die Gegner.Was um Freiburg geschah, schildert der Pfarrerssohn und spätere Arzt Eduard Bähler, damals ein Knabe von 15 Jahren, der in Bern das Gymnasium besuchte, den Sonntag und die Ferien aber jeweilen im Pfarrhaus zu Neuenegg verbrachte:

« Schon lange vor Ausbruch des Krieges war zwischen den Grenzgemeinden der Kantone Bern und Freiburg eine starke Spannung eingetreten. Ein Freiburger Fraueli, das vom Postbureau Neueneggaus einen Kreis im benachbarten Sensebezirk besorgte, erklärte uns unumwunden, wenn die Berner in das Freiburgergebiet eindringen sollten, so gebe es keine Gnade, man werde alle, die gefangen würden, umbringen. Solches wirkte sofort auf die Stimmung unserer Dorfbuben. Wenn sie beim Baden in der Sense, wobei etwa der Fluß überschritten und das jenseitige Gebiet betreten wurde, mit Freiburger Buben zusammen stießen, so flogen Schimpfreden und Steine hin und her, und wenn diese nicht genügten, den Feind zum Weichen zu bringen, wurde man handgemein.

In der Stadt Bern fing man schon an, sich auf den Krieg vorzubereiten, bevor die Tagsatzung im Oktober zu einem Beschluß kam. Es bildete sich eine Bürgergarde, gleichsam die Wache der Regierung. Sie zählte vier- bis fünfhundert Mann und bestand aus einer Sektion Scharfschützen und etwa drei Kompanien Infanterie. Dazu kamen noch Sappeurs, mit blinkenden Äxten und in stattlicher Haltung, unter dem Kommando von Bäckermeister von Gunten von der Aarbergergasse und dem Bierwirt Zimmermann, „Zar“ genannt, von der Brunngasse.

vom 15. Oktober an ergingen die ersten Aufgebote im Kanton Bern, und als ich an diesem Morgen mit lateinischen und griechischen Büchern unterm Arm durch das Schulgäßlein einzog, rief mir einKlassengenosse freudig entgegen: Von heute an ist keine Schule mehr, es ist Krieg! Ich eilte nach Hause, nahm meinen Wanderstab und marschierte wohlgemut zum obern Tor hinaus der Heimat zu.Es war ein schöner Herbsttag. Schon in Wangen traf ich Militär. In Neuenegg fand ich die Häuser voller Soldaten, auch das Pfarrhaus hatte Einquartierung.

In den nächsten Tagen, zwischen dem 7. und 13. November, sammelten sich die eidgenössischen Bataillone immer mehr der Freiburgergrenze entlang. Alle Häuser waren mit Soldaten überfüllt. Donnerstag, den 11. November, in später Abendstunde, besammelte Mayor Scherz beim Laternenschein in aller Stille seine Kompanie im Dorfe. Er ließ zum ersten Male scharf laden und kommandierte: Ein Wachtmeister und sechs Mann vor. Diese mußten voraus; die Kompanie folgte und überschritt die Brücke, um die jenseitige Häuserreihe und ihre Umgebung zu besetzen. Gespannt lauschten wir auf der Brücke, ob nun das Schießen beginne. Es blieb aber alles still. Freitag morgen früh zogen die Neunundfünfziger gegen Laupen ab, um von dort das linke Ufer der Saane zu besetzen. Es war drei Uhr morgens, als ein paar Offiziere, darunter Feldprediger Schenk und Leutnant Balsiger von Wabern, zum letzten Male bei uns frühstückten.

Ich saß unbemerkt hinten auf dem erkalteten Ofentritt, auf dem ich, weil mein Bett von einem Offizier besetzt war, die ganze Nacht zugebracht hatte. Die Stimmung war eine äußerst ernste, und ich war Zeuge, wie sie sich unter Händedruck aufs feierlichste gelebten, keinen verwundet in Feindeshand fallen zu lassen, sondern ihm vorher den Gnadenschuß zu geben.Kaum waren die Neunundfünfziger abmarschiert, so kamen neue Truppen von Bern. Das kleine Dorf war gesteckt voll. Da, nach Einbruch der Nacht, fing es fern gegen Süden auf einmal an, mitKanonen zu schießen. Wir standen alle am offenen Fenster mit angehaltenem Atem, ohne ein Wort hervorzubringen. Endlich brach die Mutter in den Ruf aus: Ach, Herr Jesus, gerade so hat‘s auch gedonnert, als die Franzosen ins Land gekommen sind.

Als ich nun die lange Truppenkolonne den Senserain heraufmarschieren sah, stellte ich meinen längst bereitgehaltenen Stutzer samt Waidsack und Hirschfänger hinter die Haustüre und fragte meinen Vater, ob ich meinem Bruder den Habersack tragen und mitgehen dürfe. Er wies mich an die Mutter, diese wieder an ihn. Endlich konnte ich so eine Art Erlaubnis, nachlaufen zu dürfen, auswirken, ich sollte aber nur eine halbe Stunde weit gehen.

Als ich nun, dem väterlichen Befehl gehorsam, bei Baggiwil vom Heimgehen sprach, legten sich die Scharfschützen ins Mittel und wollten mich nicht zurückkehren lassen, weil ich leicht dem feindlichen Landsturm in die Hände fallen könnte. So mußte ich wohl oder übel weitermarschieren. Eine weitverbreitete Plänklerkette vorn und seitlich umgab die auf der Straße marschierende Kolonne. An ihrer Spitze befanden sich zwei Kompanien Infanterie mit einer Kanone und einigen Scharfschützen als Vorhut.

Vorsichtig, mit gespanntem Hahn, näherten sich die Plänkler den Häusern und Waldrändern. In Wünnewil wurden die Häuser durchsucht, und da fanden sich in der Schmiede unter einem Bette mehrere Waffen, darunter eine Sense auf kurzem, geradem Stiel. Ich behändigte sie, um von da an doch auch etwas von Waffe bei mir zu haben. Bei diesen Hausdurchsuchungen nach Mannschaft und Waffen ging es meist nicht ohne Einschlagen der verschlossenen Türen und Fenster ab. Männer waren keine mehr anzutreffen; nur hie und da war ein Weib zurückgeblieben, das scheu im Hause sich versteckte. Das Vorrücken auf der alten Freiburgstraße ging nur langsam vor sich, da sie an vielen Stellen von Quergräben durchbrochen und mit übergefällten Bäumen abgesperrt war, was alles die Sappeurs ausfüllen und wegschaffen mußten.


Jenseits Schmitten, bei den letzten Häusern rechts, hieß es allgemein: „Jetzt kommen wir bald unter das Feuer der Maria Hilferschanzen. Jetzt gibt‘s dann leere Tschakos‘. Wie mir zu Mute war, als die Möglichkeit, ins Treffen zu kommen, so nahe vor mir stand, daran ist mir die Erinnerung mein Lebtag geblieben.

Nun begannen einige Soldaten aus den nächsten Häusern die Frauen und Mädchen, die sie vorfanden, vor sich her zu treiben, um sie mit ihren weithin kenntlichen roten Kopftüchern als Deckung vor das Bataillon zu stellen und so die Freiburger am Schießen zu hindern. Schon waren die schluchzenden Weiber eine Strecke von ihren Häusern entfernt, da legten sich die Offiziere, namentlich Rudolf Schärer, der spätere Direktor der Waldau, energisch ins Mittel und hielten die Soldaten von diesem schmählichen Vorhaben zurück.

Schäfer stürzte sich mit gezogenem Säbel auf die Soldaten und brüllte sie mit den Worten an: „Was machet dir da? Weit dir die Wyber la ga! Mir wei zeige, daß mer se i offener Fäldschlacht möge ! “Selbstverständlich konnten die geängstigten Frauen unbelästigt und getröstet sofort wieder in ihre Häuser zurückkehren. Etwa hundert Schritte vor dem Walde wurde Halt gemacht und ein Biwak eingerichtet. Lebensmittel waren zur Genüge vorhanden, ohne daß man, wie dies bei Belfaux geschah, den Landleuten große und kleine Ware aus den Ställen wegnahm; auch wurde nicht so ausgiebig geplündert wie dort.


Freilich wurden die umliegenden Häuser und Weiler auch abgesucht, um etwas Eßbares aufzutreiben. Aufgefundene Hühnernester wurden geleert. Stroh und Holz waren auch da. Schnaps war ebenfalls vorhanden. Doch sah man die ganze Zeit über keinen betrunkenen Soldaten. Es war eine kalte Novembernacht, und die Zeit wurde uns lange, da wir während fast zwölf Stunden am gleichen Feuer stehen, sitzen oder liegen mußten.

Um Mitternacht kam die Kunde, Ochsenbein habe von Düdingen her, wo er mit den andern Brigaden biwakierte, einen Dragoner mit der Depesche geschickt, Freiburg sei über, und wir sollten morgen gleich wieder umkehren, dem Bernbiet zu. In der Frühe, während der Himmel sich hinter der scharfgezeichneten Stockhornkette rötete und die Waldhörner der Oberländer Schützen einen frohen Marsch in die bitter kalte, helle Morgenluft hinausbliesen, wurde zum Aufbruch gerüstet. Stein und Bein waren gefroren, und fast ebenso kalt war das Frühstück, das aus Schnaps und Brot bestand.Nun ging‘s also wieder in den Kanton Bern zurück. Diese zwei Tage haben einen unauslöschlichen Eindruck in mir hinterlassen, und noch nach fünfzig Jahren ist mir jede Kleinigkeit im Gedächtnis geblieben. Noch heute klingt mir der Marsch, den die Oberländer in der Morgenfrühe bei Schmitten bliesen, in den Ohren.»

 

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