6. Die Entscheidung

Bernhard Meyer: «Mit schwerem Herzen trat ich meine zweite Reise nach Bern am 16. Oktober an. Vorher bat ich Herrn Siegwart auf das eindringlichste, den Kriegsrat zu einer energischen Tat zu veranlassen, sobald von mir die Nachricht einlange, daß der Krieg unvermeidlich sei und wir die Bundesstadt verlassen haben. Um schnelle Kunde von unserer Abreise von Bern nach Luzern gelangen zu lassen, nahm ich einige Tauben auf die Reise mit.

In Bern angekommen, machte ich mit ihnen gleich einige Proben. Sie mißglückten aber alle; keine einzige Taube schlug den Weg nach Luzern ein, sondern sie blieben gemütlich in Bern auf den Dächern sitzen. Ich sorgte nun für eine Anzahl von vertrauten Boten, die ich in dem Augenblick nach Luzern absenden wollte, wo der Krieg beschlossen, ich aber vielleicht an der Abreise verhindert wurde.

Am 18. Oktober, um zehn Uhr, versammelte sich die Tagsatzung.

Am 24. Oktober, einem Sonntag, wurde plötzlich eine Sitzung angesagt. Die Gesandten der sieben Kantone erklärten: Wir können an ihr wegen des Sonntags nicht teilnehmen; sie verlangten Verschiebung bis auf den morgigen Tag. In ihrer Abwesenheit wurde nun auf Zürichs Antrag beschlossen, 50‘000 Mann aufzubieten und Oberst Dufour von Genf zum General zu ernennen.

Am 29. Oktober erschienen die Abgeordneten der sieben Kantone zum letztenmal in der Tagsatzung. Am Ende der Sitzung rief ich mit emporgehobenen Händen Gott zum Zeugen an, daß wir schuldlos seien an den bevorstehenden Greueln eines Bruder- und Bürgerkrieges. Ich stellte unsere gerechte Sache dem Allmächtigen anheim und flehte um Sieg. Es war ein erschütternder Augenblick. Ich selbst war auf das tiefste ergriffen, und Tränen begleiteten meine Worte. Tränen standen auch in den Augen meiner Kollegen; die Gesandten von Basel schluchzten und weinten laut.

Selbst unter unsern Gegnern war feierliche Stille. Nur der Gesandte von Solothurn konnte seinen Groll nicht länger bändigen. Er zitterte vor Leidenschaft und unterbrach die Stille plötzlich: Der Gegner ruft den Namen Gottes für eine Sache an, die gewiß nicht göttlicher, sondern teuflischer Art ist. Wir schieden. Es war gegen zwei Uhr, und damit waren die Würfel geworfen. Am 4.Wintennonat faßte die Zwölfer-Mehrheit den Beschluß, den Sonderbund mit bewaffneter Gewalt aufzulösen.

Ich habe seither meinem Gewissen oft die Frage vorgelegt, ob ich recht gehandelt habe. Ich hätte den Krieg höchstwahrscheinlich vermeiden können. Hätte ich namens meines Standes erklärt, daß ich mich den Beschlüssen der Zwölfer-Mehrheit unterziehe - also in die Jesuitenaustreibung einwillige und aus dem Schutzbündnis der sieben Kantone austrete, so hätte das mit aller Wahrscheinlichkeit einen Krieg verhütet. Es wäre Verwirrung unter meine Kollegen und die obersten Behörden der sieben Kantone gekommen. Die Regierung von Luzern hätte mich zwar abberufen und des Verrates anklagen können. Aber der Ausbruch des Krieges wäre verhindert worden.

Mein Gewissen hat mir aber immer die gleiche Antwort gegeben. Jesuiten und Sonderbundsfrage waren ja doch nur Vorwände für unsere Gegner, und ein feiges Nachgehen in diesen beiden Forderungen hätte die revolutionäre Strömung nur verstärkt.»