Das Patriziat dankt ab
Die Beschlüsse von Münsingen schnitten den Patriziern ins Herz, ganz besonders der Entscheid: Nicht die bisherigen Behörden, sondern vom Volk Gewählte sollen die neue Verfassung ausarbeiten.
Eine Gruppe wollte nicht nachgeben. Es bestand aber Gefahr, daß in diesem Fall der Bürgerkrieg ausbreche. Schultheiß von Fischer erklärte: Ich bin überzeugt, daß ein Volk, wenn es glücklich sein soll, aristokratiseh regiert werden muß. Aber da wir die Liebe und das Vertrauen unseres Volkes nicht mehr besitzen, müssen wir vom Regiment zurücktreten. Donnerstag, den 13.Januar, war Großratssitzung. Um zwei Uhr wurde abgestimmt und von Fischers Antrag angenommen. Nach der Sitzung schritt er langsam mit schwerem Herzen über den Münsterplatz. In tiefer Niedergeschlagenheit kehrte er zu den Seinen zurück. In der Mitteilung an das Volk, die am gleichen Tag erlassen wurde, stand zu lesen:
« Wir Schultheiß, Kleine und Große Räte der Stadt und Republik Bern, tun hiermit kund: Nach dem Beispiel unserer Vorfahren, die nun in Gott ruhen, haben wir uns stets bestrebt, die Verwaltung gewissenhaft zum Besten von Stadt und Land zu führen. Unsere Kraft lag in dem Zutrauen des Volkes. Allein in letzter Zeit haben sich die meisten Gemüter uns entfremdet. In mehreren hundert Bittschriften und Begehren ward uns der Wunsch ausgesprochen, die Verfassung ganz anders einzurichten. Mit tiefer Wehmut mußten wir erkennen, daß wir das Vertrauen nicht mehr herstellen konnten. Darum verzichten wir hiermit auf unser Recht, die neue Verfassung selbst zu beraten. Wir haben für die Wahl eines Verfassungsrates gesorgt. Sobald die Verfassung angenommen sein wird, werden wir die Regierung den Neugewählten übergeben und alle Landesangehörigen aus dem Huldigungseid entlassen, den sie uns geschworen haben.
Wir fordern euch auf, unverzüglich zu Ruhe und Ordnung zurückzukehren
Der Amtsschultheiß: R. von Wattenwyl.
Der Amtsschreiber: Fr. May.»
Damit trat das einst so ruhmvolle Berner Patriziat von seinem Regiment zurück. Auch seine Gegner geben zu, daß es im ganzen geschickt und pflichtbewußt regiert habe. Allein es waren andere Zeiten und andere Verhältnisse mit neuen Gedanken und neuen politischen Lehren gekommen. Sehr wichtig war auch, daß im Wirtschaftsleben Änderungen eingesetzt hatten: Das Vermögen der Patrizier, die keine Geschäfte betrieben, ging zurück, und das Vermögen anderer Schichten mehrte sich. Die Patrizier konnten nicht mehr in gleichem Maße wie einst Glanz entfalten. Die Kreise aber, die zu Wohlstand und Bildung gelangt waren, erfüllte ein starkes Selbstbewußtsein, und so strebten sie energisch nach einer Staatsform, in der sie mehr mitzuregieren hatten als in der bisherigen. Die Führer der Liberalen gehörten dieser Schicht von Vermöglichen und Gebildeten an. Es ist nicht zufällig, daß nach dem Bericht von J.L.Schnell an jenem Volkstag in Burgdorf sich meistens Männer „aus den besseren Klassen“ eingefunden haben. Und die Appenzeller Zeitung bemerkt einmal, die bernische Regierung möge erkennen, daß nicht bloß einige Ehrgeizige und Strudelköpfe die Verfassungsänderung wünschen, sondern „daß die rechtschaffensten, gebildetsten und wohlhabendsten Kantonsbürger sie laut begehren“. Vermutlich hat Karl Schnell diese Sätze geschrieben.