Der Tag von Münsingen
Eduard Blösch:
« Ende Dezember teilten angesehene Männer aus Thun Professor Hans Schnell mit, am 10. Jänner werde es auf Bern losgehen. Schnell konnte sie nur dadurch von unklugen Schrittenzurückhalten, daß er den Vorschlag machte, an diesem Tage eine Versammlung der achtungswürdigsten Männer des ganzen Kantons zusammenzurufen. - Statt der anfangs erwarteten 100 Personen trafen am 10. Januar zwischen 1200 und 1500 Männer in Münsingen ein„aus 20 verschiedenen Amtsbezirken, mehrere als Vertreter ganzer Gemeinden.
Professor Hans Schnell ergriff zuerst das Wort und warnte vor Ungeduld und ungesetzlichen Mitteln. Er wurde mehrmals unterbrochen durch eine Stimme, welche die Bürgerschaft von Bern in Schutznehmen wollte. Sie wurde aber zuletzt ziemlich derb zum Schweigen gebracht. Nicht ohne Mut suchte auch der patrizische Oberamtmann von Konolfingen die Regierung zu verteidigen. Er wurde im ganzen ruhig angehört; nicht so ein anderer Patrizier, der schließlich gezwungen wurde, sich zu entfernen.
Mit steigender Ungeduld erwartete die versammelte Menge die von Oberstlieutenant Hahn in Aussicht gestellte Botschaft, die Regierung werde die Werbungen verbieten. Schon fing man an, aus seinem langen Ausbleiben auf ungünstige Nachricht zu schließen. Sehr geschickt wußte Professor Hans Schnell die Aufmerksamkeit der Menge von dieser Angelegenheit abzuwenden durch den Vorschlag, das Verzeichnis der Anwesenden abzulesen. Allein plötzlich hieß es: Herr Hahn ist da. Er trat in die Kirche, begab sich sogleich, sichtbar erschöpft von der Eile, auf die Empore und erklärte mit lauter Stimme, er habe das Vergnügen mitzuteilen, daß der Kleine Rat beschlossen habe, die Werbungen einzustellen.
Unterbrochen wurde die ruhige und schöne Haltung der Menge nur einen Augenblick, als Doktor Karl Schnell beantragte: Nicht die bisherigen Behörden sollen die neue Verfassung entwerfen, sonderneine direkt vom Volke gewählte Versammlung, ein Verfassungsrat. Der Gedanke zündete. Trotz aller Einwände, die gegen ihn gemacht wurden, fand er immer wieder den Iärmenden Beifall der Menge.
Gegen drei Uhr trennte man sich wieder, ohne daß es zu irgendwelchen gewaltsamen Auftritten gekommen wäre.»