Pressefreiheit -- Die Schweiz soll nicht taubstumm werden
Die Bürger wollten das Recht haben, Zeitungen und Bücher zu drucken, ohne daß eine Behörde vorher das von Hand Geschriebene kontrollieren und teilweise verändern oder streichen konnte. Dieses Recht nennt man Pressefreiheit. Oft umgingen die Schreibenden diese Kontrolle, die Zensur, dadurch, daß sie ihre Zeitungen, Flugschriften oder Bücher in einem andern Kanton drucken ließen. Oder sie rückten das, was sie auf dem Herzen hatten, in außerkantonale Zeitungen ein. Darauf blieben die Regierungen aber die Antwort nicht schuldig. Sie verordneten dann: Die und die Zeitung ist bei uns verboten. Gelegentlich machten sich an der Tagsatzung die Abgeordneten gegenseitig Vorwürfe über mißliebige Artikel oder Tagesblätter. Ein deutscher Reisender schildert:
«Eines Tages erhebt sich in der Tagsatzung der Berner Gesandte und zieht den „Schweizerboten“ - eine freisinnige Aargauer Zeitung - aus der Tasche, in der einige Verfügungen der bernischen Regierung getadelt werden. Er entrüstet sich über diese Kühnheit, ruft ein vielfaches Wehe über das Blatt aus und beantragt schließlich, es in der gesamten Eidgenossenschaft zu verbieten. Mit Erstaunen über Berns Klage ergreift St. Gallens Gesandter das Wort. Noch bevor er redet, steckt er dem Berner Gesandten die „Gemeinnützigen Nachrichten aus Bern“ entgegen, die für den Abt von St. Gallen gegen die Regierung Partei nehme. Es versteht sich, das Blatt muß unterdrückt werden. Auch der aargauische Gesandte beantragt, die Berner Blätter zu verbieten. So war die Schweiz der Gefahr nahe, ihre öffentlichen Blätter zu verlieren und taubstumm zu werden. Mit ängstlicher Hitze wurde die Frage mehrere Stunden lang erörtert, worauf dann doch der gute Geist siegte. Die Zeitungen blieben bestehen. ››
Pfarrer Kuhn verteidigt die Zensur:
« Bisher bestand in Bern eine Zensurkommission, die darüber wachen sollte, daß keine schlechten, für Religion, Sitten, Friede und Ruhe gefährlichen Bücher und Schriften gedruckt und verkauft würden. Und mir, wie manchem anderen, schien das nicht unrecht. - Es ist verboten, daß jemand Gift verkaufe außer den patentierten Ärzten und Apothekern, und es darf niemand Gift kaufen, als wer durch ein Zeugnis beweisen kann, daß man ihm`s anvertrauen dürfe. Und das finden ja alle recht, damit Unheil verhütet werde. Aber sind schlechte Bücher und Schriften nicht auch Gift? Gefährliches Gift für die Seele? Und das sollte so ohne Polizei und Aufsicht verkauft werden dürfen? Wenn alles gedruckt und nichts verboten werden kann, wie wollt ihr hindern, daß nicht Unanständigkeiten, unzüchtige Lieder und Gespräche, Lügen und Verleumdungen, Spott über Religion und Bibel, kurz, alle Gottlosigkeit gedruckt wird?»
Karl Schnell erwiderte darauf:
'Bis dahin hat es im Kanton Bern auch eine Art von Preßfreiheit gegeben, aber nur für die Junker und Herren. Sie hatten die Zensur nicht zu scheuen, weil sie sie ja selbst ausübten. Durch die Zensur bewirkten die Junker, daß man in den Zeitungen ihres Landes nur für ihre Herrschaft, aber nichts gegen sie schreiben und drucken konnte. Nur die eine Partei konnte ihre Meinung sagen; die andere mußte schweigen. Die Appenzeller Zeitung und andere Blätter, über die keine Zensur wacht, nehmen dagegen auch Artikel wider die Junker und ihre Vorrechte auf und überlassen es dann getrost dem Leser, sich für die eine oder andere Meinung zu entscheiden. Wo Pressefreiheit herrscht, da kann jeder Staatsbürger über öffentliche Angelegenheiten ungehindert schreiben und drucken lassen, was ihm beliebt. Nur darf er nicht lügen oder verleumden. Tut er das, so muß er über das Gesagte Rede stehen vor den Gerichten.»