2. Klagen und Wünsche in der Schweiz
Die schweizerischen Kantone müssen sich besser miteinander verbinden, so daß ein einiges Gesamtvaterland entsteht. Das war das eine Ziel der Neugesinnten. Ihr zweites lautete: Das Volk soll freier, selbständiger werden. Hierfür begannen sie zuerst zu kämpfen. An der bisherigen Ordnung hatten sie viel zu tadeln. Vor allem meinten sie:
Die Regierung bedeutet zu viel und das Volk zu wenig
Die Führer erklärten: Der Staat soll so geordnet sein, wie es die Mehrheit der Bürger verlangt. 1814 ist das Volk aber nicht nach seinen Wünschen gefragt worden. Es konnte fast nirgends über die neuen Verfassungen abstimmen. Die Großen Räte erklärten diese von sich aus in Kraft. Der Unterschied zwischen den Regierenden und den Regierten schien diesen seither in allen Dingen zu groß.
Aus Bern ist uns erzählt: « Als ein junger, begabter Mann einem Fremden in Bern bei einem Besuch mitteilte, er habe soeben die Prüfung als Notar bestanden, bemerkte ein zufällig anwesender Ratsherr im Ton gnädigster Herablassung: Ah, das ist charmant! da chönnet d‘r einisch, wenn d‘r ech guet uffüehret, Amtsnotar werde, u villicht sogar einisch, wenn d‘Regierig mit ech z‘friede-n-isch, Amtsschryber. –
Nachdem der Patrizier sich entfernt hatte, brach der Fremde in den Ausruf aus: Haben Sie es gehört! So sind sie alle ! Sie sollen Gott danken, wenn Sie einmal Amtsnotar werden ! » (20 Jahre nach dem Sturz des Patrizier Regimentes wurde jener junge Mann, Eduard Blösch, Präsident des bernischen Regierungsrates.)
Ihre Geschäfte führten die Regierungen treu und ehrbar. Sie waren aber der Meinung: Man muß sie geheim halten, damit das Ausland nichts von ihnen vernimmt. Und so berichteten sie auch dem eigenen Volke nicht über ihre Verwaltungsarbeit und legten ihm keine Rechenschaft ab über die Verwendung der Steuergelder.
Die Großratssitzungen waren nicht öffentlich. Niemand, der nicht Mitglied war, durfte den Beratungen beiwohnen und zuhören. Zu dem kam: Die Großen Räte, die Abgeordneten des Volkes, hatten viel weniger zu bedeuten als heute. In Luzern z. B. besaß diese Behörde bloß das Recht, die Vorschläge des Kleinen Rates anzunehmen oder zu verwerfen; aber er konnte sie nicht abändern.
Zwischen den Mitgliedern des Großen und des Kleinen Rates bestanden Rangunterschiede. Es kam vor, daß der Kleine Rat vor Eröffnung der Großratssitzungen die Mitglieder des Großen Rates stundenlang im Vorsaale warten ließ. Die meisten Staatsstellen wurden im Grunde auf Lebenszeit vergeben.
Die Neugesinnten murrten hierüber: « Wer auf Lebenszeit gewählt ist, wird allzuleicht selbstherrlich. Und weil er seiner Stelle sicher ist, kümmert er sich zu wenig um das Interesse und die Wünsche der Bürger. Von Zeit zu Zeit ist eine Wiederwahl notwendig. Diese erinnert den Beamten daran, daß er sein Amt und seine Amtsgewalt vom Volk hat.»