Die Franzosen verjagen ihren König im Juli 1830
Nach dem Sturze Napoleons bestiegen wieder Angehörige des alten bourbonischen Herrscherhauses den französischen Königsthron. Bis 1824 regierte Ludwig XVIII. und dann Karl X., beides Brüder Ludwigs XVI., der in der großen Revolution hingerichtet worden war. Der Gedanke: Eine Nation - ein Staat! beschäftigte die Franzosen nicht. Sie hatten das Gefühl: Wir sind geeinigt. Hingegen wünschten sie eine Verfassung. Ludwig XVIII. erließ eine solche und befolgte sie auch. Sein Bruder und Nachfolger, Karl X., aber war ihr bitter feind und wünschte eine völlig andere Staatsordnung. Er stand im Bunde mit den alten Adeligen und den Geistlichen. Die Adeligen, die zur Zeit der Revolution aus dem Lande geflohen, jetzt aber zurückgekehrt waren, dachten: Eigentlich ist nur ein absolut regierender Herrscher ein rechter König. Auch forderten sie Entschädigungen für ihre verlorenen Güter. Karl X. sorgte dafür, daß sie eine Milliarde Franken erhielten, obschon das gegen eine Verfassungsbestimmnng war.
Die Geistlichen erklärten: Weil die Menschen im 18. Jahrhundert vom rechten Glauben und der Kirche abgefallen sind, kam es zur Französischen Revolution. Wenn wir verhüten wollen, daß das Unheil sich wiederholt, muß die Kirche wieder zu mehr Ansehen, Macht und Einfluß gelangen. Karl X. ließ darum verordnen: Die Bischöfe sind die Vorgesetzten der Lehrer. Er sorgte überhaupt dafür, daß die Geistlichen im Schulwesen wieder mehr zu bedeuten hatten und dadurch ihre Überzeugungen verbreiten konnten. Mit der Begünstigung von Adel und Geistlichkeit waren aber nicht alle französischen Untertanen einverstanden. Liberale Fabrikanten und Bankeinleger murrten darüber, daß sie durch Steuern und andere Abgaben das Geld für die Entschädigung der Adeligen zusammenbringen mußten. Und daß man in Zeitung und Buch oft nicht sagen konnte, was man wollte, erbitterte sie ebenfalls. So begannen in Frankreich allmählich immer mehr Menschen zu denken: Die Französische Revolution ist doch etwas Gewaltiges und Großes gewesen; es kann die Zeit kommen, wo wir sie erneuern müssen.
Das war die Stimmung, als der König plötzlich willkürliche Verordnungen, die sogenannten Ordonnanzen, erließ. Montag, den 26.Juli 1830, standen sie in der Staatszeitung. Die Pariser konnten sie beim Morgenkaffee lesen. Da hieß es zum Beispiel: Die Preßfreiheit ist aufgehoben. Das Wahlgesetz ist abgeändert. ›-- Es konnten in ganz Frankreich jetzt nur mehr 5 bis 6000 Bürger an den Wahlen teilnehmen. - Der König hatte aber nicht das Recht, von sich aus Gesetze aufzuheben oder einzuführen. Als ein Minister diese königlichen Verfügungen Sonntag abends um elf Uhr dem Redaktor übergeben und den hastig lesenden Mann gefragt hatte: „Was sagen Sie dazu ?“, antwortete dieser: „Gott erhalte den König und Frankreich. Ich habe alle Kampftage der Revolution gesehen und gehe fort mit einem tiefen Schrecken vor neuen Erschütterungen“.
Was der Redaktor geahnt hatte, geschah. Die Franzosen wollten sich die Willkür nicht gefallen lassen. Zuerst versammelten sich viele Zeitungsmänner von Paris und verabredeten einen Protest. Er wurde noch Montag abends gedruckt und am Dienstag morgen auf fliegenden Blättern zu Tausenden in den Gassen, Kaffeehäusern und Kramläden verteilt und von Stühlen und Tischen herab vorgelesen. Da hieß es zum Beispiel: Das gesetzliche Regiment hat aufgehört, das der Gewalt hat begonnen. So besteht im gegenwärtigen Augenblick keine Pflicht mehr zu gehorchen.
Die Regierung schickte Polizisten und Soldaten aus. Sie sollten einige Druckerpressen zerstören und die Volksansammlungen zerstreuen. Ein Augenzeuge schildert die Vorgänge, die sich in diesen Tagen abspielten: «Dienstag früh waren alle Wachen verdoppelt und in der Stadt verteilt worden. Vormittags wogten die Straßen voller Menschen. Die Unruhe stieg; aber es kam zu keiner Gewalttat.
In der Nacht läuteten alle Sturmglocken. Die Vorräte an Waffen bei den Schwertfegern wurden verteilt. Wer keine Flinte hatte, nahm einen Degen; wer keinen Degen besaß, ergriff einen Stock. Ja, auch ohne alle Waffen stellten sich Menschen aller Art zum Angriff ein. Die Bürger traten als Nationalgarde zusammen, besetzten das Rathaus und alle Hauptkirchen. So kam es denn am Mittwoch zu einer furchtbaren Schlacht. Unter Gewehrfeuer kletterten die Schüler des Polytechnikums, den Degen zwischen den Zähnen, an Säulen und Gittern in den Louvre hinauf und stürzten die Schweizer hinab oder metzelten sie nieder. Mitten im Kartätschenfeuer fällte man die Bäume der Boulevards, um Barrikaden gegen die anrückende Reiterei zu hauen.
Auf dem Boulevard des Italiens steht kein einziger Baum mehr, und auf andern fehlen nicht wenige. Das Pflaster wurde aufgerissen und die Quadern mannshoch aufeinandergehäuft, ja, Bretter, Balken, Bettstellen, Fässer, Buden, Karren, umgeworfene große Kutschen wurden übereinander aufgetürmt. Es ist gewiß nicht zu viel, wenn ich die Zahl der Barrikaden auf 3000 schätze, sah ich doch deren sechs auf 200 Schritte. Jeder würde glauben, es gehörten Monate zu dem, was binnen zwölf Stunden beendet ward.
Die Kartätschen, mit denen man die Straßen reinigen wollte, taten keine Wirkung, da die Bürger sich in den Häusern hielten und aus den Fenstern schossen. Doch fielen wohl wenige durch diese Kugeln; verheerend wirkten andere Geschosse. Man hatte nämlich die großen Granitquadern, womit Paris gepflastert ist, bis in die höchsten Stockwerke hinaufgeschleppt und warf sie den Soldaten auf die Köpfe. Jemand versicherte mir, er habe gesehen, daß die Kanoniere einer Batterie auf diese Weise ganz zerschmettert wurden. Am Donnerstag erfolgte der letzte Kampf beim Rückzug der Truppen.
Am merkwürdigsten war, daß während dieser furchtbaren Aufregung schärfste Ordnung bestehen blieb, das heißt, es kam nirgends zu Plünderungen oder rachsüchtigen Taten. Nur das Bild von der Krönung Karls X, ward im Louvre verstümmelt und seine Büste zum Fenster hinausgeworfen. Auch waren in Paris alle Zeichen der Bourbonen, Wappen und Lilien, abgenommen, abgekratzt, zugeklebt oder mit Schmutz beworfen.»
Der Kampf kostete 1000 Menschen das Leben. Karl X. mußte nach England entfliehen. Ein Teil der Aufständischen wünschte eine Republik. Aber eine andere Gruppe fürchtete : Das könnte zu einem ähnlichen Chaos führen wie zur Zeit der Französischen Revolution; wir müßten von neuem um Leben und Eigentum zittern. So wurde Louis Philipp zum König gewählt. Er entstammte einer Seitenlinie der bisher regierenden Bourbonen.