Metternich meinte, die gemütlichen Wiener seien zufrieden
Zur Zeit Metternichs reiste ein konservativer Zürcher nach Wien, um mit den dortigen Oberbehörden eine Neuregelung des Postverkehrs zu besprechen. Bei dieser Gelegenheit hatte er auch eine Zusammenkunft mit dem Fürsten Metternich. Der Zürcher (Johann Caspar Bluntschli) erzählt:
«Die Leiter des Staates waren überall ganz alte Herren. Ich sah in einer Gesellschaft einen achtzigjährigen Feldmarschallieutenant, der nicht mehr hörte und in den Gliedern zitterte und trotzdem noch Präsident einer hohen Kriegsbehörde war. Als der strebsame Oberst Zitta einen Plan zur Verteidigung Wiens entworfen hatte und ihn dem Präsidenten des Hofkriegsrates einreichte, gab ihm dieser den Plan mit den Worten zurück: Behalten Sie ihn für sich. Wenn man erfährt, daß Sie solche Arbeiten ohne Auftrag aus eigenem Wissenstrieb unternehmen, könnte Sie das in Ihrer Beförderung schaden. Es gibt unter uns so viele alte Herren, die einen Abscheu haben vor aufstrebenden Geistern. Wo sie einen wittern, bereiten sie ihm nur Schwierigkeiten und Plagen.
Nur Adelige mit sechzehn adeligen Ahnen dürfen zu Hofe gehen, nicht aber deren Frauen, wenn sie nicht von Adel sind. In diesem Dunstkreis leben der Hof, Fürst Metternich und die leitenden Staatsmänner. Wie sollen sie da das Volk kennen? Dazu genügen die Berichte der Polizeibeamten nicht. Man flüsterte in Wien über Politik; man sprach nicht über Politik.
Am meisten interessierte mich die Bekanntschaft mit dem Fürsten Metternich. Ich machte zwei Besuche bei ihm. Metternich war damals schon ein alter Herr. Aber noch ging er aufrecht, eine hohe, aristokratische Gestalt. Er hatte offenbar das Bewußtsein, daß die österreichische Monarchie zur Hauptsache von ihm regiert werde. Der Kaiser kümmerte sich nicht um die Staatsgeschäfte und verstand auch nichts von ihnen.
In den beiden Gesprächen sagte Metternich mir unter anderem: Die hiesige Bevölkerung ist im Geistigen von einer gutmütigen Trägheit. Sie kümmert sich wenig um die auswärtigen Zustände; aber sie will doch etwas davon erfahren, was in der Welt vorgeht. Doch betrachtet sie die Dinge, wie man zur Unterhaltung einen Roman liest oder ins Theater geht. Sie nimmt keinen ernsten Anteil daran. Sie ist innerlich zufrieden und vergnügt. Es ist ihr rundum wohl. Es fehlt ihr ja nichts.
Jedenfalls werden wir - und dabei klopfte er mit dem Zeigefinger energisch auf den Tisch - die Zensur sicher nicht aufgeben. Die auswärtigen Zeitungen kann man nur bei der Post bestellen, wenn wir es zugeben. Machen sie es zu arg und bringen sie zu viele Artikel über Österreich, so verbieten wir der Post, Bestellungen anzunehmen.»