1. Freiheit und Einheit
Mit der neuen Ordnung, welche die europäischen Völker und Staaten erhalten hatten, war eine große Partei nicht zufrieden. Sie konnte nicht vergessen, was sie von der Französischen Revolutionerhofft hatte: Freiheit. Darunter verstand sie: Das ganze Volk soll zur Regierung etwas zu sagen haben; vor allem dürfen die Regenten die Staatsbürger nicht einfach so regieren, wie es ihnen gerade beliebt. lm Gegenteil, sie sollen sich dabei an genaue Vorschriften halten. Diese Vorschriften müssen überall in Verfassungen niedergelegt werden und klar bestimmen, was der Regent und was das Volk zu befehlen hat, und was für Rechte der einzelne Bürger besitzt. Die Männer, die so dachten und in denen ein solcher Sinn für Recht und Freiheit lebte, nannte man Freisinnige oder Liberale. Die eifrigsten unter ihnen hieß man oft auch Radikale.
Neben diesem Freiheitsgedanken lag vielen Menschen jener Zeit noch etwas Zweites am Herzen. Seitdem Napoleon mit seinen Heeren Europa durchstürmt und seine Brüder und Generale zu Königen und Fürsten gemacht hatte, erwachte in den unterjochten Völkern allmählich ein tiefer Haß gegen die Fremdherrschaft. Sie kamen zur Überzeugung: Die Völker sind verschieden voneinander; ein jedes ist etwas für sich. Die Deutschen zum Beispiel spürten viel schärfer und lebhafter als einst: Wir sind Deutsche - und wollen Deutsche sein. Wir sprechen die gleiche Sprache, hören als Kinder die gleichen Märchen, lesen die gleichen Bücher und singen dieselben Lieder. Wir feiern die gleichen Feste, haben überhaupt ähnliche Sitten und sind gleichen Blutes. Aus all dem folgerten sie: Wir wollen in einem gemeinsamen Staate miteinander leben; dieser soll alle Deutschen, aber nur Deutsche umfassen. Denn wir gehören zusammen; wir bilden ein Volk - eine Nation.
Ähnlich wie die Deutschen empfanden die Italiener. Sie forderten: Die verschiedenen italienischen Sonderstaaten sollen sich zusammenschließen zu einem einigen und einzigen Italien. Einheit - nationale Einheit _ das war neben der Losung: Freiheit - der zweite wichtige Ruf der damaligen Zeit. Heute wissen wir, daß die Lehre, nur Angehörige des gleichen Blutes sollen politisch zusammengehören, etwas übersieht: Die verschiedenen Rassen und Völker haben sich sehr stark miteinander vermischt; in jeder Schulklasse, oft sogar in ein und derselben Familie, gibt es zum Beispiel Blonde und Dunkle. So ist es gar nicht mehr möglich, jene Forderung zu erfüllen.