Die bernische Verfassung von 1815

lm Herbst 1815 erhielt Bern eine neue Verfassung. Die oberste Behörde bildete der Große Rat, der 299 Mitglieder zählte. Hiervon waren 200 Patrizier und 99 Landleute. Die 200 patrizischen Stadtberner wählten und ergänzten sich selbst. Da die Großratsmitglieder weder Taggelder noch Reiseentschädigungen erhielten, erschienen die vom Land sehr oft nicht. So waren denn die 200 Patrizier unter sich, wie vor 1798. Zu weitaus den meisten Sitzungen lud nur die Ratsglocke ein. Das genügte. Der Rat tagte hinter verschlossenen Türen. Niemand durfte den Besprechungen zuhören. Ja, die Ratsherren mußten einen Eid schwören, „alles geheim zu halten, was geheim zu halten geboten wird oder sie selbst bedünkt“. Besondere Beamte, vier Heimlicher, hatten darüber zu wachen, daß die Beratungen verschwiegen wurden. Fast alle wichtigen Ämter hatten die alten regierenden Familien auf Lebenszeit inne. Ob diese politische Ordnung dem Volke gefalle oder nicht. darnach fragte niemand. Sie wurde ihm nicht zur Annahme oder Verwerfung vorgelegt.

Wir stellen uns heute unwillkürlich vor, das Volk habe sich gewiß darüber empört, daß es nur so geringe politische Rechte erhielt. In Wirklichkeit kümmerte sich der Großteil wenig um diese Fragen.Die Regierenden führten die Verwaltung treu und redlich, bezogen kleine Gehälter, forderten nicht schwere Abgaben und sorgten doch zugleich für die Zukunft: Der Staat machte Ersparnisse und trugSorge zu den schönen Wäldern. Der Wohlstand des Volkes wuchs.

Einer Minderheit jedoch genügte das nicht. Glück in Haus und Stall, in Feld und Werkstatt galt ihr nicht als das Einzige und Höchste. Sie beschäftigte sich auch mit dem öffentlichen Leben und wollte das Recht haben, frei zu reden und mitzuraten. Die Unzufriedenheit zeigte sich im Oberland.Wegen der Spannung mit Aargau forderte die bernische Regierung im Sommer 1814 die Bürger auf, sich als Freiwillige einschreiben zu lassen. lm Oberland meldeten sich aber nur wenige. Der Oberamtmann von Interlaken schöpfte gegen einige angesehene Bürger _ unbegründeten _ Verdacht, sie hielten im geheimen das Volk von der Einschreibung ab. Plötzlich, mitten in einer Nacht, ließ er drei Bürger gefangen nehmen und nach Bern führen. Gerüchte verbreiteten sich, es würden noch weitere Verhaftungen erfolgen. Das regte die Bewohner auf. Sie rotteten sich zusammen. Ein Pfarrhelfer faßte eine ehrerbietige Bittschrift an die Regierung ab. Bevor die Unzufriedenen Zeit hatten, tätlich zu werden, sandte die Regierung Truppen, ordnete Untersuchungen an und sprach harte Urteile. Ein Beteiligter wurde zum Tode, ein anderer zu 16 jähriger Kettenstrafe verurteilt. Beide hatten sich geflüchtet. Im ganzen wurden beinahe 40 Personen mit Gefängnis und schweren Bußen belegt.