Der weiße Neger

Weiße und Schwarze haben sich durch Heiraten untereinander vermischt. Zuweilen vermag man äußerlich den Abkömmling zweier Rassen von einem Reinrassigen nicht zu unterscheiden. Ein derartiger Mischling, ein „weißer Neger“ in den Vereinigten Staaten, der als Knabe nicht wußte, daß die Voreltern seiner Mutter zum Teil Farbige waren, schildert seine Lebensschicksale:

« In der Schule waren auch schwarze und farbige Knaben und Mädchen; einige davon in meiner Klasse. Gegen Ende meines zweiten Schuljahres kam eines Tages der Direktor, sprach einige Worte mit der Lehrerin und sagte dann aus irgend einem Grunde: Alle weißen Schüler sollen einmal aufstehen. Ich erhob mich mit den andern. Die Lehrerin sah mich an, rief meinen Namen und sagte: Setze dich; stehe erst mit den andern auf ! Ich verstand nicht recht und sagte: Wie bitte? Sie wiederholte mit etwas sanfterer Stimme: Setze dich jetzt und stehe erst nachher mit den andern auf. Ich setzte mich. Mir war, als hätte mir einer mit einer Keule auf den Kopf geschlagen. Ich sah und hörte nichts mehr. Als sich die andern erhoben, merkte ich es nicht einmal Die Schule war aus„ ich ging wie betäubt davon. Einige der weißen Knaben höhnten mich: Also du bist auch ein Nigger ! Ich hörte, wie schwarze Kinder sagten: Wir wußten, daß er ein Farbiger ist.

Vielleicht mußte alles so geschehen; aber ich habe der Lehrerin, die in so grausamer Weise vorging, nie verziehen. Mag sein, daß sie nicht einmal ahnte, welchen Stich sie mir an jenem Tage versetzt hatte und daß ich jahrelang nicht von ihm genesen sollte. Man findet farbige Ärzte und Rechtsanwälte zu Dutzenden, Schullehrer in Mengen und kleine Angestellte zu Hunderten. Allein diese studierten Farbigen sind gezwungen, niedere Stellungen anzunehmen, da ihnen andere nicht offen stehen. Die Weißen aber haben eine große Auswahl unter den zahlreichen höheren Berufen, die nur ihnen zugänglich sind.»

Später, als Erwachsener. ist jener „Neger“ Zeuge, wie eine aufgeregte, blutdurstige Menge weißer Männer einen schwarzen Verbrecher einfängt und ohne irgend ein richterliches Urteil in grausamster Weise auf der Stelle verbrennt. Tief erschüttert berichtet der Mischling hievon und bemerkt dann:

« Ich ging etwas abseits und setzte mich hin, um meine verwirrten Gedanken wieder zu sammeln. Scham und das Gefühl tiefster Etniedrigung befielen mich. Scham, daß ich einer Rasse angehörte, mit der man so umgehen konnte; und Erniedrigung, weil mein Land, dieses größte demokratische Reich der Welt, vielleicht der einzige Staat ist, wo man einen lebenden Menschen heute noch verbrennen kann.»

 

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