im Urwald Südbrasiliens
Ein ehemaliger schweizerischer Urwald-Pfarrer, Hans Frehner, erzählt :
« Wenn der Kolonist sein Urwaldlos ausgesucht und den Kaufbrief in der Tasche hat, dann hat er endlich erreicht, was er sich ersehnte. Aber wie sieht dieses Land aus? Es ist Urwald, weiter nichts als undurchdringlicher, struppiger Urwald ! Er ist so dicht, daß man keinen Schritt hinein tun kann, ohne sich zuvor mit der Buschsichel einen Weg zu bahnen. Schritt für Schritt, mit dem Messer in der Hand und mit hohen Lederstiefeln angetan, um vor Schlangenbissen und Skorpionstichen sicher zu sein, muß Platz gemacht und der Urwald gelichtet werden.
Wenn der Kolonist mit dieser Arbeit beginnt, muß zuerst das Laubdach eines Baumriesen als Wohnung dienen, nachher eine dürftige Laubhütte, später ein Blockhaus aus ungesägten Baumstämmen. Zum Schluß, nach etwa zehn Jahren, wenn die Ernten erträglich waren und man nicht unter den Heuschrecken zu leiden hatte, entsteht ein schönes, weißgetünchtes Haus aus selbstverfertigten Ziegeln und Backsteinen, die an der Tropensonne getrocknet wurden. Es enthält zwei bis drei geräumige Stuben zu ebener Erde. Die vielbeschäftigte Hausmutter braucht keine Fenster zu putzen, weil keine da sind. Eine Kehrichtschaufel ist auch unnötig, weil sie allen Unrat gleich zur Stubentür ins Freie hinaus kehren kann. In jeder Stube bangen ein paar bunte Bilder an den Wänden und daneben Halftern und Riemen, Steigbügel und anderes Sattelzeug.
Um eine Jucharte Urwald zu fällen, braucht ein einzelner Kolonist, wenn er ein tüchtiger und fleißiger Mann ist, vier bis fünf Wochen. Gewöhnlich helfen ihm schon ansässige Kolonisten mit der Buschsichel Unterholz, Bambus und Rohr niederschlagen. Nachher kommen die meterdicken, steinharten Stämme an die Reihe. Auf jeder Jucharte Land stehen ungefähr 80 bis 90 Stück. Vier bis fünf Wochen bleibt alles in der südamerikanischen Gluthitze liegen, genau wie es hingefallen ist. Dann ist der gefällte Urwald, mit Ausnahme der riesigen Stämme, so spindeldürr, daß man den Brand wagen kann. So entsteht die erste Rocca (Pflanzfeld). Was Beil und Messer verschont haben, frißt das Feuer. Die gewaltigen Stämme aber, die unverbrennbar sind, verkohlen und verfaulen erst nach Jahr und Tag. In dieses unheimliche Gewirr von halbverkohlten Baumstümpfen pflanzt der Kolonist nach der Regenzeit, wenn die Asche abgekühlt ist, seinen Mais, seine Kartoffeln und sein erstes Gemüse. Hierbei kann nicht mit dem Pflug gearbeitet werden, weil die Baumleichen alle paar Schritte kreuz und quer herumliegen. Der Kolonist turnt über all diese Hindernisse hinweg, schlägt mit der Hacke reihenweise Löcher in den Boden, legt vier bis fünf Maiskörner in jedes Loch und deckt mit dem Fuße wieder zu. Vor Schlangen und anderem braucht er sich vorerst nicht mehr zu fürchten, weil bei dem Waldbrennen eine Unmenge von Ungeziefer, Schlangen, Vogelspinnen, Skorpionen, Ameisen, Wildkatzen und jungen Affen zugrunde gegangen sind. Nach kurzer Zeit beginnt es zu grünen und zu sprossen, so daß nach drei Monaten der Ansiedler seine ersten Kartoffeln ernten und nach vier Monaten aus selbst geerntetem Mais sein eigen Brot backen kann.
Es gehen gut sechs bis acht Jahre vorüber, bis die gewaltigen Stämme verfault und die Stöcke in Backofen und Küche verbrannt sind. Erst dann kommt der Pflug zu seinem Recht. Das neue Land trägt zehn Jahre, ohne gedüngt zu werden. Ein Düngen wie bei uns ist unmöglich, weil das Vieh nie im Stalle ist, auch nicht bei Nacht. Nach zehn Jahren wird das nun entkräftete Land der Wildnis überlassen. Es bildet sich sofort wieder Wald. Nach wenigen Jahren wird dieser wilde Nachwuchs durch Brennen und Schlagen wieder in Acker umgewandelt. Im Verlaufe dieser Zeit hat die Kolonie ein ganz anderes Aussehen erhalten. Aus dem Wohnschuppen ist ein Haus entstanden.
15 bis 20 Schweine, 3 bis 4 Kühe, ebenso viele Pferde und ungefähr 100 bis 150 Hühner, Gänse und Enten bringen Leben ums Haus und oft auch ins Haus. Wozu denn Pferde? Ohne Pferde ist das Leben in Brasilien unmöglich; denn die großen Entfernungen können nicht zu Fuß zurückgelegt werden. Sogar die Kinder reiten zur Schule, und am Sonntag reitet alles zur Kirche; auf dem Pfarrhof zählte ich oft 500 bis 600 gesattelte Pferde.»