Brasilienfahrer
Anfangs des 19. Jahrhunderts wandte sich der König von Brasilien an die Schweiz. Er versprach Auswanderern Ländereien, Wohnungen und Geldunterstützungen. Vielen Gemeindebehörden und Armen war die Einladung willkommen. Anfangs Juli 1819 verließen 1100 Freiburger, Walliser und Waadtländer auf vier Barken den Hafen von Estavayer. Eine große Menschenmenge, die sich zu diesem Ereignis eingefunden hatte, winkte den Brasilienfahrern Abschied.
Unterwegs schlossen sich noch ungefähr 900 Solothurner, Berner und Aargauer an. Am Ende des zweiten Reisetages begrüßte die Stadt Solothurn die Auswandernden mit Kanonendonner. Nach einem Ruhetag wurde die Fahrt in sechs flachen Booten fortgesetzt. Erst von Basel und Mainz an erhielten die Schiffe Holz- oder Tuchbedachung. Ende Juli kamen die Reisenden in Dortrecht an. Sie hatten von Wind und Wetter übel gelitten. Nun mußten sie auf die Abfahrt warten; es blieb ihnen nichts übrig, als im Freien zu kampieren. Endlich stachen sieben Schiffe von Amsterdam und Rotterdam aus in die See. Auf der Überfahrt starben 316 Personen. In Brasilien erging es den Überlebenden sehr schlecht. Sie wurden auf jede Weise übervorteilt. Viele erhielten unfruchtbaren Boden und ungenügende Häuser. Ihr Elend war so groß, daß man in der Schweiz und im Ausland Geld für sie sammeln mußte. Die meisten dieser Kolonisten verließen bei erster Gelegenheit die Ansiedlung. Die einen zogen weiter auf besseres Land, wo sie ihr Auskommen fanden. Andere arbeiteten in Bergwerken oder traten in die Armee ein.
Vielleicht noch schlimmer erging es Brasilienwanderern in den 50er Jahren. Die brasilianische Regierung und brasilianische Pflanzer, die Arbeiter nötig hatten, ließen in Europa verkünden, daß Einwanderer gegen das Verrichten kinderleichter Arbeit auf Kaffeeplantagen den halben Ertrag erhielten; das sei so vorteilhaft, daß der Ansiedler in wenigen Jahren das zugeteilte Land zu kaufen vermöge und so zu Haus und Heim komme. Die Gemeinden zahlten Hunderttausende von Franken als Vorschüsse. Wer sich zum Wegzug entschlossen hatte, konnte die Zeit der Abreise kaum erwarten. Tagelang saßen die Auswanderungslustigen beisammen in den Wirtshäusern und bauten Luftschlösser.
Es kam anders, als sie erwarteten. Da sie alles, was sie zum Leben nötig hatten, beim Gutsherrn zu hohen Preisen kaufen mußten und überdies noch durch falsche Rechnungen und ungeeichte Maße betrogen wurden, gerieten sie in immer größere Schulden. So war ihre Lage nicht viel besser als die von Sklaven. Darum reiste ein Gesandter des Bundesrates hin, untersuchte die Verhältnisse, verhandelte mit Regierung und Pflanzern und verschaffte den armen Ausgewanderten, unter denen es Krüppel, Lahme, Blinde und Bucklige gab, einige Erleichterungen.