Auf nach Amerika !
Im allgemeinen sahen die Regierungen im 18. Jahrhundert die Auswanderungen nicht gerne. Sie stellten sich vor: Je zahlreicher ein Volk, desto mehr Güter erzeugt es und desto wohlhabender und stärker ist der betreffende Staat. Im 19. Jahrhundert jedoch wurde die Sache anders. Die Bevölkerung Europas nahm ständig zu, vor allem weil die Sterblichkeit sank. Von 100 Neugebornen z. B. starben im ersten Lebensjahr 1876 in der Schweiz 20, 1913 10 und 1930 5. Die Medizin hatte große Fortschritte gemacht, und die im ganzen wohl bessere Nahrung, Kleidung und Wohnung stärkten die Widerstandskraft gegen Krankheiten.
So hieß es jetzt: Vor der drohenden Übervölkerung kann nur Auswanderung schützen. Viele Gemeindebehörden im In- und Auslande kamen auf den Gedanken, die Auswanderung der Armen und der Tu-nicht-gute zu fördern. Zu diesem Zwecke gewährten sie gerne Unterstützungen. Sie leisteten z. B. Beiträge an die Reisekosten oder schickten den Ausgewanderten Hilfsgelder, „damit sie nicht wiederkommen möchten“. Es waren wüste Geschäfte: Die Gesunden und Wohlhabenden der Heimat spedierten Kinder, Greise, Gebrechliche und Arme ins sichere Elend.
Nicht nur europäischen Gemeindebehörden, auch amerikanischen Pflanzern und Gründern von Kolonien war die Auswanderung erwünscht. Die Pflanzer litten unter dem Mangel an Arbeitskräften, besonders weil im Laufe des 19. Jahrhunderts die Sklaverei abgeschafft wurde. Gründer von Kolonien aber, die vom Staate weite, noch unbenutzte Ländereien gekauft hatten. brauchten Pächter und Unterkäufer, um die erhofften Gewinne zu erlangen. Auch Transportunternehmer, Besitzer und Aktionäre von Schiffen und Eisenbahnen, Wirte, Verkäufer von Reiseproviant, Kleidern und Werkzeugen in den Ein- und Ausschiffungshäfen suchten möglichst viele Europäer für die Auswanderung zu gewinnen. Ähnlich wie einst die kriegführenden Fürsten nahmen sie Werber, sogenannte Agenten, in ihren Sold. Diese durchzogen Stadt, Dorf und Landschaft und malten in Reden und Schriften das Glück aus, das der Auswanderer jenseits des Meeres genieße. Es war sehr bescheiden, wenn eine solche Schrift den Titel trug: „Sicherer Rath für Arme, nach Amerika zu kommen und wie leicht man dort in kurzer Zeit zu Haus, 2 Küh und 12 Jucharten Land kommen könne“. Bezahlte Zeitungsartikel und bestellte Briefe von bestochenen Ausgewanderten führten die Leser irre. Für jeden Gewonnenen erhielten die Agenten einen gewissen Geldbetrag.
Im Grunde zog jeder Amerikaner, der Fleisch, Korn oder Baumwolle zu verkaufen hatte, früher oder später, direkt oder indirekt, Vorteil aus der Zuwanderung; denn je mehr Nachfrage, desto höher der Preis der vorhandenen Güter.
Oft wäre das eifrige Werben nicht einmal nötig gewesen. Viele, besonders die Armen, stellten sich von vornherein vor, in Amerika sei alles viel besser. Sie hofften auf ein interessantes, Robinson-ähnliches Leben und glaubten, unter Palmen oder in Blockhütten werde man auf alle Fälle glücklich.
Jetzt, Änni, hör
Von J. Schüeber, 1834
«Jetzt, Änni, hör, es kömmt mich an,
Daß es hier nicht mehr gehen kann!
Was bleib ich ein geplagter Mann,
Wenn man es besser haben kann?
Bei meinem Gott! ich schwing den Hut
Und fasse mir auch frischen Mut.
Dort an des Missisippi Strand
Winkt mir ein neues Vaterland.
Dir steht ein freier Hof wohl an,
Und du wirst stolz auf deinen Mann.
Denke dir dort, liebe Mutter,
Iınmerfort die G‘schirr voll Butter;
Die Herden geben Milch und Fleisch,
Die Felder Früchte, Brot und Reis.
Hast dort einmal dich satt gegessen,
So ist Europa bald vergessen.»