Gemeindeabstimmung vom 24./26. Mai 1963
ll. Baurechtsvertrag mit der Automobiles VOLVO S.A.
zur Zeit Lausanne, Hauptsitz später Lyss, betreffend ein Areal von 30‘000 m2 mit Geleiseanschluss am lndustriering
Werte Gemeindebürger,
Ungefähr zur gleichen Zeit wie die Französische Automobilfirma SIMCA in Poissy bei Paris hat sich auch die weitaus grösste schwedische Automobilfabrik AB VOLVO, Göteborg, zum Bau einer zentralen lmportanlage Schweiz entschlossen.
Die VOLVO suchte im Oktober 1962 durch direkte Begrüssung sehr vieler Gemeinden und durch lnserate in der Tagespresse ein für ihre Zwecke geeignetes Terrain von rund
30'000 m², also genau die gleiche Fläche wie die SIMCA auch. lm Oktober 1962 haben wir der VOLVO ganz kurz mitgeteilt, dass wir in der Loge wären, eine solche Fläche zur Verfügung zu stellen, dass wir aber keine Bedingungen nennen, ohne vorerst alle Einzelheiten durch direkte mündliche Verhandlungen vorbesprochen zu haben. Dann blieb monatelang alles still, man hörte nur, dass die VOLVO angeblich nach Kerzers gehe, man hörte auch, Aarberg mache das Rennen, man vernahm später, Schönbühl/Urtenen stehe nunmehr im Vordergrund. Da wir in jenen Monaten sehr eingehende Verhandlungen mit der SlMCA führten und bekanntlich im Dezember 1962 mit ihr den inzwischen durch die Urnenabstimmung genehmigten Kaufvertrag über 30‘000 m² zum Preis von total Fr. 1‘200000.- abschlossen, ist bei uns die VOLVO begreiflicherweise praktisch vergessen worden. Da trat sie Ende Januar plötzlich mit uns in Verbindung und meldete ihr lnteresse an, trotz des Kaufes der SlMCA ebenfalls nach Lyss zu kommen, unsere Ortschaft sei mit drei andern aus der Vielfalt der über 200 eingegangenen Offerten einzig Übriggeblieben und scheine die grundsätzlichen Voraussetzungen zu erfüllen. Wir erklärten uns zu positiven Verhandlungen bereit, allerdings müsse die SIMCA nicht etwa dagegen sein. Das ist heute auch nicht mehr der Fall, obwohl die SlMCA begreiflicherweise – vorerst nicht besonders erbaut war, in nächster Nähe einen Konkurrenten zu haben, dann aber eine schriftliche Erklärung abgab, keine Opposition zu machen. Die Verhandlungen wurden weitergeführt, die zuständigen VOLVO-Experten aus Schweden waren von unserem lndustriering begeistert, die durch die VOLVO durchgeführten Bodenuntersuchungen ergaben günstige Resultate und zuletzt stand Lyss in der Reihe der in Frage kommenden Standorte an erster Stelle. Wir führten auch Besprechungen mit dem kantonalen Volkswirtschaftsdirektor und stellten fest, dass der Regierungsrat es sehr begrüssen würde, die VOLVO in den Kanton Bern zu bekommen. Der Gemeinderat hat das Interesse der VOLVO sehr gründlich behandelt und auch das Problem der Risikoverteilung eingehend diskutiert. Er kam letzten Endes mit allen gegen eine Stimme zum Schluss, der VOLVO eine Offerte zu unterbreiten und wenn möglich einen Vertrag abzuschliessen, da ja dieser Vertrag der Urnenabstimmung unterliegt, so dass der Stimmbürger das letzte Wort hat, diese Offerte, auf die wir später zurückkommen, wurde der VOLVO am 19. März 1963 als Ergebnis sehr eingehender Vorverhandlungen schriftlich unterbreitet und auf 31. März 1963 befristet.
Wer ist VOLVO?
Heute der zweitgrösste industrie-Konzern Schwedens. Seit der Gründung vor 36 Jahren haben sich die VOLVO-Werke fortlaufend in einer starken Aufwärtsentwicklung befunden. Triebfedern dieser günstigen Entwicklung waren die beiden Gründer Assar Gabrielsson und Gustav Larson, die dank ihres Weitblickes und ihrer grossen Fähigkeiten das Unternehmen auch während der schwierigen Verhältnisse in den Vierzigerjahren und in der ersten Nachkriegszeit sicher geführt haben, bis die allgemeine Konjunktur nach 1950 zum Durchbruch kam und auch VOLVO zur Grossindustrie wurde.
Nach einem stufenweisen Aufbau befindet sich das Unternehmen jetzt in seiner grössten lnvestitionsperiode, und zwar sowohl hinsichtlich seiner Produktionsanlagen, als auch in Bezug auf die weltweite Verkaufs- und Kundendienstorganisation.
AB VOLVO, Göteborg, umfasst die Hauptverwaltung des VOLVO-Konzerns, mit den Konstruktionsabteilungen, Versuchswerkstätten und Montagefabriken für VOLVO-Personen- und -Kombiwagen, Lieferwagen, Benzin- und Diesellastwagen sowie Omnibusfahrgestelle. Eine Reihe anderer VOLVO-Gesellschaften stellt in modernsten Giessereien und Maschinenfabriken Benzin- und Dieselmotoren, Bremstrommeln, Getriebe für Automobile, Boots- und lndustriemotoren, Werkzeugmaschinen, insbesondere Drehbänke und Fräsmaschinen, Traktoren, Strassenbaumaschinen, Landwirtschaftsmaschinen, luftgekühlte Kolben-Flugmotoren, Strahltriebwerke, Druckpressen u. a. m. her. - Die Anzahl der Arbeiter und Angestellten des VOLVO-Konzerns betrug auf Anfang 1963 insgesamt 18000 Personen.
Die VOLVO-Werke sind der grösste Automobilhersteller in Schweden. lm Jahre 1962 wurden 103 411 (92 949) Fahrzeuge verkauft. Bei den Neuzulassungen in Schweden von Personenwagen und schweren Lastkraftwagen steht VOLVO mit 52 808 (50 404) Einheiten an der Spitze. Die VOLVO-Werke erzielten 1962 einen Umsatz von 1300 (1137) Millionen Schwedenkronen : 1074 (948) Millionen Schweizerfranken. Der gesamte VOLVO-Konzernumsatz betrug 1882 (1674) Millionen Schwedenkronen = 1570 (1368) Millionen Schweizerfranken. lm Jahre 1962 erzielte die VOLVO einen gegenüber dem Vorjahre um 83 % auf 154,7 Millionen sKr. verbesserten Bruttogewinn. Der Umsatz ist um 14 % auf 1,3 Mrd. sKr. gestiegen. Der Export hat um 18,4 % auf 618 Millionen sKr. zugenommen, daran waren die EFTA mit 254 (211) Millionen sKr., die EWG mit 91 (76) Millionen sKr. und die USA mit 129 (85) Millionen sKr. beteiligt. Der erzielte Betriebsgewinn hat sich mit 108 (54) Millionen sKr. verdoppelt. Der Nettogewinn stellt sich nach Abzug der auf 39 (14) Millionen sKr. gestiegenen Steuern auf 30 (19) Millionen sKr., auf dem Aktienkapital von 171 (114) Millionen sKr. wurde eine unveränderte Dividende ausgerichtet, ein wesentlicher Teil des Reingewinnes diente zur Selbstfinanzierung des Ausbauprogrammes. Auf jeden Fall ein glänzender Rechnungsabschluss.
Die Automobiles VOLVO S.A., Lausanne
ist die schweizerische VOLVO-Gesellschaft. ln ihrem Verwaltungsrat ist VOLVO-Göteborg massgeblich vertreten. Die Schaffung einer grossen, modernen zentralen lmportanlage Schweiz drängt sich auch für die VOLVO auf, sie unternahm die eingangs erwähnten Anstrengungen, als Schlussergebnis aller Studien und Standortuntersuchungen von über 200 Bewerbern hiess der in dieser Rangliste Erstplazierte «lndustriering Lyss!›› Einmal mehr haben wir ausser unserer ausgezeichneten Verkehrslage wegen vor allem deshalb obenausgeschwungen, weil unser Industriegebiet nicht nur auf schönen Plänen, sondern in Wirklichkeit und dies dank dem Vertrauen der Bürgerschaft in die weitgesteckten Ziele der Gemeindebehörden - grosszügig mit Strassen, Elektrizität, Wasser, Telephon, Kanalisation und Geleiseanlagen erschlossen ist oder soeben wird. «Zuerst säen, dann ernten›› das hat sich auch im Fall VOLVO neuerdings gelohnt.
Der Baurechtsvertrag
Wir haben der VOLVO eine Doppelofferte unterbreitet, betreffend Abtretung einer Parzelle von 30 000 m2 am lndustriering durch Verkauf (Fr. 50.- pro m²) oder im Baurecht (Fr. 40.- pro m² mit lndexklausel), wobei wir einen Vertragsabschluss im Baurecht anstrebten und der VOLVO auch darlegten, dass die Bürgerschaft dem Baurecht weit freudiger zustimme als dem Verkauf. Da das Baurecht in Schweden keine unbekannte Sache ist und die VOLVO etwa einen Drittel des Gesamtareals ebenfalls im Baurecht erworben hat, ist dieser unser Vorschlag durchgedrungen und unser Entwurf zu einem Baurechtsvertrag mit ganz geringfügigen Abänderungen gutgeheissen und am 16. April 1963 durch Herrn Notar Morf verurkundet und von den bevollmächtigten Vertretern der VOLVO und uns unterzeichnet worden, mit dem üblichen Genehmigungsvorbehalt durch die zuständige Urnenabstimmung. Dieser Baurechtsvertrag ist sehr ausführlich gehalten, umfasst insgesamt 36 Artikel und befasst sich in sorgfältig überlegter Formulierung mit allen Problemen, welche man in einem auf ein halbes Jahrhundert abgeschlossenen und gültigen Vertrag zu beachten und zu berücksichtigen hat. Es handelt sich dabei um stichwortartig einen Querschnitt durch den Vertragsinhalt zu vermitteln - um die Beschreibung des baurechtsbelasteten Grundstückes, die Umschreibung des dinglichen Inhaltes des Baurechtes, die Vertragsbestimmungen ohne dingliche Wirkung, die Bestimmungen über das Bauobjekt, die Beschreibung der Gebäude, die Verpflichtungen der Grundeigentümerin, die Grundrentenverpflichtung und weitere Leistungen der Baurechtsberechtigten, die Bestimmungen über die Erneuerung oder Ablösung des Baurechtes, die Errichtung von Vorkaufsrechten, die Sicherstellung der Verpflichtungen der Baurechtsberechtigten und die Schlussbestimmungen betreffend Grundbucheintragung, Genehmigungsvorbehalt
und Vertragskosten.
Dieser Vertrag liegt auf der Gemeindeschreiberei 10 Tage vor und nach der Urnenabstimmung jedem Stimmberechtigen zur Einsichtnahme auf.
Wir empfehlen der Bürgerschaft diesen Baurechtsvertrag zur Annahme. Er sichert uns für die Vertragsdauer selbst wenn von der Indexklausel nicht Gebrauch gemacht würde, für die im Baurecht der VOLVO zur Verfügung gestellten 30‘000 m² eine jährliche Bodenrente von Fr. 48 000.- oder für die Vertragsdauer Fr. 2 400 000.- wobei das Grundstück im Eigentum der Gemeinde verbleibt. Die VOLVO entrichtet darüber hinaus erst noch einen einmaligen Beitrag von Fr. 150 000.- an die Erschliessungskosten.