Ausschnitte aus Botschaften an die Stimmbürgerschaft Gemeindeabstimmung vom 5./6. Juli 1952

Wenn unsere Gemeinde seither zu ihrer heutigen Größe und Bedeutung heranwachsen konnte, so hat sie das weitgehend der Bahn zu verdanken. Es sei in diesem Zusammenhang festgehalten, daß sich die Gemeindeversammlung von Lyss im Jahre 1860 für den Bahnbau und die Gewährung einer Beitragsleistung von Fr. 25,000.- entschieden hat.

Das heutige Bahnhofgebäude wurde im Jahre 1864 gebaut. Es mag in der damaligen Zeit ganz hübsch präsentiert haben. Seither sind lediglich zwei kleinere Erweiterungsbauten ausgeführt worden, einerseits der Wartsaal auf der Südseite, andererseits die WC-Anlagen auf der Nordseite. Im Gebäude selbst ist nur eine einzige Wohnung eingebaut, diejenige des Bahnhofvorstandes. Man wird ihn um diese Wohnung kaum beneiden. Die Anordnung der Räume ist schlecht, die Beleuchtung ist mangelhaft. Das gilt noch in erhöhtem Maße für die Diensträume.

Das heutige Postgebäude stammt ebenfalls aus dem Jahre 1864. Es soll damals als Restaurant gedient haben. Im Jahre 1883 wurde es dann von der Bernischen Jura-Bahngesellschaft übernommen und ging im Zusammenhang mit der Verstaatlichung der Jura-Bahn in den Besitz der Bundesbahnen über. Es diente als Dienstgebäude. Später wurden in ihm die Post und die Telephonzentrale der PTT untergebracht. Es ist ein ausgesprochen unschöner, ja häßlicher Bau, der zudem vor allem äußerlich seit Jahren einen trostlosen Anblick bietet.

II. Die Bedeutung des Bahnhofes Lyss


Lyss ist heute für den Gesamtverkehr als Bahnhof II. Klasse klassiert und steht mit 3744 Punkten anläßlich der letzten Klassifikation in dieser Klasse erheblich gefestigt da. Wir führen nachstehend zur Illustration dieser Klassierung einige Beispiele von SBB-Bahnhöfen ähnlicher Bedeutung wie Lyss und von unsern Nachbarstationen auf. Die nachstehende Aufstellung zeigt, daß die Aufwärtsbewegung in Lyss angehalten hat, während andere Bahnhöfe ähnlicher Struktur Punktverluste erlitten haben.

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In Bezug auf den Personenverkehr ist festzustellen, daß mit Ausnahme einiger Schnellzüge, insbesondere internationaler Expreßzüge, alle Schnell-, Eil- und Personenzüge in Lyss halten und die Anschlüsse von und nach den vier Richtungen Bern, Biel, Payerne und Solothurn sichern.

Die Gesamtzahl der jährlich verkauften Billette bewegte sich während der letzten 20 Jahre vor dem letzten Weltkrieg um rund 85,000. Das Maximum wurde im Jahre 1944 mit 173,000 verkauften Billetten erreicht. Im Jahre 1950 waren es 113,500 Billette, im Jahre 1951 117,500 Billette.

Im Güterverkehr halten, mit zwei Ausnahmen, sämtliche Güterzüge in Lyss an. Die jährliche Gesamttonnenzahl des Güterverkehrs unserer Ortschaft bewegte sich von 1920 bis 1933 um 40,000 Tonnen. im Jahre 1936 fiel sie dann infolge der Krise auf 21,000 Tonnen. Später erfolgte ein Wiederanstieg erfreulicher Art; das bisherige Maximum wurde im Jahre 1948 mit 91,600 Tonnen erreicht. Im Jahre 1950 betrug diese Zahl rund 60,000 Tonnen, 1951 rund 72,600 Tonnen.

Die durchschnittliche Anzahl Züge pro Tag hat sich von 1921 bis 1945 verdreifacht, mit Ausnahme der Jahre 1942 / 44, wo infolge des Weltkrieges auch im Zugsverkehr der Schweiz Einschränkungen angeordnet werden mußten.

Der tägliche Durchschnitt betrug z. B. 1949:

Lyss - Suberg = 44 Züge

Lyss - Aarberg = 25 Züge

Lyss - Busswil := 73 Züge

III. Die gegenwärtigen Bahnhofanlagen weisen zahlreiche Nachteile auf.

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Das Geleise 1, längs des Perrons I (Personenzüge von und nach Aarberg) ist zu kurz, dies umso mehr, als das Geleise gegenüber dem Bahnhofgebäude frei bleiben muß, damit die Reisenden sich nach den übrigen Geleisen begeben können.

Das Geleise 2 (Personenzüge Richtung Biel) befindet sich nicht längs eines Perrons von normaler Höhe. Der Geleise Zwischenraum ist nur bis auf Schienenhöhe angeschüttet. Diese sehr primitive Einrichtung stellt für die Reisenden sowohl beim Ein- und Aussteigen, als auch für den Gepäck- und Post-Ein- und Auslad ein sehr lästiges Hindernis dar.

Für das Geleise 3 (Personenzüge Richtung Bern) zeigen sich die gleichen Unzukömmlichkeiten, obschon sich dieses Geleise längs des Perrons II befindet. Das Fehlen einer Geleiseunterführung erfordert tatsächlich, daß der gesamte Personen- und Güterverkehr auf der Seite des Geleises 2 abgewickelt werden muß.

Das Geleise 4 (Personenzüge von und nach Solothurn) hat eine ungenügende nützliche Länge. Der Personenverkehr und der Gepäckdienst auf dem Perron ll können zwar an sich leicht bewältigt werden, doch ist der Zugang zu diesem Perron viel zu beschwerlich und ausgesprochen gefährlich, da die drei sehr stark benutzten Hauptgeleise 1, 2 und 3 überquert werden müssen.!!
Die Gütergeleise, welche ungenügend lang sind, zwingen die Züge, bis über die Sicherheitszeichen hinauszufahren. Die Wagenzufuhr auf den Freiverladegeleisen verursacht komplizierte Rangierbewegungen. Der Tierauslad muß öfters zwischen dem Bahnhof- und Postgebäude, also mitten im Personenverkehr, mit einer fahrbaren Verladebrücke, durchgeführt werden.

Das Einfahrgeleise von Suberg her dient dem Rangierdienst als Ausziehgeleise. Das Fehlen eines besonderen Ausziehgeleises, Richtung Suberg, erschwert den Rangierdienst in bedenklicher Weise. Der Rangierdienst muß das dem Zugsverkehr dienende Hauptgeleise beanspruchen. In Anbetracht des dichten Zugsverkehrs auf der Strecke Lyss - Suberg werden dadurch häufig Zugsverspätungen und große Zeitverluste für den Rangierdienst, sowie sehr große Unfallgefahren, heraufbeschworen.

Es bedarf der unaufhörlichen besonderen Achtsamkeit des ganzen Personals, um dieser Unfallgefahr erfolgreich zu begegnen. Daß nicht mehr schwere Unfälle vorgekommen sind, muß schon fast als Wunder bezeichnet werden.

IV. Die Vorkehren der Gemeinde Lyss


Alle diese Mängel sind von den zuständigen Bahnorganen schon längst ebenfalls festgestellt worden. Der Gemeinderat hat insbesondere in den letzten Jahren in seinen Interventionen bei der Kreisdirektion I in Lausanne und bei der Generaldirektion der SBB in Bern auf diese nahezu unhaltbare Lage hingewiesen.

Das Haupthindernis zur Verwirklichung einer neuen, auch betrieblich genügenden Bahnhofanlage bildete immer wieder die chronisch schlechte Finanzlage unserer Bundesbahnen, Die zur

Verfügung stehenden Mittel müssen in erster Linie immer neu zur Verbesserung der Verkehrssicherheit reserviert werden. Für Hochbauten vor allem bleiben in der Regel keine Kredite

mehr frei.

Der Gemeinderat hat seine Bestrebungen seit mehreren Jahren konsequent darauf gerichtet, bei den Bundesbahnen das Verständnis und die Bereitschaft für eine Gesamtlösung zu wecken. Er hat mit voller Überlegung stets einen höflichen Verhandlungston angeschlagen und von imperativen Forderungen unter Würdigung der prekären Lage der Bundesbahnen Umgang genommen. Die Devise lautete «Nume nid gschprängt, aber gang hü !»

Es ist gelungen, die zuständigen Organe der Kreisdirektion I für die Dringlichkeit des Ausbauprojektes Lyss zu interessieren. Anfangs 1951 erfolgte auf Grund einer neuen Eingabe an die Kreisdirektion I in Lausanne eine engere Fühlungnahme. Es stellte sich dabei heraus, daß wohl im Laufe der vielen vergangenen Jahre eine sehr große Zahl von Detailprojekten für dies und das ausgearbeitet und dann irgendwo <<schubladisiert›› worden war, daß aber doch ein umfassendes generelles Projekt

für die gesamte neue Bahnhofanlage fehlte. Die Bundesbahnen versprechen, unverzüglich an diese Aufgabe heranzutreten, sie haben dieses Versprechen auch, und zwar in erfreulich kurzer

Zeit, eingehalten.

V.Das Projekt für die Erweiterung der Bahnhofanlagen von Lyss

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Werte Mitbürger!

Jahrzehntelang schon rufen wir nach einem neuen Bahnhof. Immer neu wieder stellen wir fest, daß unsere aufstrebende und saubere Ortschaft sich gerade an ihrem wichtigsten Schlüsselpunkt, am Bahnhof, eigentlich am unvorteilhaftesten, um nicht zu sagen etwas schäbig, präsentiert. Nun bietet sich uns die Chance, raschestens zum Ziel zu kommen. Es gilt, den heute günstigen Moment nicht zu verpassen. Wir sind darauf aufmerksam gemacht worden, daß der Ausbau der Großbahnhöfe Bern und Genf bevorsteht und daß es sehr schwer halten würde, das Projekt Lyss auszuführen, wenn einmal die Arbeiten in Bern und Genf, die zusammen über 100 Millionen Franken erfordern, angefangen sind.

Der Beitrag von Fr. 150,000- ist für unsere Gemeinde im Blick auf das, was wir dafür erhalten, tragbar. Wir können ihn in drei Jahresraten von Fr. 50,000.- leisten. Der neue Bahnhof wird auf Generationen hinaus der Bevölkerung und als schmucke Visitenkarte der Ortschaft dienen. Wir dürfen uns auch freuen, daß das häßliche Postgebäude verschwindet und einem Neubau Platz macht, der der Bahnhofgegend zur Zierde gereichen wird. Die PTT haben uns verbindlich wissen lassen, daß die Einwohnergemeinde an das neue Post» und Telephon-Gebäude keinerlei Beiträge zu leisten hat.

Werte Mitbürger!

Wir ersuchen Euch, dem auf Seite 3 dieser Botschaft enthaltenen Antrag des Gemeinderates zuzustimmen. Wir sind überzeugt, daß Euch die Nachkommen dafür dankbar sein werden.

Namens des Gemeinderates,

Der Präsident:
Dr. E. Siegfried.

Der Sekretär:
Ed. Zürcher.

Lyss, den 10. Juni 1952.