Grenznachbarliches um den Grabenbach
I. Der Bach als Kraftspender
Ursprünglich war der Grabenbach (auch Tränkibach oder Firsibach) für die Lengnauer Gewerbetreibenden zur Hauptsache Energiequelle. Die Bezeichnung Firsibach deutet auf den Ursprung des Wassers hin, denn die Quellen befinden sich in westlicher Richtung links an der Strasse gegen Romont, zwischen Allerheiligen und der Kantonsgrenze, im sogenannten Firsi auf Solothurnerboden. Das Einzugsgebiet aber erstreckt sich weiter westlich bis zu den Seelein unterhalb Romont. Nach früheren Aufzeichnungen trat das Wasser an neun Stellen an die Erdoberfläche und floss dann in offenem Bachbett vorerst in östlicher Richtung bis in die Nähe des Bauernhofes der Familien Vogt (Kuerets). An drei Stellen wurde etwas Wasser abgezweigt zur Speisung des Brunnens und zum Wässern der Wiesen, welche zum Bauernbetrieb gehörten. Der übrige grössere Teil des Wassers aber floss nach einer Wendung gegen Süden in Richtung Lengnau. Unterwegs gesellte sich auch das Wasser des Rohrbaches dazu, um dann als erstes Werk die Oele in der heutigen Liegenschaft Schreier anzutreiben. Als zweites Werk folgte eine Lohstampfe und Reibe (Herstellung von Gerberlohe aus Eichenrinde), vermutlich im Haus Bösiger, dann eine Säge und eine Mühle, letztere im Haus Charles Abrecht. Beim «Bären» (1521 erstes und lange Zeit einziges Wirtshaus in Lengnau) teilte sich der Bach.
Ein Teil floss in südlicher Richtung weiter bis in die Nerbe, wo ebenfalls eine Säge betrieben wurde, und von da weg als Nerbenbach in südwestlicher Richtung weiter. Der andere Teil durchfloss den Ort als Dorfbach, diente als Wasserspender für die Ledergerberei (Zentrum) und vereinigte sich wie heute noch im Wildigässli mit dem Mühlebach, welcher sein Wasser aus der Lochbachquelle ob der Kirche bezog und wie der Name sagt, seinerseits die Lehensmühle des Klosters Bellelay am Mühleweg betrieb. Als Bach und später in Kändlen strömte das Wasser gegen die Pleutenen, um sich da mit dem Nerbenbach wieder zu vereinigen und gemeinsam in Richtung Leugenen abzufliessen. Das Wasser diente vor allem dem Gewerbe, aber auch zum Waschen, Reinigen und Tränken.
Il. Die Grenzen im Quellgebiet
Das älteste mir bekannte Dokument, welches sich mit der Grenze zwischen Grenchen und Lengnau befasst, datiert vom 31. Juli 1460. Das Original wird im Staatsarchiv Solothurn aufbewahrt. Dieses Dokument enthält u. a. einen Schiedsspruch betreffend die Grenze von der heutigen Staatsstrasse bis auf die Höhe von Allerheiligen. Die Bezeichnungen Wolfshüsli, Wolfsbrunnen, Wahlenweg und Burgstal Rotmund gestatten die Annahme, dass der Grenzverlauf ungefähr dem heutigen entsprach, wenigstens auf diesem Teilstück. Das Wolfshüsli stand irgendwo zwischen Lingeriz und Grot, der Wolfsbrunnen aber zwischen Huppergrube und Allerheiligen. «Burgstal Rotmund›› deutet auf eine Burg oder mindestens auf einen Wachtturm hin. Vermutlich diente diese Burg der Überwachung des Römerweges, welcher als Abkürzung von der Heerstrasse im Aaretal nach der Pierre-Pertuis führte. Alles Land nördlich der Strasse Allerheiligen-Romont bis an die Grenzen des Bistums Basel war Mediatsgebiet, d. h. es wurde sowohl von Bern wie von Solothurn verwaltet. Die Gemeinden Grenchen und Lengnau hatten das Recht zum Holzschlag für den Eigenbedarf und auch das Weidrecht. Büren durfte Holz schlagen für den Unterhalt der Brücke.
Der Umstand, dass die Grenzen zum Teil unklar waren und dass Lengnau als einziger bernischer Ort nördlich der Aare quasi als Brückenkopf diente (Pieterlen gehörte zum Fürstbistum Basel), hatte oft Streit zur Folge, welche mehr als einmal unsere obersten Landesbehörden und Gerichtsinstanzen beschäftigten. Um diese immer wieder aufflackernden Streitigkeiten zu beseitigen, wurde 1755 zwischen den Regierungen Bern und Solothurn ein Staatsvertrag abgeschlossen, Welcher die Teilung des gemeinsam benutzten Gebietes am Ittenberg vorsah. Es wurde eine Linie ausgesteckt, welche das Mediatsgebiet so teilte, dass Lengnau den westlichen Teil zur Nutzung erhielt und Grenchen den östlichen, Büren behielt das Recht zum Holzschlag für die Brücke im westlichen Teil. Die Linie entsprach in grossen Zügen der heutigen Kantonsgrenze von der Höhe des Lengnauwaldes bis hinauf zum höchsten Punkt zwischen Romontberg und Stierenberg, d. h. bis wiederum an die Grenze des Fürstbistums. In diesem Staatsvertrag, welcher am 6. und 9. Oktober 1755 von beiden Kantonsregierungen sanktioniert wurde, ist erstmals vom Grabenbach die Rede. Vermutlich gab auch dieses Wasser oft Anlass zu Streitigkeiten. Es wurde festgelegt:
«dass der Grabenbach, welcher windshalben (westlich) neben der Strass in dem dem löblichen Stand Solothurn zugefallenen Theil entspringt, welchem Bach, nach bisheriger Uebung, sein Furt gelassen werde, mithin denen zu Lengnau sich befindenden Mühli, Oeli und anderen Sägen, so wenig als des Schottischen Lehen nichts genommen sein solle».
Die Bezeichnung «Schottisches Lehen» für Chuerets- oder Konradshof, also das Heimwesen der Familien Vogt, hatte nichts mit Schottland zu tun, sondern bezog sich auf dessen Begründer namens Schott. In diesem ersten Staatsvertrag war nun das Recht für Lengnau festgehalten, zusammen mit den jeweiligen Besitzern des Schottenhofes, das Wasser des Grabenbaches zu nutzen. Diese Feststellung beweist, dass der Grabenbach seit urdenklichen Zeiten, wie es andernorts heisst, gegen Lengnau floss und nicht gegen Dählen-Bachtelen, wie es offenbar die Grenchner gewünscht hatten. Es mag sein, dass viel früher der Bach oder ein Teil desselben, mindestens aber ein Teil des dem Schottenhof zustehenden Wassers, gegen Grenchen abfloss. Es ist auch möglich, dass der leicht erhöhte Querriegel beim Schottenhof den Abfluss nach Grenchen überhaupt verhinderte. Die Wässerungsgräben wurden ja durch den erhöhten Weg hindurch geleitet.
Im Jahre 1835 wurde vorgenannte Teilungslinie am Ittenberg, nach vorangegangener Korrektur eines Aussteckfehlers, angeblich begangen von den an der ersten Aussteckung beteiligten Personen, zur Kantonsgrenze erhoben. Die Korrektur hatte zur Folge, dass Lengnau zugunsten von Grenchen, respektiv Bern zugunsten von Solothurn auf einen Streifen Wald verzichten musste. Mit dem Grabenbach hatte aber diese Abtretung nichts zu tun wie dies von Lengnauer Seite heute angenommen wird, da das Quellgebiet schon bei der Teilung 1755 in das den Solothurnern zugesprochene Gebiet zu liegen kam. Die Vermessung der neuen Kantonsgrenze erfolgte im Jahr 1827, die Vermarchung und die Errichtung des Grenzverbal 1829, die Ratifikation durch Bern aber erst am 23. 7. 1835, durch Solothurn am 11. 8. 1835. Das Grenzverbal umfasste das ganze Gebiet vom Berührungspunkt mit der Fürstbistumsgrenze auf dem oberen Bürenberg bis hinunter an die Aare, oberhalb oder westlich von Staad. Die Standorte waren für sämtliche Marchsteine genau umschrieben, die Distanzen von Stein zu Stein in Fuss angegeben. Auch über Material, Aussehen, Zeichen, Wappen, Jahreszahlen und allfällige Veränderungen der Grenzsteine gab das Verbal genau Auskunft. Ein Original des Verbals ist im Staatsarchiv Solothurn, sicher auch eines in Bern. Diese Notizen wurden einer, den Prozessakten der Familie Vogt beiliegenden, beglaubigten Abschrift entnommen.
III. Der erste Bundesgerichtsentscheid wird fällig
Nachdem das Nutzungsrecht des Grabenbachwassers in zwei vollwertigen Staats-Verträgen festgelegt war, hätte man annehmen können, dass nun die Streitigkeiten endgültig beseitigt seien. Dem war aber nicht so. Im Jahr 1861 beklagten sich die Lengnauer Behörden namens der Wasserwerkbesitzer beim Regierungsstatthalter in Büren dahin, dass der Besitzer des Schottenhofes, Philip Vogt, auf unstatthafte Weise den Lengnauern Wasser entziehe. In der Klage wurde erwähnt, dass alle freundschaftlichen Protestationen und Aufforderungen zur Einstellung dieses widerrechtlichen Tuns erfolglos geblieben seien. Am 30. Januar 1862 reichte der damalige Regierungsstatthalter H. Kaiser bei der Berner Regierung Klage ein, unter Hinweis auf die beiden Staatsverträge 1755 und 1835. Drei Schreiben des Berner Regierungsrates an die Solothurner Regierung blieben unbeantwortet. Sie waren datiert vom 21. März 1862, 26. Juni 1862 und 7. August 1862. Nach Androhung einer Klage an das Bundesgericht fühlten sich die Solothurner endlich bemüssigt, zu antworten. Die Antwort lautete dahin, dass der Handel die Solothurner Regierung nichts angehe. Der Streit sei eine Sache zwischen dem Schottenbauern und den Lengnauer Wasserrechtsbesitzern und gehöre vor den Civilrichter. Die Berner fühlten sich aber im Recht und reichten am 1. Februar 1864 Klage beim Bundesgericht ein. Als Beauftragter der Berner Regierung zeichnete Fürsprecher Bützberger aus Langenthal. Die Klageschrift war sehr umfangreich und enthielt neben amtlich beglaubigten Auszügen aus den beiden Staatsverträgen auch eine Zeugenliste von zwölf Männern, wovon neun Lengnauer, einer von Allerheiligen (Wirt daselbst, der Name Chappeli wird aber nirgends genannt); der elfte war von Grenchen und der letzte von Staad. Schon am 16. Februar 1864 teilte das Hohe Bundesgericht der Berner Regierung mit, dass es Bundesrichter Dr. Blumer aus Glarus als Instruktionsrichter in dieser Sache eingesetzt habe. Zwei Tage später wurde die Solothurner Regierung aufgefordert, bis zum 25. April 1864 ihre Stellungnahme zur Anklageschrift einzureichen. Falls die Solothurner Regierung die Kompetenz des Bundesgerichts in dieser Sache bezweifle, müsse sie dies innert drei Wochen bekanntgeben, was mit Schreiben vom 29. Februar 1864 geschah. Bereits am 3. März 1864 schickte der Instruktionsrichter die Akten an die Berner Regierung zurück mit dem Vermerk, dass sowohl die Solothurner Regierung als auch der Schottenbauer Philip Vogt die Kompetenz des Bundesgerichts bestritten, sodass es nun der Berner Regierung überlassen werden müsse, für den Entscheid der Kompetenzfrage die Bundesversammlung anzurufen. Mit Schreiben vom 10. Mai 1864 wurde die Angelegenheit durch Herrn Bützberger dem Bundesrat unterbreitet.
Als Beilagen wurden erwähnt:
1. Klageschrift vom 1. Hornung 1864
2. Kompetenzeinreden der Beklagten vom 29. Februar und 1. März 1864
3. bis 5. Schreiben der Berner Regierung an Solothurn, 20. Mai, 24. Juni, 5. August 1862
6. Schreiben des Regierungsstatthalters Büren, 30. Januar 1862
7. Auszug aus der Marchbeschreibung 1755
8. Auszug aus dem Teilungsvertrag 1835
9. Schreiben der Regierung von Solothurn vom 19. September 1862
10. Schreiben des Bundesrichters Hermann, 16. Februar 1864
11. Schreiben des Bundesrichters Blumer, 3. März 1864
12. Schreiben der Bundeskanzlei, 13. Mai 1864
13. Eingabe des Hern Bützberger, 17. Mai 1864
IV. Ein Vergleich kam zustande
Am 27. November 1865 kam es zu einem Vergleich zwischen den Regierungen von Bern und Solothurn auf Einwirkung des hohen Bundesgerichts. Somit erübrigte sich ein Urteilsspruch. In diesem Vergleich wurde erstmals eine mengenmässige Teilung des Grabenbachwassers festgelegt, nämlich so, dass den Lengnauem zwei Drittel und dem Schottenbauern, Philip Vogt, ein Drittel des Wassers zukamen. Ausserdem durfte der Schottenbauer das Wasser für seinen Brunnen wie bisher direkt dem Bach entnehmen. Natürlich musste dafür gesorgt werden, dass weder von den beiden Parteien noch von Dritten die Teilung des Wassers verändert werden konnte. Es wurde in den Bachlauf, in der Nähe des Schottenhofes, ein sogenannter Teilstock eingebaut. Das war ein aus Jurastein gehauener Quader mit zwei Durchlässen. Die Grösse der Durchlässe war so berechnet, dass durch den Lengnauer Durchlass die doppelte Wassermenge floss, also zwei Drittel zu einem Drittel.
Dieser Vergleich wurde in einem Zusatzvertrag zum Staatsvertrag von 1835 festgehalten und von beiden Regierungen sanktioniert. Die Kosten für die Errichtung des Teilstockes mussten, ebenfalls im gleichen Verhältnis wie die Wasserzuteilung erfolgte, von beiden Parteien übernommen werden. Damit fand wieder ein Kapitel der Grabenbachgeschichte seinen Abschluss.
V. Erneuter Angriff von Grenchen
lm Frühjahr 1889 beschloss die Bürgergemeinde Grenchen, im Gebiet des Firsi, also dort, wo der Grabenbach entspringt, nach Wasser zu graben und bei eintretendem Erfolg das gewonnene Wasser nach Grenchen zu leiten. Bereits war der Graben von der Nähe der Quellen bis an die Strasse im Rank offen und von der westlichen Seite her waren bereits 75 m Zementröhren verlegt, als die Lengnauer von dem Vorhaben Kenntnis erhielten. Einmal mehr musste sich Lengnau an den bernischen Regierungsrat wenden, um die bestehenden Rechte zu wahren. Die Solothurner Regierung wurde ersucht, gestützt auf die bestehenden Staatsverträge - es waren nun deren drei - jede weitere Nachgrabung zu verbieten. Als Resultat fortgesetzter Verhandlungen zwischen den beiden Regierungen wurde am 9. Dezember 1890 eine Vereinbarung getroffen, in welcher unter ausdrücklicher Anerkennung der bestehenden Verträge folgende Punkte festgelegt wurden:
1. Die Quellen des Grabenbachs sollen beim sogenannten Tränkegatter, also östlich von ihrem Austritt, durch eine einmalig zu errichtende Talsperre aufgestaut und in dem bisherigen Bachbett weitergeleitet werden.
2. Diese Talsperre soll sich vom Bach bis an den Weg und, sofern dies zur Herstellung des bisherigen Zustandes notwendig wird, über den Weg hinaus bis an den Fuss der Halde erstrecken. Die Unterkante dieser Mauer soll mindestens einen Meter unter die von den Grenchnern verlegten Röhren reichen. Die Oberkante der Mauer soll sich dem bestehenden Terrain anpassen. Die Mauer soll aus undurchlässigem Material, am besten aus Zementbeton, in einer Dicke von 50 cm erstellt werden.
3. Die Kosten für diese Talsperre gehen zu zwei Drittel zu Lasten von Grenchen und ein Drittel zu Lasten von Lengnau.
4. Weitere Grabungen in der Nähe der Quellen dürfen vor der Vollendung der Talsperre und der im Anschluss folgenden Weiterleitung des Grabenbaches nicht vorgenommen werden. Allfällige spätere Grabungen dürfen nicht näher als zwanzig Meter von der Talsperre abwärts beginnen bei einer Tiefe von höchstens eineinhalb Metern.
lm Sommer 1891 wurde diese Talsperre erbaut und im Herbst desselben Jahres beendet. In der Folge glaubten die Lengnauer feststellen zu können, dass die Sperre ihren Zweck, die Quellen wieder im früheren Umfang zum Fliessen zu bringen, nicht erfülle. Der frühere Zustand, wie es in der Vereinbarung heisst, trat offenbar nicht ein. Erneut wandte sich Lengnau an die Regierung in Bern um Hilfe. Diese intervenierte in Solothurn, aber ohne Erfolg.
Vl Ein harter Kampf
Auf die erfolglose Einsprache bei der Solothurner Regierung hin reichte die bernische Regierung beim Bundesgericht Klage gegen den Kanton Solothurn ein. Die Anklagesehrift enthielt folgende vier Rechtsbegehren:
1. Der Staat Solothurn sei schuldig, die zwischen den Kantonen Bern und Solothurn bestehenden Staatsverträge, betreffend den im solothurnischen Ittenberg entspringenden Grabenbach, zu gewährleisten.
2. Der Staat Solothurn sei schuldig anzuerkennen, diesen Staatsverträgen sei zum Nachteil der bernischen Beteiligten (der Nutzungsberechtigten von Lengnau) insofern zuwider gehandelt worden, als durch die von solothurnischer Seite (Bürgergemeinde Grenchen) vorgenommenen Nachgrabungen das Wasser des Grabenbaches beeinträchtigt wurde.
3. Der Staat Solothurn sei schuldig, in Bezug auf das Wasser des Grabenbaches den früheren Zustand, d. h. denjenigen Zustand wieder herstellen zu lassen, welcher vor den Nachgrabungen der Bürgergemeinde Grenchen bestanden hatte, die das Wassergebiet des Grabenbaches beeinträchtigten.
4. Eventuell: Der Staat Solothurn sei schuldig, die Quellen des Grabenbaches durch eine Talsperre aufzustauen, welche ihrem Zwecke, den früheren Zustand herzustellen, entspricht.
5. Der Beklagte sei endlich auch schuldig, dem Kläger die Kosten dieses Prozesses zu vergüten. Betreffend des den bernischen Beteiligten, d. h. den Nutzungsberechtigten durch den Entzug des Wassers des Grabenbaches verursachten Schadens wahrte sich die Klagepartei alle Rechte.
Zur Begründung der Anklage wurde in sehr ausführlicher Weise auf all die uns nun bekannten Umstände und Begebenheiten hingewiesen, zurückreichend bis zum ersten Staatsvertrag von 1755.
Der beklagte Staat Solothurn liess zunächst der Bürgergemeinde Grenchen gemäss Artikel 9 der eidgenössischen Zivilprozessordnung den Streit verkünden, worauf diese letztere erklärte, zur Unterstützung des Beklagten am Streit teilzunehmen.
Das erste Klagebegehren wurde anerkannt, d. h. die Gewährleistung der Bestimmungen der bestehenden Verträge.
Die Klagebegehren 2- 5 wurden vom Beklagten zur Abweisung beantragt mit Kostenfolge an den Kläger. Den Lengnauern wurde vorgehalten, sie hätten es unterlassen, anschliessend an die Errichtung der Talsperre auch das Bachbett instand zu stellen. Auch das Bachbett werde nie gereinigt, so dass dessen Sohle sich gehoben habe und somit weniger Wasser durch dieses abgeleitet werden könne. Was die Talsperre betreffe, so habe man diese wie verlangt errichtet. Auf Replik und Duplik der beiden Gegner folgte ein erster Rechtstag an Ort und Stelle mit Zeugenbefragung. Das Ergebnis fiel eindeutig zu Gunsten von Bern aus. Im August 1893 wurde von dem bekannten Geologen Professor Dr. Heini aus Zürich ein Gutachten ausgearbeitet. Nach diesem wurde der festgestellte Wasserrückgang einzig den vorgenommenen Grabungen zugeschrieben. Professor Heim behauptete sogar, dass der Wasserrückgang noch weiter gehen werde und dass die Talsperre «hundertfach» untauglich sei für die Herbeiführung des alten Zustandes.
Am 3. April 1894 fand ein weiterer Rechtstag an Ort und Stelle statt, diesmal unter Beisein der Experten. Beide Parteien hielten an ihren bisherigen Meinungen fest. Nach gründlicher Erwägung aller Für und Gegen erkannte das Bundesgericht am 27. Juni 1894 folgendes Urteil:
1. Von der Anerkennung des ersten Rechtsbegehrens seitens der beklagten Partei wird Vormerk genommen. Die Rechtsbegehren 2 und 3 sind gutgeheissen und es werden den Nutzungsberechtigten die Rechte auf Schadenersatz vorbehalten.
2. Die beklagte Partei hat die Gerichtskosten, bestehend in:
a) Geriehtsgeld 150.- Fr.
b) Instruktionskosten 866.55 Fr.
c) Schreibgebühren 55.20 Fr. zu zahlen.
3. Dieselbe hat die Klagepartei ausserrechtlich mit 1000.- Fr. zu entschädigen.
4. Dieser Entscheid ist den Parteien schriftlich mitzuteilen.
Über zu treffende praktische Massnahmen, die zur Herbeiführung des alten Zustandes geeignet gewesen wären, wurde nichts gesagt. Offenbar wurde es den Lengnauern anheimgestellt, Versuche für die bessere Erfassung der Wasservorkommen zu treffen.
Die erste Wasserversorgung wird gebaut
In den Jahren 1907 und 1908 erstellte Lengnau seine erste Wasserversorgung unter Beizug des Grabenbachwassers. Der Bach wurde besser gefasst, aber immer noch als offener Bach in eine Brunnstube nahe der Grenze geleitet. Diese Brunnstube besteht heute noch und dient als Kontrollschacht. Von der Brunnstube wurde das Wasser durch eine Gussleitung, im oberen Teil 100 mm, im unteren Teil 75 mm, in ein ebenfalls neu erstelltes Reservoir ob der Hupperhütte geleitet. Ein Gussleitungsnetz von total zirka 4,5 km Länge diente der Wasserverteilung im Dorf. Zur Feuerbekämpfung wurden 45 Hydranten aufgestellt. Die Kosten für diese erste, gemeindeeigene Wasserversorgung beliefen sich damals auf rund 88 000.- Fr.
Da aber die Ergiebigkeit des Grabenbaches immer mehr zurückging, wurde mit dem Bauern des Schottenhofes, Adolf Vogt, und merkwürdigerweise auch mit der Bürgergemeinde Grenchen, wahrscheinlich in Unkenntnis der Akten, im Jahr 1910 eine Vereinbarung getroffen, Welche Lengnau das Recht einräumte, den Bach noch besser zu fassen, ein Recht, das der Gemeinde Lengnau schon im Prozess 1889 bis 1894 zugestanden oder sogar zur Pflicht gemacht wurde. Dafür zahlte Lengnau nochmals 2000.- Fr. an die Bürgergemeinde Grenchen und 400.- Fr. an Vogt. Dazu kamen noch 900.- Fr. Kosten.
Eine Filteranlage, welche zur gleichen Zeit zwischen dem Teilstock und der Brunnstube erstellt wurde, um allfällige Verunreinigungen, welche bei dem offen zufliessenden Wasser sicher oft vorkamen, auszuscheiden, erfüllte ihren Zweck nicht. Die Anlage war zu klein berechnet und daher innert kurzer Zeit verstopft und unwirksam. Kaum in Betrieb, wurde die Anlage wieder ausgeschaltet und später entfernt. Die Erstellungskosten betrugen rund 10 000.- Fr.
Grenchens letzter Verstoss
Im Jahr 1919 kaufte die Bürgergemeinde Grenchen von Ernst Vogt, Landwirt auf dem Schottenhof (nun Konrads- oder Chueretshof), dessen Anteil am Grabenbach, also einen Drittel des Wassers, in der Absicht, dieses der Wasserversorgung Grenchen zuzuleiten. Noch einmal musste sich Lengnau zur Wehr setzen, denn es sah sich in seinen Rechten betrogen und machte ein Vorkaufsrecht geltend. Wenn dies auch nicht in schriftlicher Form bestand, so glaubte Lengnau doch, als Hauptteilhaber an dem Wasserrecht als erste das Anrecht auf die ganze Wassermenge zu haben, wenn dieses von Vogt nicht mehr beansprucht wurde.
Ein vom Armeestab zugestellter Untersuchungsbericht, welcher zwar auf Untersuchungen aus dem Jahr 1916 basierte, mag dazu beigetragen haben, dass Lengnau nun energisch an den Erwerb des gesamten Wassers aus dem Grabenbach herantrat. Der Bericht bezog sich sozusagen auf alle in der Gemeinde entspringenden Quellen, aber auch auf das gute Wasser aus dem Grabenbach. Nach langen, zähen Verhandlungen gelang es endlich im Jahr 1925 den ursprünglich dem Vogt gehörenden Drittel Wasser von der Bürgergemeinde Grenchen zum gleichen Preis, wie sie ihn von Vogt erworben hatte, nämlich um 28 000.- Fr., zu erwerben. Die seinerzeitige Bedingung von Vogt auf das Anrecht von 30 Minutenlitern Wasser musste auch Lengnau eingehen. Der Kaufvertrag, auf dessen Wortlaut man sich endlich einigen konnte, lautete für Lengnau ausserordentlich günstig. Die Lengnauer erwarben damit nicht nur das Recht auf sämtliche Wasservorkommen im Firsi, sondern es wurde gleichzeitig Dritten jedes Nachgrabungsrecht verboten.
Das ganze Quellgebiet wurde in zwei Schutzzonen aufgeteilt. Auf dem Plateau am Fuss des Itenbergs dürfen überhaupt keine Grabungen vorgenommen werden, und im eigentlichen Quellgebiet, welches genau umschrieben ist, hat nur die Gemeinde Lengnau das Nachgrabungsrecht. Sofort ging man nun daran, die Quellen tiefer zu fassen und vollständig unterirdisch der Wasserversorgung Lengnau zuzuleiten. Dazu mussten nochmals etwa 30 000.- Fr. aufgewendet werden.
Wie ging es weiter?
Aus der Grabenbachgeschichte wissen wir nun, dass die Gemeinde Lengnau durch Kauf das Recht auf sämtliches Wasser dieser Quelle hat, mit Ausnahme der 30 Minutenliter Pflichtwasser an Vogt. Mit der Neufassung der Quelle und der Erstellung einer auf der ganzen Länge im Erdreich verlegten Rohrverbindung zwischen Quelle und Reservoir mussten die 30 ml Pflichtwasser mit einer Widderanlage zur Liegenschaft Vogt hinaufgepumpt werden. Da die Neufassung einige Zeit in Anspruch nahm, die Wasserversorgung aber weiterhin sehr zu wünschen übrig liess, wurde zeitweise aus einer im Jahr 1922 teilweise erworbenen Quelle an der Oelestrasse (Anteil 250 ml) Wasser in das Netz gepumpt. Die Gemeinde kaufte dieses Wasser zum Preise von 14 500.- Fr. Weil ihr aber offenbar die Mittel fehlten, verpflichtete sie sich zur Verzinsung des Betrages auf fünf Jahre fest zu fünf Prozent. Da sich die Abzahlung der Summe auf fast zwanzig Jahre dahinzog (als Folge der Krisenjahre!), kam das Wasser schlussendlich mit allen Zinsen und Steuern auf 26 295.- Fr. zu stehen.
1937 baute man ein zweites Reservoir, das obere, nahe bei der Brunnstube, womit nun auch der «Alpenblick» mit Wasser versorgt werden konnte. Es entstanden aber auch zwei Druckzonen, welche die Zwischenschaltung eines Druckbrechers notwendig machten. Parallel zu diesem Ausbau wurden auch zwei Bohrungen nach Grundwasser durchgeführt: die eine auf dem jetzigen Turnplatz neben der Gärtnerei Lüthi, die andere dort, wo heute das COOP-Center steht, aber beide blieben erfolglos (oder gingen zu wenig tief?) Für diese Versuche wurden etwa 5000.- Fr. ausgelegt.
Der nächste Schritt war der Ankauf der sogenannten <<Volksbankliegenschaft›› samt der Lochbach- oder auch Mühlebachquelle. Hier, zwischen Beunde und Rebweg, wurde in den Jahren 1944 bis 1946, westlich der Kirche eine unterirdische Fassungsanlage mit Pumpstation gebaut. Die Kosten betrugen rund 600 000.- Fr. Somit konnte die Gemeinde nun bei gutem Quellerguss (Grabenbach und Lochbach zusammen) über eine Wassermenge von bis 4000 ml verfügen. Diese maximale Leistung tritt zwar nicht alle Jahre und oft nur für einige Wochen oder Monate auf. Anderseits kann der Quellerguss gesamthaft auf 1000 ml bei Trockenheit zurückgehen, was bei stets wachsendem Bedarf zu Engpässen führt. Aus diesem Grunde wurden 1957 die Wassermesser eingebaut, was zu sparsamerem Umgang mit dem Trinkwasser führte. 1965 bis 1968 wurde eine Neufassung des Grabenbaches notwendig. Zugleich erfolgte eine Tieferlegung der Fassungsröhren, womit man eine noch bessere Ausnutzung der Quelle zu erreichen hoffte. Ob sich diese Hoffnung erfüllt, kann man aber erst nach einigen Jahren feststellen. Die Kosten für die gründliche Sanierung der Grabenbachfassung betrugen rund 43 000.- Fr. Dazu kamen noch die Kosten für eine Oberflächendrainage zur Ableitung allfälligen Schmutzwassers, herrührend von der nunmehr geteerten Romontstrasse. Diese Sicherheitsmassnahme kostete nochmals etwa
20'000.- Fr, an welche jedoch die Gemeinde Grenchen als Strasseneigentümerin 8000.- Fr. leistete. Ein weiterer Schritt zur Verbesserung der Wasserversorgung Lengnau konnte ausser der Beschaffung von zusätzlichem Wasser nur die Erstellung eines dritten Reservoirs sein. Nach gründlicher Vorarbeit bewilligte die Gemeindeversammlung vom 15. August 1968 einen Kredit von 1,2 Millionen Franken für die Erstellung eines Gegenreservoirs untere Zone West, am Gitzirain oberhalb dem Rebweg, mit einem Inhalt von total 1900 Kubikmeter, inbegriffen die Anpassung des Netzes, der Ausbau der automatischen Überwachung und Steuerung, Aufhebung der reparaturanfälligen Widderanlage und Ersetzen derselben durch eine Turbinenpumpe, dazu noch einige notwendige Verbesserungen in den bestehenden Reservoirs der oberen und unteren Zone Ost und die Aufhebung des Druckbrechers in den Reben, dessen Funktion vom neuen Reservoir West übernommen wurde. Im Herbst 1968 konnten diese umfangreichen Arbeiten in Angriff genommen werden und im August 1970 wurde das neue Reservoir dem Betrieb übergeben. Anschliessend folgten dann die oben erwähnten Verbesserungen an den Einrichtungen der alten Reservoirs, soweit dies mit dem vorhandenen Kredit möglich war. Damit fand ein weiteres Kapitel in der Geschichte der Wasserversorgung Lengnau seinen Abschluss, wenigstens vorläufig, denn als neue Aufgabe steht die Suche nach zusätzlichem Wasser bevor. Ob es auch in Zukunft möglich sein wird, die Gemeinde mit eigenem Quellwasser zu versorgen, oder ob sich ein regionaler Zusammenschluss mit anderen Wasserwerken aufdrängt, werden die eingeleiteten Untersuchungen zeigen.
Damit sei auch dieser Abschnitt über die Wasserversorgung Lengnau abgeschlossen. Entsprechend der Wichtigkeit musste diesem der notwendige Platz eingeräumt werden, umfasst er doch eine Zeitspanne von einigen hundert Jahren.