DER ERSTE WEINBAUER

FABEL VON ALFRED ARNOLD FREY

Als Noah, der Gerechte, mit den Seinen und all den Tieren, die er beherbergt hatte, der Arche entstieg, beeilte er sich, einen Altar zu errichten, auf daß er daselbst Gott, dem Schöpfer Himmels und der Erde, ein Dankopfer darbringe. Danach betrat er seinen Rebberg, entblößte die Stöcke von Schutt und Geschiebe, grub den Boden um und freute sich wie ein Kind des Herbstes, da des Himmels Güte ihm die ersten reifen Trauben schenken werde.

Und siehe! Die Sintflut, der alles Lebende zum Opfer gefallen war, hatte dafür das Erdreich mit einem feinen, fettigen Schlamme gedüngt, und Noah ward eine Ernte beschert wie nie zuvor. Mit Mühe nur vermochten Binsen und Basten das Gewicht all der Trauben zu halten.«Was soll ich››, seufzte er, «mit den vielen süßen Früchten? Unmöglich, sie zu essen, ehe die Fäulnis und das Fliegengeschmeiß sie befallen !» Und da er ein gottesfürchtiger Mann war und es als eine große Sünde empfand, des Himmels Gaben verderben zu lassen, sann er nach einem Mittel, wie er die Trauben erhalten könnte, fand aber nichts und schlief darob eines Abends spät besorgten Herzens ein.
In der Nacht träumte Noah: er stand vor seinem Rebberge und bewunderte die saftquellenden, sonndurchglühten Trauben. Da trat ein Mann zu ihm und sprach: «Du grämst dich, Noah, der vielen Früchte wegen? Höre meinen Rat: presse sie aus, gieße den Saft in ein Faß und lasse ihn gären; wenn die Verwandlung vorüber ist, wirst du dich erlaben an einem Getränke, das selbst die Götter zu schätzen wissen !»

«Rätst du mir gut, o Freund, den ich nicht kenne, oder böse?» meinte, mißträuisch geworden, Noah und blickte den Fremdling fragend an. «Je nachdem», erwiderte dieser; «denn wisse: Den Weisenerfreut der Wein und verschafft ihm höchste Lebenskraft; dem Törichten und Schwachen aber, der nicht Herr ist über sich selbst, kann er, ich gebe es zu, zum Verderben gereichen !»

Noah verstand nicht recht, wie der Fremdling es meinte. Doch folgte er dessen Rat, teils aus Neugierde, wie es herauskomme, teils auch, weil ihn die zusehends faulenden Trauben erbarmten; als die Zeit aber um war und der Saft im Fasse sich geklärt hatte, kostete er davon.«Ein Göttertrunk !» rief Noah und trank. Ihn durchrieselte eine nie empfundene Lust. Er kostete nochmals. «In der Tat, sprach er, «der Mann im Traume hat die Wahrheit gesagt ! » Bald aber verwirrten sich seine Sinne; er begann zu lallen, suchte sein Lager auf, fiel vor ihm auf die Erde und blieb liegen.

Da nun Ham, Noahs Sohn, sah des Vaters Blöße, erzählte er's seinen beiden Brüdern draußen. Sem und Japheth aber nahmen je ein Kleid, legten es auf ihrer beiden Schultern, traten rücklings und abgewandten Gesichtes, auf daß sie nicht sahen ihres Herrn und Vaters Blöße, ins Zelt und bedeckten damit dessen Leib.

Am Morgen, als Noah erwachte, schämte er sich und rief: «O, hätte ich dir nicht gefolgt, du doppelzüngiger Fremdling ! Denn wahrlich, der Toren sind, wenn ich meines Falles gedenke, viele auf Erden, der Weisen aber nur wenige !» Doch, es war zu spät: auch die Seinen hatten das Getränkgekostet; es behagte ihnen, und keiner mochte es fürderhin missen. Gott der Herr aber bestraft einen jeden, der seines schwach gewordenen Vaters spottet !