Die Befreiung der letzten Leibeigenen in der Herrschaft Erlach

Die im 14., namentlich aber im 15. Jahrhundert in Fluss gekommene Bewegung des Loskaufes von der Leibeigenschaft war eine rein private Angelegenheit zwischen Leibherr und Leibeigenem. Keine Obrigkeıt mischte sich in diese Loskäufe. Die Bewegung erfuhr nun durch Bern eine sehr starke Förderung. Die andauernde Vergrösserung des Machtbereiches nötigte die Regierung zu vermehrter militärischer und wirtschaftlicher Sicherung. Sie richtete deshalb ihr Augenmerk auf die Leibeigenen, Ihnen erschloss sie nach und nach Rechte wie einem Freien, ohne damit das bisherige privatrechtliche Leibeigenenverhältnis zu stören 1437 und 1458 verpflichtete sie sogar die Leibeigenen zur Ablegung eines Treueides. Dringend bedurfte sie ihrer Sie förderte deshalb den in Fluss gekommenen Loskauf. Das politische Interesse des Standes Bern, auf diesem unblutigen Wege die Leibeigenschaft abzuschaffen, wog erheblich mehr als das Eigeninteresse, das er als Gebieter über eine grosse Zahl Eigenleute, wie die Leibeigenen auch genannt wurden, haben musste. So kauften sich auch Leibeigene in der Herrschaft Erlach los. 1478 erwerben ihrer sechs im Hof zu Gäserz durch Loskauf ihre Freiheit.

ln den Genuss der Befreiung von der Leibeigenschaft kamen nun nach der 1474 erfolgten Besetzung Erlachs die letzten 270 Leibeigenen, die sich über die ganze Grafschaft verteilten. Bern, das nun über sie gebot, hatte diese dem Fürsten Wilhelm von Châlon abgenommen. Gemäss Vertrag vom 17. Dezember 1491 kauften sich diese um die hohe Summe von 4596 Pfund und 5 Schilling guter Bernwährung los. Da die wirtschaftlich schwachen Leibeigenen nicht in der Lage waren, diesen Betrag sofort zu bezahlen, verlangte der Grund- und Leibherr. die Stadt Bern, eine Sicherheit in Form einer Verbürgung des schuldigen Kapitals. Die beiden begüterten Erlacher Burger Hans Kisling und Thoman Küntzi fanden sich bereit, die Bürgschaft zu übernehmen. Damaligem Recht entsprechend, übertrugen sie diese Verpflichtung in der Bürgschaftsurkunde, der «Verschrybung wegen Ankauff der Leibeigenen Lüthen in der Herrschaft Erlach » auch auf ihre Erben. Die Loskaufsumme ergab sich aus der zwanzigfachen Kapitalisierung der nun dahinfallenden jährlichen Kopfsteuer der Befreiten, die 229 Pfund pro Leibeigener betrug. Diese Befreiungssumme, zu 5% ausgeliehen, hätte einen Jahreszins abgeworfen, der genau der jährlichen Kopfsteuer aller Befreiten entsprochen hätte. Der Stadt Bern erwuchs aus diesem Handel somit keine materielle Einbusse. Das umso weniger, als sie esdurchzusetzen wusste, dass die Befreiten die bisherige Last von Tagwen (Frondienste) und Fuhrungen, die sie dem Schloss Erlach leisten mussten, weiterhin zu tragen hatten.

Mit der Aufhebung der Leibeigenschaft wurde damit den Erlösten eine neue Last überbürdet. Für die ratenweise Ablösung der Schuld benötigten sie und ihre Nachkommen mehr als ein Jahrhundert. Trotzdem kommt dem Vorgehen des Standes Bern wie auch anderer, ähnlich vorgegangenereidgenössischer Orte eine Bedeutung von aussergewöhnlicher politischer und wirtschaftlicher Grösse zu. als andere europäische Staaten erst Jahrhunderte später ihren Leibeigenen die Freiheit verschafft haben. Umso heller tritt die Befreiung unserer Leibeigenen als sozialer Fortschritt in das Licht der Geschichte.

1503 vernehmen wir, dass die beiden Burgen zur Zahlung rückständiger Zinsen aufgefordert werden mussten, Und noch später, mehr als ein Jahrhundert nach dem Abschluss des Bürgschaftsvertrages, scheint die Schuld noch nicht vollständig abgetragen zu sein. 1598 erkundigt sich die Vennerkammer zu Bern beim Landvogt in Erlach, weshalb die den Befreiten seinerzeit auferlegte Abgabe von 30 Pfund erlassen und dafür der grosse Zehnten von lns belastet worden sei. Hierauf berichtete der Landvogt, dass die Ersteigerer dieses Zehnten vor Jahren beauftragt worden seien, diese Angabe an den Landvogt von Nidau weiterzuleiten. Worauf die Obrigkeit die Einstellung dieser Vergütungen verfügte und dem Landvogt befahl, die von der Landschaft (Landschaftsgemeinde Ins) noch geschuldeten 81 Pfund seien dem Schloss Erlach zu bezahlen, und dem Schloss Nidau jene den Ersteigerern des lnszehnten erlassenen 30 Pfund.