Unter adeligen Herrschaften
Das mächtigste in unserer Gegend nach der letzten Jahrtausendwende herrschende Geschlecht waren die Grafen von Fenis. Der Bedeutung dieses Geschlechtes entsprechend war ihr Stammsitz, die etwa einen Kilometer südlich von Vinelz erhöht gelegene ehemalige Hasenburg. Die heute noch erkennbare, von Wald umgebene Burganlage lässt die einstige Grösse dieses Herrschaftssitzes erahnen. Von diesem Geschlecht soll nun jenes der Grafen von Neuenburg abstammen. das sich in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts in vier Linien aufgelöst hat. Unter diesen interessieren uns besonders die Grafen von Neuenburg-Nidau, denen im Zuge einer Teilung der alte väterliche Besitz der Grafschaft Erlach zugefallen ist. Über die Gründung der Grafschaft bestehen mehr Vermutungen als Urkunden. Wir haben bereits dargelegt. dass das Gebiet der ganzen Grafschaft bis etwa um die letzte Jahrtausendwende höchstwahrscheinlich noch romanisch war. Die Ostgrenze war zugleich Sprachgrenze gegenüber dem seit längerer Zeit alemannisch besiedelten Gebiet. So darf angenommen werden. dass Müntschemier seit seinen Anfängen der Grafschaft angehört hat.
1265 wusste sich der eroberungssüchtige, draufgängerische Graf Peter ll. von Savoyen, dem grössere Teile der Westschweiz untertan waren, auch die Oberherrschaft über Erlach zu beschaffen. Er nötigte Graf Rudolf ll. von Neuenburg-Nidau ihm nun als Vasall zu huldigen und überliess ihm die Herrschaft Erlach zu Lehen. ln der Folge ging dieses Lehen auf seine Nachkommen über 1297 musste er auch dem Grafen Johannes von Savoyen huldigen. Und ebenso unfreiwillig mögen sich die weitern Huldigungen der Nachfahren des Grafen Rudolf ll. vor den Savoyen vollzogen haben.1375 gibt es in der Geschichte unserer Grafschaft im gleichen Monat gleich zwei bedeutende Ereignisse. Anfangs Dezember kam der letzte Graf aus der Linie Neuenburg-Nidau, Rudolf lV , bei den Guglerwirren bei Büren ums Leben. Seine Gattin, Gräfin lsabella, auch lsabe genannt, war eine sehr eigenwillige und streitsüchtige Frau. Aufgrund verbriefter Rechte übernahm nun sie die Herrschaft über Erlach. Die Art ihrer Regierung, die sie zeitweise einem strengen Vogt übertrug, war so hart und willkürlich, dass die Untertanen mehrmals ihren höchsten Gebieter, den Grafen von Savoyen, dessen Vasallin lsabe war, um Schutz flehen mussten.Und gegen Ende des Monats hatten es die Leute von lns und Umgebung ebenfalls mit den niederträchtigen Guglern zu tun. Am Weihnachtstag
1375 überfielen die lnser mit Zuzug benachbarter Gemeinden und selbst von Bern und Freiburg die Gugler in ihrem Lager zu lns. Über den blutigen Kampf wusste der Berner Chronist Justinger folgendes zu berichten: Nachdem die Gugler mit grossem Geschrei «Hie Bern !» angegriffen wurden, waren sie von diesen so erschrocken und «luffen und stechen (die lnser und Zugewandten) insy wie sie mochten und erstachen der Vigende (Fliehenden) ob drynhunderten››. An diesen Kampf erinnert seit mehr als 500 Jahren in Müntschemier die in der äussersten westlichen Mark gelegene Flur «Gugleracher». Welche nähere Bewandtnis dieser Flurname mit dem Guglertreffen hatte, ist unbekannt.
Nach zwanzigiähriger unruhiger Herrschaft starb 1395 die Gräfin lsabe. Unverzüglich bemächtigten sich die Savoyer der Herrschaft, um endlich in deren uneingeschränkten Besitz zu kommen Aber erst 1405 wurden die Herzöge von Savoyen unumschränkte Landesherren der Grafschaft Erlach, nachdem sie zuvor die gräflichen Erben finanziell abgefunden hatten. Zunächst liessen sie die Grafschaft durch Kastlane verwalten. Aus dieser Zeit stammen etliche Verwaltungsrechnungen, die im Archiv zu Turin liegen und auch über unsern Dorfbackofenzins und weitere Zinspflichtige Auskunft geben.
lm Jahre 1407 trat wieder eine, wie sich in der Folge zeigen sollte, sehr bedeutende rechtliche Änderung in der Grafschaft ein. Die Savoyer überliessen sie neuerdings als Lehen dem burgundischen Fürstenhaus zu Châlon.lmmer wieder hatten auch die Untertanen der Grafschaft Erlach nach altem Brauch ihren Herrschern Huldigungen zu bringen und Treuebekenntnisse abzulegen. Von der letzten Huldigung, die die Grafschaftsleute zu Stadt und Land ihrem damaligen Herrscher, dem Burgunder Prinzen Wilhelm von Châlon, Fürst zu Oranien und Oberherr zu Arley und Erlach brachten, liegt in unserem Gemeindearchiv eine Kopie des bei dieser Gelegenheit ausgefertigten Schirm- und Schutzbriefes. Demnach hat sich die feierliche Huldigung am 15. Christmonat 1467 unter den Linden vor derSchlossporten zu Erlach zugetragen. Neben dem hochwürdigen Herrn waren zugegen: Der Abt Johann vom Kloster St.Johannsen-lnsull, eine Anzahl Ritter, sein Hofmeister und Rechtsgelehrter, ein Wappenträger, der Schlosskastlan Heymann Egli von Erlach sowie der fürstliche Sekretär. Vor ihnen hatten sich eingefunden: die aufgebotenen Schultheissen, Burger und Einwohner der Stadt Erlach und sämtliche Untertanen und tellpflichtigen Leute aus der Landschaft. Zu diesen zählten mit Ausnahme von Siselen, das damals zur Grafschaft Nidau gehörte, und Gals, das der Klosterherrschaft St. Johannsen unterstand, sämtliche übrigen Gemeinden. Nachdem die Stadtleute von Erlach ihren Gebieter als ihren wahren und rechtmässigen Oberherrn anerkannt hatten, baten sie ihn demütiglich, dass es ihm belieben und gefallen möge, ihnen ihre Freiheitsrechte und die guten Gebräuche gemäss der um 1265 verliehenen Handfeste zu schützen und zu schirmen und gleichzeitig ein guter Oberherr zu sein. Darauf nahm sie der Fürst unter Eidschwur als Schirmherr in seinen Schutz. Die Erlacher dagegen gelobten bei den heiligen Evangelien Gottes, die Hand gegen die Heiligen aufhebend, ihrem Herrscher gute, getreue und wahre Untertanen und dem Gericht gehorsam zu sein.
ln einem zweiten Akt der würdevoll begangenen Huldigung hat sich hierauf bei den Landleuten eine ähnliche Handlung vollzogen, mit der Einschränkung allerdings, dass hier weder Freiheitsrechte zu schirmen noch zu schützen waren. Der Fürst hat deshalb, auch hier wiederum untertänigst darum gebeten, den Landleuten versprochen und geschworen, ihre guten Gewohnheiten und Gebräuche zu handhaben und in Schutz und Schirm zu nehmen. «Mit gleich uffgehebten Händen» versprechen und schwuren auch sie ihm, wahre, getreue und dem Gericht gehorsame Untertanen zu sein und die Gesetze, Rechte und Vorteile zu halten.
Es sollte die letzte feudale, eindrucksvoll und brüderlıch anmutende Handlung dieser Art gewesen sein, die auch den Segen des Hochwürdigen Abtes von St.Johannes erhalten hat. Wenige Jahre später erlosch die feudale Herrschaft in der Grafschaft Erlach für immer. Der Umstand, dass das burgundische Haus Châlon mit Karl dem Kühnen verbunden war, sollte nun für die Herrschaftsleute von allergrösster und umwälzender politischer Bedeutung werden. Bei Ausbruch der Feindseligkeiten mit Karl dem Kühnen benutzten die Gnädigen Herren zu Bern die Gelegenheit, die Grafschaft, die ihnen sowohl politisch wie strategisch erhebliche Vorteile bot, kurzerhand als Feindesland zu erklären und besetzten sie am 27. Oktober 1474, ein Prozedere, das Bern in seiner Territorialpolitik nicht ganz unbekannt war. Dabei konnten sich die neuen Herren auf eine gut eingespielte burgundische Grafschaftsverwaltung stützen, der ein Nachfahre des Siegers bei Laupen, ebenfalls ein Rudolf von Erlach, als Kastlan vorstand. Der den neuen Gebietern nicht unbekannte Schlossverwalter wurde von ihnen gleich als erster bernischer Landvogt zu Erlach in Dienst genommen.
Mit dem siegreichen Ausgang der Burgunderkriege für die Eidgenossen ging auch die etwas mehr als zweihundert jährige Oberherrschaft der Savoyer über unsere Grafschaft zu Ende.