Vom romanischen zum deutschen Müntschemier

Nach der Rückkehr der geschlagenen Helvetier in ihr brachliegendes, zum Teil zerstörtes Land begannen es die Römer mit grosser Tatkraft nicht nur militärisch, sondern auch wirtschaftlich und kulturell zu erschliessen. Neben der planmassigen Errichtung grosser Strassenzüge, militärischer Stützpunkte und dem Ausbau der Verbindungen zu Wasser galt ihr weiteres Interesse der Kolonisierung des offenen Landes, weniger geschlossene Siedelungen bauten sie als vielmehr eine grosse Zahl über das ganze Land verstreute Gutshofe.

Für die Besiedelung war nun unsere Gegend umso mehr geeignet, als sie neben der Fruchtbarkeit des Bodens und guter topographischer und Witterungsverhältnisse auch noch über die Nutzungsmöglichkeit des Grossen Mooses verfügte, das zur Römerzeit, aber auch schon früher wie später noch, nicht versumpft war, sondern trocken lag und daher voll genutzt werden konnte. Prädestiniert für eine Siedelung war unser Bereich ferner auch deshalb, weil er sowohl im Einzugsgebiet der Hauptstadt Aventicum lag wie des grossen West-Ost›Strassenzuges vom Grossen St. Bernhard über Vivicus (Vevey), Aventicum, Kerzers, Petinesca nach Vindonissa (Windisch) nebst dem kleinem, der von der Hauptstadt über Mur und den auslaufenden Wistenlacherberg und Joressant über die Broye bei La Sauge zur Zihl führte. Nicht minder einflussreich dürften für die Besiedelung die der Schiffahrt stark erschlossenen Juraseen und die Broye wie die Zihl gewesen sein.

Die Besiedelung unserer Gegend zur Römerzeit belegen neuerdings die überaus zahlreichen und mannigfaltigen Funde, die anlässlich der zweiten Juragewässerkorrektion im Gebiet der Broye und der Zihl zwischen dem Neuenburger- und Bielersee gemacht wurden (Frl. H. Schwab). Sie sind so bedeutend, dass sie auf eine weit grössere Siedelungsdichte schliessen lassen, als das bisher angenommen wurde. Auf eine Besiedelung in unserem eigenen Raum lässt ein 1963 gemachter Fund schliessen. Beim Kiesrüsten stiess man in der oberen Kiesgrube bei dem Gugleracher auf eine kleinere Grabstätte (sechs Gräber) aus der spätrömischen Zeit.

Wie denn eine ganze Anzahl archäologischer Funde in unserem grösseren Siedlungsraum von der römischen Herrschaft zeugen. Abgesehen von jenen bedeutungsvollen im Bereich der Broye und der Zihlbrück. sind sie keineswegs grossartige, vielenorts sogar bescheidene. Aber gesamthaft kommt ihnen doch in der ländlichen Verbreitung römischer Kultur eine gewisse Bedeutung zu. Hauptsächlich sind es Münzen, Schmuck, Waffen, Keramik und Überreste ehemaliger Bauwerke. So ist in Müntschemier im Berg ein Sesterz, eine kleine altrömische Münze aus der Ara des Kaisers Marcus Aurelius (161-180 n. Ch.) gefunden worden, die allerdings in keinem Verhältnis steht zu der 1939 in Avenches in einem Ablaufkanal gefundenen 11/2 kg schweren und 22 karätigen Goldbüste desselben Kaisers. Und in der bereits erwähnten Grabstätte über der oberen Kiesgrube wurden in einem Grab zwei weitere Münzen gefunden, die aus der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts stammen, wie auch der Fund eines bauchigen, hellgrauen Topfes in einem weiteren Grab in die gleiche Zeit verwiesen wird.

Auf eine Besiedelung unseres Amtes zur Römerzeit weisen ferner die Forschungsergebnisse von G. Grosjean über die von den Römern bei der Kolonisierung praktizierte Feldeinteilung, die sogenannte Limitation hin, wie sie unter anderem am Beispiel Treiten eindrücklich nachgewiesen wird.

Belegt wird weiter die Besiedelung unseres Gebietes durch Ortsnamengeschichtliche Forschungsergebnisse. Mit Ausnahme von Finsterhennen, dessen Ortsname alemannischer Herkunft ist, sind alle übrigen Namen in unserem Amt römischer, zum Teil sogar vorrömischer (keltischer) Herkunft wie übrigens ennet dem Moos auch Fräschels, Kerzers und Galmiz. Die Verbreitung so vieler Ortsnamen gleichartiger Herkunft lässt auf eine zahlreiche galloromanische Bevölkerung schliessen.

Zudem haben wir festgestellt, dass die Endung unseres Dorfnamens -ier in schweizerdeutschen Ortsnamen mit einer einzigen Ausnahme unbekannt ist. Es betrifft dies das uns benachbarte Muntelier, das nachgewiesenermassen Jahrhunderte später als Müntschemier alemannisiert worden ist. Auch Muntelier liegt, wie Müntschemier, direkt an der Sprachgrenze. Sowohl Müntschemier wie Muntelier weisen auch in ihren französischen Namen das gleiche Suffix auf wie in der deutschen: Müntschemir - Monsmier, Muntelier - Montillier. Nun ist aber die Nachsilbe -ier ein typisch französisches Suffix. Wir treffen es zahlreich in welschen Ortsnamen. Hart an der Grenze stossen wir am nördlichen Murtenseeufer auf Môtier und im Neuenburgischen auf Epargnier. ferner auf Cressier, Auvernier, Colombier usw. Der Schluss liegt nahe. dass ursprünglich die Sprachgrenze östlich von Müntschemier verlief, das ehedem eine romanische Siedelung gewesen sein muss.

Es kann daher auch nicht überraschen, dass lns um das Jahr 900 noch eine französisch sprechende Siedlung gewesen sein soll und dass in Gampelen vor der Jahrtausendwende während längerer Zeit Deutsch und Französisch nebeneinander gesprochen wurde. Und Französisch in Erlach noch in den späten Jahrhunderten des Mittelalters. Für Lüscherz nimmt man an. dass auf alle Fälle erst um 1200 das deutsche Element die Oberhand bekommen habe. Und noch länger scheint sich diese romanische Sprache auf der andern Seite des Mooses erhalten zu haben wie in Galmiz, das noch im 15. Jahrhundert beinahe ganz welsch gewesen ist. Wie denn die Alemannisierung in dieser Gegend erst als Folge der Burgunderkriege so recht in Fluss kam. (B. Roth)

Ferner ist zu berücksichtigen. dass an der Erhaltung und Förderung der französischen Sprache der Bischof von Lausanne, der ehemalige geistliche und einflussreiche Oberhirte, dem auch unsere Grafschaft Erlach bis 1528 unterstand, interessiert war und sich jedes Mittels hierzu bedient haben dürfte, wie das welsche Hinterland überhaupt.

Nicht zuletzt der starken romanischen Bevölkerungsdichte wegen dürfte es nun zuzuschreiben sein, dass die Alemannisierung unserer Gegend sich nur langsam vollzogen hat. Ortsnamen mit dem  ingen-Suffix, die auf eine frühe Landnahme der Alemannen schliessen lassen, trifft man in unserem

Amtsbezirk keine. Erst östlich des Hagneckkanals stossen wir auf derartige Namen wie Gerolfingen, Mörigen, Lattrigen, Merzligen, wobei die -igen- Suffixe aus den ursprünglichen -ingen-Suffixen hervorgegangen sind. Aber wir haben bei uns auch keine Ortsnamen, die mit andern auf alemannische Herkunft hinweisenden Suffixe ausgestattet sind wie -ried, -hofen, -schwendi, -heim, -stetten, -wil, -dorf usw. Witzwil als Name ist erst im späten letzten Jahrhundert gebildet worden und fällt daher ausser Betracht, Und doch ist unser Amtsbezirk alemannisiert worden. Weniger durch kriegerische Handlungen dürfte sich das Eindringen der möglicherweise bereits christianisierten Alemannen in unsern Bereich vollzogen haben als vielmehr im Wege einer nach und nach um sich greifenden Besitznahme romanischen Gebietes. Während dieser langen Zeit haben Romanen und Alemannen, Welsche und Deutsche, nebeneinander gelebt wie wir das heute in Biel und seinen Vorortsgemeinden erleben. Damit sind unsere Dörfer zweisprachig geworden, wobei sich die Alemannen mit den romanischen Dorfnamen so vertraut machten, dass sie schliesslich als Sprachinselchen bis in die Gegenwart bestehen blieben.

Eingezwängt in den vom Bielersee, der Zihl, dem Neuenburgersee und dem Wistenlacherberg begrenzten sprachlichen Brückenkopf, vermochten die mehr und mehr bedrängten Romanen auf die Dauer nicht mehr zu bestehen. Vielmehr führte der dauernde Zuwachs der alemannischen Bevölkerung zu einer vollständigen Verdrängung der alt eingesessenen welschen Bevölkerung und ihrer Sprache. So ist am Schlusse der Entwicklung die natürliche Grenze der Zihl, die einem weiteren Vordringen der Alemannisierung Halt gebot, auch zu einer Sprach- und Kulturgrenze ausgebildet worden.

Aufgrund unserer Ausführungen glauben wir mit grosser Wahrscheinlichkeit folgern zu dürfen, dass auch Müntschemier einstmals eine aus der gallo-romanischen Zeit stammende, später französisch sprechende Siedelung war, deren Bevölkerung durch die nach und nach eınziehenden Alemannen abgelöst wurde.