Werdt als Zankapfel zwischen Kappelen und Lyss

Trotzdem Werdt zur Kirchhöri von Lyss gehörte, hatten die Bewohner zu Kappelen bessere Verbindungen und gutnachbarliche Beziehungen. Für kirchliche Handlungen kamen sie nach Kappelen, und auch Streithändel brachten sie vor das hiesige Chorgericht anstatt nach Lyss. Die Pfarrer von Kappelen leisteten all die Arbeiten für die Werdter mehr als 300 Jahre lang mehr oder

weniger ehrenamtlich oder für «Gottslohn». Nur wer nach dem Sprichwort «Jede Arbeit ist ihres Lohnes wert» handelte, gab ihm etwas Lebensmittel oder ein paar Batzen. Einzig für die Beerdigungen mussten seine Bewohner etwas an die Kirchenkasse bezahlen. Um 1850 betrug die Gebühr pro Begräbnisplatz zwei alte Franken (Wert von 1970 rund 3 Franken). Trotzdem Lyss von vielen Verpflichtungen entlastet war, verlangten die Behörden von Werdt immer die kirchlichen Abgaben, und sie wünschten auch die Gerichtsbarkeit in Werdt ausüben zu können. Verständlicherweise waren die Kappeler, vor allem die Pfarrherren, welche die meiste Mehrarbeit leisteten, damit nicht einverstanden.

Sie stützten sich auf ihr Gewohnheitsrecht, was aber von Lyss nie anerkannt wurde. So bestunden viele Jahrzehnte lang Spannungen und Zwistigkeiten zwischen den Dörfern.

Im Jahr 1805 kam es wegen einer Erbschaftsteilung von einem Hans Bangerter in Werdt zu einem offenen, langwierigen Streithandel zwischen Kappelen und Lyss. Es gab viele Verhandlungen und Schreibereien mit Bern. In einem Brief von Kappelen hiess es: «. . _ dass zufolge älteren, hochobrigkeitlichen Erkanntnissen von 1730 und 1742 die Aare die March sei und bleiben solle inbeidseitigen Gerichten und Einungen» (Gemeinden). Lyss habe kein Recht, sich in Werdt einzumischen.

Die Lysser konnten sich aber auf ein altes Schlossurbar (heute Grundbucheintragung) von 1621 berufen. Darin stand, dass Werdt zur Kirchhöri Lyss gehöre. Ein neues Gesetz von 1803 verlangte nun noch, dass verschiedene Orte eines Kirchspiels nicht unter mehrere Chorgerichte verteilt werden dürften.«Demzufolge und auch sonst» fand der Rat in Bern 1806 die Gründe der Lysser triftiger. Er sprach Kappelen die Gerichtsbarkeit ab und bürdete ihnen noch die Kosten auf.Kappelen und Werdt mussten sich mit diesem Entscheid abfinden. In der Praxis änderte aber das Verhältnis zwischen den beiden Dörfern nichts, wie es nachstehende Begebenheiten beweisen.

lm Oktober 1810 mussten fünf Knechte von Werdt wegen nächtlichen Unfugtreibens vor dem Chorgericht Kappelen erscheinen. Sie wurden ernstlich vermahnt und für diesmal ohne Strafe laufen gelassen. 1829 büssten die Chorrichter einen Franz Nobs und einen Niklaus Hübscher von Werdt wegen Nachtlärm und Fluchen. In einem Protokoll von 1854 heisst es: «Unterweisungsknaben haben die Mädchen von Werdt so arg verfolgt, dass sie mitten durch den Schnee haben die Flucht ergreifen müssen. Vikar Emch soll ihnen einen Verweis ertheilen.»1858 heisst es noch, Pfarrer Zyro gebe die 85 Frankeıı für die Volksbibliothek, die er von den Unterweisungskindern von Werdt erhalten habe. Die Bewohner von Werdt kamen also für alle kirchlichen Angelegenheiten immer nach Kappelen, ohne festgesetzte Beiträge leisten zu müssen, mit Ausnahme der Gebühren für die Begräbnisplätze.