Kappelen

Die Kirchgemeinde

Die Kirchgemeinde Kappelen- Werdt ist meines Wissens die einzige Gemeinde im Kanton Bern, die topfeben ist, keinen natürlichen «Hoger» kennt. Die Kirchgemeinde entspricht in ihren Grenzen der politischen Gemeinde und wird, wie der Name sagt, aus den Werdthöfen und dem Dorfe Kappelen gebildet. Umgrenzt wird die Gemeinde vom Städtchen Aarberg und dem Aare- Hagneck-Kanal im Süden, dem Lauf der Alten Aare bis in die Fencheren im Osten, von Worben im Norden und der

Römerstrasse im Westen. Die schlichte und deshalb sehr schöne Kirche fügt sich demütig ins Dorfbild ein. Nur die obere Hälfte des Kirchturmes, ein viereckiger Dachreiter, mit Uhr, Schindeldach, Kreuz und Gockel überragen die weitausladenden Dächer der Bauernhäuser. Bei meiner ersten Begegnung erinnerte mich die Kirche in ihrer Einfachheit an eine grosse Kapelle.

Aus der Geschichte

Und so sind denn auch die Geschichte der Kirche und des Dorfes unzertrennlich mit dem Ortsnamen verbunden. ln der «Heimatgeschichte Kappelen-Werdt» von Hans Jost lesen wir: «Eine alemannische Siedlung bestand sicher zur Zeit der Königin Bertha von Neu-Burgund, die von 950-975 regierte.(. .  Sie war eine besorgte Landesmutter, gründete Klöster, und stiftete Kapellen.(. . .) Man darf sicher annehmen, dass die Königin auch in unserem Dorfe eine Kapelle erstellen liess, besonders, weil die Bewohner oft in Not gerieten und arm waren (Überschwemmungen).» Wohl «zum Dank und Andenken an die wohltätige Stifterin wurde der Ort nach der Kapelle benannt».

1226 wird der Ortsname erstmals mit Capellon erwähnt, 1228 mit Capella, 1255 wurde La-chapela geschrieben, 1285 Chapales und 1305 Kappelon. Folgerichtig enthält das Dorfwappen eine

Kapelle auf königsblauem Grund.

Bau von Kappellen

Nach 1100 wurde eine neue Kappelle gebaut. Aus welchem Grund ist unbekannt. Länge und Breite standen im Verhältnis 2:1, so wie die romanischen Gotteshäuser damals gebaut wurden. Gegen Osten - Sonnenaufgang - war an der Kapelle die Apsis mit kleinen Rundbogenfenstern angebaut. Die Apsis war ein halbrunder Altarnischenanbau unter einem besonderen Dach und war vom Kirchenschiff durch ein Gitter getrennt. Diese Kapelle war der heiligen Maria geweiht. Der heilige Martin von Tours, in Frankreich, wurde zum Schutzpatron bestimmt.»

1290 wurden Kapelle und Dorf von den Freiburgern in einer Fehde mit dem Grafen von Neuenburg verwüstet. Der Abt von Gottstatt setzte sich für Kappelen ein, und die Freiburger mussten für den Schaden aufkommen. Wie bei der Renovation von 1958 mit Sicherheit festgestellt werden konnte, wurde die Kapelle erst nach 1300 wieder aufgebaut und nun zu einem Kirchlein erweitert. Auf der Westseite wurde sie verlängert und die Apsis etwas verbreitert. Wahrscheinlich erhielt die Kirche ein Dachreitertürmchen.
«Um 1300 war die Epoche des gotischen Baustils. Deshalb gab es in der Südmauer die Spitzbogenfenster, wenn auch ohne Verzierungen, wie zum Beispiel Fensterrosen. Für derartige

Kunstarbeiten langten die Mittel nicht. Weil Kappelen zum grössten Teil zum Kloster Gottstatt gehörte, bestritt dieses hauptsächlich die Baukosten. Und wahrscheinlich leistete auch das Kloster Frienisberg einen Beitrag»


 Die «vierte» Kirche

In früheren Jahrhunderten war es «sozusagen gesetzliche Pflicht, dass jedermann fleissig zur Kirche ging. Nach 1821, als das Dorf nur 380 Seelen zählte (die Werdthöfe kamen erst 1876 zu Kappelen), besuchten zum Beispiel an einem Sonntag im Juni 115 Personen den Gottesdienst. Wahrscheinlich, weil  der Platz für die vielen Predigtbesucher nicht mehr genügte, musste die Kirche schon Ende des 17. Jahrhunderts vergrössert werden. Zum zweiten Mal wurde das Kirchenschiff auf der Westseite etwas verlängert. Zugleich wurde die Apsis auf der Oberseite abgebrochen und an ihrer Stelle der heutige Chor aufgebaut. Anlässlich der Renovation von 1958 kamen die Grundmauern der früheren Apsis wieder zum Vorschein» Durch die zweimalige Verlängerung hatte die Kirche nun eine fast gangartige, für ein Gotteshaus unproportionale Form erhalten, die aber nur auf der Skizze so wirkt. Den Besucher empfängt wohl eine längliche Kirche, aber den Eindruck, einen hohen gangartigen Kirchenraum zu betreten, empfindet er heute nicht mehr.

Bauliche Veränderungen

Bei der grossen Kirchenrenovation von 1958 gab es einige bauliche Veränderungen, um diese ungünstigen Proportionen optisch zu brechen. Das Abbrechen und Hinaussetzen einer Mauer (jetzt Längsmauer) wie in früheren Jahren kam nicht mehr in Frage. «Weil die Kirche vor 1800 gebaut wurde, gehört sie zu den Kunstaltertümern, die in ihrer Form nicht abgeändert werden dürfen.

Damit aber die hohe, viereckige Gangform verschwinde, wurde eine neue, sechseckige Decke erstellt, so dass es fünf Längsfelder gab. Unter der Deckenwölbung verband man die beiden Längsmauern mit sechs Querbalken, was die unproportionierte Höhe und Länge verschwinden liess.» Und damit auch der lange Raum verkürzt werde, wurde die neue Orgel wiederum vorne in den Chor auf den Platz der alten Orgel gestellt, entgegen den Wünschen des Architekten, der sie lieber auf der Empore gesehen hätte. Da das hervorragende Instrument - erstellt von der Orgelbaufirma in Genf mit 17 Registern in zwei Manualen und einem Pedal - die ganze Chorbreite beanspruchte, wurde das Rundbogenfenster aus der Barockzeit zugemauert. An dessen Stelle kam das kleine, kreisförmige Fenster über der Orgel. Heute bildet die Orgel den schmucken Abschluss des Chores. (Die erste Orgel wurde 1823 angeschafft. Es muss sich um ein 6-Register-Werk gehandelt haben. Um 1900 wurde dieses unspielbar und durch ein Harmonium ersetzt. 1924 baute Goll eine neue Orgel ein. Diese diente bis ins Jahr 1958.) Doch auch die Südmauer erfuhr wesentliche Veränderungen. Das Barockfenster oberhalb der Südtüre wurde in ein kleines Rundfenster umgebaut und die Türe etwas nach Osten versetzt. Zugleich wurde gegen das Westportal ein zweites gotisches Spitzbogenfenster erstellt, damit der wesentliche Teil des Schiffes mehr Licht erhält.

Architekt Peter lndermühle, Münsterbaumeister in Bern, gelang es mit seinen Mitarbeitern, den Handwerkern des Dorfes und dem Einsatz der ganzen Dorfbevölkerung (seit April 1945 wurde auf dieses grosse Werk hin auf verschiedenste Art und Weise Geld zusammengetragen - mit dem Dorffest im Juni 1956 als Höhepunkt) die alte, düstere Kirche in ein helles, weiterhin schlichtes Gotteshaus zu verwandeln, ein Schmuckstück für das Dorf, und für jeden Besucher ein einfacher Hinweis auf Gottes Reich, in welchem er Geborgenheit findet.

Der Taufstein in  der Schuttmulde


Ein grosses Missgeschick während der Renovationsarbeiten konnte im letzten Augenblick noch abgewendet werden. Der Taufstein sollte durch einen neuen ersetzt werden. Die Arbeiter brachen den sehr alten Taufstein heraus und warfen ihn in die Schuttmulde. Dort wurde er von Staatsarchivar Dr. von Fischer entdeckt. Heute steht er wieder an seinem Platz im Chor, Einige Flicke und vor allem der neue Sockel zeugen vom Übereifer im Renovieren und vom verhinderten Unglück. Der Taufstein ist ein kostbares Kunstalterturn, soll er doch aus dem 14. Jahrhundert stammen. Auf acht Feldern sind frühgotische Ornamente zu sehen. Ein Taufstein also, wie es nur noch wenige derartige gibt.

Ein schöner Schmuck im schlichten Chor ist ferner die Kanzel aus dem Jahre 1637. «Bis Ende des 19. Jahrhunderts bestand sie allerdings in einfacher, bescheidener Ausführung» Der von 1886-1922 «amtierende, kunsthandwerkliche Pfarrer Carl Ludwig Gerster schmückte im Laufe der Jahre die Kanzel mit schönen lntarsienarbeiten, das heisst eingelegten Schnitzereien aus verschiedenen, farbigen Holzarten, 1958 wurden die Lackierungen entfernt, damit die kunstvollen Verzierungen wieder gut sichtbar sind».

Silberreines Geläute

Schliesslich besitzt die Kappeler Kirche ein helles, von Experten als «kristallklar und silberrein» bezeichnetes Geläute. Es besteht aus vier auf C, ES, F und G gestimmte Glocken. Die ES- und G Glocke stammen aus dem Jahre 1848, die grosse C- und die F-Glocke von 1952. Die kleinste Glocke aus dem Jahre 1713, zugleich die erste und bis 1848 einzige, passte nach dem Urteil zweier Sachkundiger nicht zu der ES- und G-Glocke. So wurde sie 1952 durch die zwei neuen Glocken ersetzt. Leider sah man damals im alten Glöcklein nur den Metallwert und überliess sie deshalb der Glockengiesserei Rüetschi in Aarau als Beitrag an die beiden neuen Glocken.

Wenn die Glocken erklingen, schwingen Kreuz und «Güggu» zuoberst auf der Kirchturmspitze kräftig mit. So möchte die frohe Botschaft - ohne die es keine Kirchen gäbe - auch die menschlichen Herzen zum Mitschwingen bringen.