Geheimnisvolle Knebelburg
Einleitung
Es war einmal ein grosser See. Ein See, der sich über das ebene Land westlich von Yverdon dem Juragebirge entlang bis in die Gegend von Wangen an der Aare hinzog. ln der Fachliteratur ist er den Geologen und Hydrologen unter dem Namen «Lac de Soleure» bekannt. Entstanden indessen war dieses grosse Binnengewässer als konkrete Folge des schmelzenden Rhonegletschers, der bei Wangen an der Aare durch dessen Stirnmoräne gestaut wurde. ln der Zeit seiner grössten Ausdehnung der mit Felstrümmern übersäten Eisflache, die südlich von Lyss den von der Grimsel herströmenden Aaregletscher abblockte, hatte der mächtige Rhonegletscher über dem Seeland eine bis 500m hohe Eiszunge bilden können. Aus dem erwähnten «Lac de Soleure» - mit einem mittleren Niveau von 448 m über Meer ragten grosse lnseln oder begrenzende Hügel auf und, wie beispielsweise gegen Norden, das Juragebirge. Nackt und kahl waren diese Erhebungen, rundgeschliffen, manchmal eckig gezähnt vom Eis, das mit seinem Riesengewicht von Westen nach Osten strich und so das entscheidende landschaftsgestaltende Element für das Seeland wurde.
Jolimont, Grossholz, Oberholz, Jensberg, Krähenberg, Büttenberg heissen diese lnseln heute. Was einst öde Buckel und Bergrücken waren, sind heute Kulturlandschaften mit unerhört reicher geologischer, botanischer, aber auch geschichtlicher Vergangenheit. Aus den verflossenen Epochen der letzten rund 15'000 Jahre besitzen wir wohl klare Belege einer Besiedelung, nicht aber gültige Gewissheit im wissenschaftlich-historischen Sinne So können wir nur aus Analogie ein einigermassen annehmbares Bild zeichnen. Es sind ja auch nicht einmal zwei Jahrtausende vergangen, seit uns von der Römerzeit hinweg zwar spärliche schriftliche, aber doch sehr aufschlussreiche Zeugnisse hinterlassen wurden. Und erst neun Jahrhunderte sind vergangen, seitdem auch bei uns in alten Dokumenten eine präzise Siedlungsgeschichte geschrieben wird. So werden wir bei der Erforschung unserer Frühgeschichte noch und noch gezwungen, zu versuchen, mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln die stummen Zeugen der Vergangenheit zum Sprechen zu bringen. Dabei stehen uns heute glücklicherweise viele wertvolle Möglichkeiten wissenschaftlicher Erkenntnisfindung offen: Zoologie, Botanik (speziell mit der Pollenanalyse), Geologie, Geographie (inklusive Astronomie und Anthropogeographie), Klimatologie, Physik (radioaktive Altersbestimmung mit dem Kohlenstoffisotop C 14, Spektralanalyse), Medizin, Anthropologie, sowie viele andere Hilfswissenschaften mehr,
Wer errichtete die Knebelburg?
Eine erste, ausführliche historische Beschreibung der Vergangenheit des Seelandes stammt vom Berner Geschichtsforscher Albert Jahn aus dem Jahre 1850. Ln seinem «Handbuch für die Freunde vaterländischer Vorzeit» ist mit Entschiedenheit festgehalten, dass der Jensberg von Bellmund bis Studen die wichtigsten Fundstätten des ganzen Seelandes aus keltisch-römischem Altertum besitzt. Heute sind wir zwar auf einem verfeinerten Wissensstand angelangt, wissen indessen aber nicht viel mehr als die damaligen Forscher, die Geschichtsforschung fast ausschliesslich auf rein privater Basis betrieben. Umso erstaunlicher sind die wertvollen Schlussfolgerungen ohne alle eingangs erwähnten, uns heute zur Verfügung stehenden Wissenschaften. So sind es denn auch keine Denkfehler, sondern logische Rückschlüsse, die vielen Fundorten oder Fundstücken der Vergangenheit eine eher romantische Zuordnung gaben. So wurde denn auch die Knebelburg gedeutet als «keltisches Refugium››, der östlich gelegene Wall als « Keltenwall» und Petinesca als «keltisch-römische Festung ». Diese Annahmen waren umso verständlicher, als die unerhört zahlreichen Funde aus der Zeit vor der Römerherrschaft (stein- und bronzezeitliche Pfahlbauten sowie ältere und jüngere Eisenzeit) die kontinuierliche Besiedelung unserer Gegend in grauer Vorzeit bestätigten. Über die Kulturelemente der ethnologischen Einheiten war man sich noch ganz und gar nicht einig; die Bezeichnungen wie Kelten, Helvetier, Gallier oder Alemannen waren geläufige Ausdrücke, die munter durcheinandergemischt wurden.
Welchem Volksstamm und vor allem welcher geschichtlichen Epoche ist nun aber die Knebelburg zuzuweisen? Diese Frage ist umso schwieriger zu beantworten, als wir überhaupt keine Fundstücke besitzen, die nachgewiesenermassen von der Knebelburg stammen und deshalb für eine Datierung in Frage kommen. Der an der höchsten Stelle des Jensbergs liegende Hügel mit Wall und Graben kulminiert auf 610 m ü.M., besitzt eine unregelmässige Eiform mit den ungefähren Massen von 136 m Länge und einer mittleren Breite von 35 m. Der 3 bis 5 m tiefe Graben mit Lichtöffnung von 7 bis 16m, ist von einem Wall von 1,5 bis 5m Höhe umgeben. Die ganze Anlage hat heute ihr profiliertes Relief verloren und schmiegt sich sanft an das umgebende Gelände an, was wohl in erster Linie auf die Erosion zurückzuführen ist.
Wann aber das burgartige Erdwerk angelegt wurde, ist völlig unsicher. Es darf aber aus der Art der Anlage, wie besonders auch aus den verwendeten Materialien darauf geschlossen werden, dass die «Burg›› weder keltischen, noch römischen Ursprungs sein kann. Lm aufgeschütteten Erdreich findet sich jetzt zu fast 100 Prozent der anstehende Sandstein der Süsswassermolasse, dann aber auch der ganz in der Nahe gebrochene Stein der marinen Molasse. Die etwas mehr als einen halben Kilometer östlich liegenden Steinbrüche, die übrigens bis in unser Jahrhundert hinein für den Hausbau ausgebeutet wurden, lieferten bereits ungefähr ein Jahrtausend vorher einen begehrten Baustoff.
Von Holzflechtwerk oder Balkenlagen, wie sie in Berichten aus dem vergangenen Jahrhundert erwähnt werden, ist heute nichts mehr Sichtbares vorhanden. Ebenso wenig findet man geschnitzte oder behauene Tierfiguren aus Sandstein, wie dies in älteren Geschichtsquellen erwähnt wird. Und wo sich der sagenhafte Sodbrunnen mit dem in der Tiefe versenkten Schatz befunden hat, darf wohl als eine der beliebten sagenhaften Ausschmückungen sein. Dass aber einmal viel Holzwerk vorhanden war, ist im Wort Knebelburg selbst zu finden; Nicht vergebens sprach man Jahrhundertelang von der Burg aus Knebeln. Wichtiger ist jedoch, dass mit Sicherheit Brandreste nachgewiesen werden konnten. Auf den ersten Blick erscheint uns dies nicht sonderlich wichtig; sie könnten uns aber doch einen Schritt weiterführen. Der Verfasser dieser Betrachtung, der während mehr als 50 Jahren der Faszination dieser in kein übliches Schema passenden Anlage erlag, kam wieder und wieder in Versuchung mit einer Sondiergrabung nach modernen Gesichtspunkten schlüssige und handgreifliche Resultate und Anhaltspunkte über Charakter und Bestimmung der Knebelburg zu erzwingen. Doch zurück in die Realität.
Ein besonderer Punkt
Erdhügel, Wall und Graben konnten nur unter gewissen Voraussetzungen angelegt werden: Entweder war die Bergkuppe kahl oder nur von Gebüsch bewachsen, oder die möglicherweise vorhandenen Bäume mussten gefällt werden, wobei sie übrigens gleich willkommenen Baustoff wie Balken und Knebel (!) lieferten. Ohne Baumbestand öffnete sich damit eine Rundsicht, wie man ihresgleichen im Seeland suchen muss; von hier aus lässt sich im Süden und Osten die gesamte Ebene der Aare von Aarberg bis weit in solothurnisches Gebiet einsehen. lm Norden ist der Blick frei zum Jurafuss, den Bielersee und das gesamte Gewässersystem. Gegen Westen schliesslich reicht das Auge zu den Bergrücken, die unseren See flankieren. Welch eine Aussicht... und welch eine Einsicht in das ganze umliegende Gelände! Für die Menschen, die bis in die jüngere Vergangenheit ihre Wohnstätten nach den Kriterien des Schutzes und der Sicherheit errichteten, konnte überhaupt kein besserer Beobachtungspunkt gefunden werden. Mit wenig Leuten einer ständigen Wachmannschaft war, sofern nicht die Sicht getrübt war, ein optimales Moment für Gefahrenalarm gegeben. Zugleich aber war der höchste Punkt des hier alles beherrschenden Jensbergs (fast 200m über der Talsohle gelegen) ein Ort, wohin man sich nicht nur flüchten konnte, sondern vielmehr auch sich zu verteidigen in der Lage war. Wenn im Vorfeld des letzten Verteidigungsrings (in diesem Fall der Knebelburg) noch Hohlwege und kleinere Festungsanlagen im kupierten Gelände angelegt werden, dann ist eigentlich das Ideal einer Fluchtburg, eines Refugiums oder einer letzten Bastion in die Wirklichkeit umgesetzt. Damit aber ist erst eine zwar wichtige, aber noch lange nicht die letzte Voraussetzung für die Existenz einer solchen Anlage gegeben. Zusätzlich wissen wir noch keineswegs, zu welcher Zeit sich die dort lebenden Menschen entschlossen, die günstigen Verhältnisse auszunützen. Waren es vielleicht sogar die direkt am Fusse des Jensbergs lebenden Pfahlbauer der jüngeren Steinzeit, die Gallier oder Helvetier, die am Ostfuss des Bergs ihr Dorf und die dazugehörigen Tempelanlagen errichtet hatten, die Römer etwa, Meister im Bau von militärischen Wachtürmen, waren es gar erst von Osten oder Westen eingebrochene Stämme der Völkerwanderungszeit im Frühmittelalter? - Solange keine wissenschaftliche Grabung mit Datierungsmöglichkeit der zu erwartenden Fundstücke stattgefunden hat, bis dahin bleibt all unser Bemühen ein von Hypothesen und verständlicherweise viel viel Fantasie gewürzter Deutungsversuch.
Kreuzweg der Völker
Es ist erwiesen, dass seit der Jungsteinzeit über die Bronzezeit, die ältere Eisenzeit (Hallstatt), die jüngere Eisenzeit (La Tène), bis zur Römerzeit eine lückenlose Besiedelung des gesamten Perimeters rund um den Jensberg da war. Nur gerade für die Zeit nach dem Ende der Römerzeit fehlen in näherer Umgebung typische und einwandfrei datierbare Funde. Aber dann kamen die Alemannen aus dem Osten und die Burgunder aus dem Westen. Wandervölker suchten eine neue Heimat, Wandervölker verweilten auch in unseren Regionen, lebten und starben hier, suchten Schutz und Sicherheit. Der Prozess des Zusammenlebens von abstammungsmässig und sprachlich grundverschiedenen Völkern nahm seinen Anfang. Er ist noch heute nicht abgeschlossen. ln dieser Situation ist es wahrscheinlich unerlässlich, das Rad der Geschichte nochmals zurückzudrehen. Das Seeland war zu allen Zeiten der Menschheitsgeschichte eine wichtige Drehscheibe. Davon zeugen die Fundstellen aus allen Zeitepochen. Zählen wir sie noch einmal auf: Die gleich nach dem Rückzug der Gletscher auftauchenden Höhlenbewohner in Höhlen und im «abri sous roche» oberhalb Twann; die Wandernomaden des Mesolithikums in der Hügelzone bei Pieterlen, also die mittelsteinzeitlichen Jäger, Fischer und Rentierzüchter; die Pfahlbauer des Neolithikums mit den Grosstationen am Bielersee der damals bis nach Port hinunterreichte; die grossen bronzezeitlichen Metropolen Mörigen und Nidau, wobei der Steinberg Nidau in seiner wahren Bedeutung noch gar nicht richtig eingestuft ist, weil dieser strategisch einmalig gelegene Ort als die wahrscheinlich bedeutendste Bastion der Bronzezeit zwischen Dänemark, dem Donaubecken, Oberitalien und dem Atlantik fungierte; die Hallstattzeit mit ihren vielen Fürstengräbern vom Büttenberg bis an den Schaltenrain bei lns; die nach dem einmalig wichtigen Fundort am unteren Neuenburgersee benannte La Tène Zeit mit der grössten Waffenschmiede aus dieser Epoche und den von dort stammenden zahlreichen Funden bei Port im sogenannten Spärs; die Römerzeit mit Petinesca, der sichersten und bestausgebauten Station an der Römerstrasse zwischen Aventicum (Avenches) und Augusta Raurica (Kaiseraugst). Die auf die kürzesten Merkmale beschränkte Aufzählung führt uns eindrücklich vor Augen, welche überragende Bedeutung unsere engere Heimat einmal besass. Nun bleibt aber noch das Frühmittelalter, wo bei uns noch wenig Licht und Erkenntnis einfällt. Es ist die Zeit grosser Völkerverschiebungen.
Was ist die Knebelburg?
Seit langer Zeit schon haben Anthropologen und Geschichtsforscher herausgefunden, dass Wandervölker ihre Toten nicht in der Erde bestatteten, sondern sie einäscherten und ohne die bei den Sesshaften damals üblichen Beigaben der Erde übergeben. ln allen zwar ungenauen, aber doch sehr aufschlussreichen Forschungs- oder Fundberichten, die wir vom Jensberg besitzen, wiederholt sich die Feststellung, man sei an recht vielen Orten, so besonders auch am Ringwall der Knebelburg, an den Hohlwegen und am Keltenwall auf Brand- oder Aschespuren gestossen. Eigenartigerweise findet man hier aber nicht ein einziges sicher nachgewiesenes Grab mit dem sonst wohlbekannten Erdbestattungsritus. Wo sind denn die Toten? Wurden sie allesamt kremiert? Und, wenn ja, wo? So betrachtet, öffnen sich für die Deutung der Brand- und Aschenreste auf der Knebelburg neue, andere Perspektiven. Zwar bleiben die Kardinalfragen bestehen, wer sie erbaute und wann das war. ihre Zweckbestimmung ist sicher die eines Refugiums, eines Beobachtungspostens oder die einer nach Osten gerichteten befestigten Verteidigungsanlage mit Wall und Graben. Diese Ostorientierung erscheint auf den ersten Blick paradox, denn der Keltenwall sichert in Richtung Westen. Gegen die Möglichkeit zweier ungleicher Befestigungsanlagen, die sich in der gleichen Zeitepoche kontrovers gegenüberstanden, spricht aber ganz eindeutig die völlig unterschiedliche Baustruktur. Für den Keltenwall plädieren wir deshalb als für den älteren Bau, während die Knebelburg mit einiger Wahrscheinlichkeit und aus Analogieschlüssen in das Frühmittelalter oder sogar in spätere Zeiten einzugliedern wäre. ln einem weiteren Vergleich ist unsere Burg auch nicht in das landesweite Netz der Wachtfeuerstandorte der vergangenen drei Jahrhunderte einzugliedern. Der für unsere Gegend massgebende, belegte Standort des entsprechenden Alarmpunkts befand sich nämlich auf der Hueb, von wo die optische Direktverbindung nach dem Jolimont, nach Bargen, Büren a,A. und Le Bambois oberhalb Friedliswart (oder Sesseliberg?) gesichert war. Ganz bestimmt erwiesen ist indessen die Rolle der Knebelburg als Beobachtungs- und Alarmstelle im Ersten Weltkrieg, als die Schweizer Armee den schon bestehenden Aussichtsturm aus Holz zu Beobachtungszwecken in ihren Dienst stellte.
Eine neue Deutung
Was also war denn eigentlich die Knebelburg? Nachdem wir ihre vielseitig mögliche Zweckbestimmung nachgewiesen haben, scheint mir doch noch eine Deutung übrigzubleiben, die zwar nicht mit unwiderlegbaren Tatsachen und schriftlichen Dokumenten bewiesen werden kann. Darum soll diese Meinung denn auch nicht den Anspruch auf sichere und endgültige Interpretation beinhalten, sondern, im Sinne eines Diskussionsbeitrages, für die künftige Forschung verstanden sein. ln allen Jahrtausenden der menschlichen Vergangenheit ist, völlig losgelöst von den materiellen Realitäten des Alltags, immer wieder ein besonderes Phänomen zu beobachten, das eh und je in die Lebensweise und Gedankenwelt hineinspielte. Auf einen einfachen Nenner gebracht: Das Leben nach dem Tod. Mit allen Religionen der Menschheitsgeschichte unabdingbar verknüpft, ist auch heute noch die Frage... «und was kommt nachher? ›› sehr zentral. Auch wenn man glaubt, unsere Welt der Sachlichkeit mit ihrem scheinbaren Realitätssinn sehe die Problematik auf der Grundlage der modernen Naturgeschichte so ziemlich gelöst, dann ist dies ein gewaltiger lrrtum. Wir interessieren uns doch recht wenig darum, ob die kürzlich entdeckte, ungefähr 12 Milliarden Lichtjahre entfernte Galaxie das Rätsel vom Urknall lösen kann oder nicht. Unter solchen Dimensionen kann man sich einfach nichts Konkretes vorstellen. Eine uns viel näher stehende Entfernung beschäftigt uns mehr: Es ist jene vom Leben zum Tod. Auch wenn heute vielleicht etwas hochmütig behauptet wird, dass «primitive›› Völker einem ausgesprochen komplizierten, von uns kaum verständlichen Totenkult huldigten, dann genügt es nicht, zu sagen, unser Glaube (welcher Richtung auch immer er sei) habe eine ganz präzise und verbindliche Antwort bereit. Wie könnte denn sonst die Esoterik eine derartige Verbreitung in allen Schichten der Bevölkerung erhalten haben! Wir erkennen, dass mit viel emotionellen, gedanklich komplizierten und fast grenzenlosen Spekulationen auf das Jenseits noch viel lnteresse geweckt werden kann. Wie könnte es zu jenen Zeiten anders gewesen sein, als der Glaube an Götter und Geister, Zauber und Mystik noch zentrales Anliegen war? Die Natur selbst war Kirche oder Tempel der urzeitlichen Menschen. Berge und Bäume, Quellen, Flüsse und Seen waren die Kultstätten. Erst allmählich kamen die Tempel und Gotteshäuser. Das umliegende Land aber war immer geheiligte Erde.
So könnte auch ein Berg, also dieser unser Jensberg mit seinem markantem Profil und der ganz besonderen Lage vom Dämmerschein der Menschheitsgeschichte an, dann auch über eine ferne, aber doch erfassbare Vergangenheit hinweg eine symbolträchtige Bedeutung besessen haben. Wo in einer turbulenten Vergangenheit Völker, Stämme und Sippen mit ihren ureigenen, gewaltig divergierenden Kulturen und Sitten aufeinanderstiessen, bildete sich ein verzweigtes Netzwerk von Religiosität und Brauchtum. Die Menschen prallten gnadenlos aufeinander, wie auch ihre Riten. Nur den Toten schenkte man, was erstrebenswert war. Ruhe, Frieden und metaphysisches Weiterleben aber konnten sie nur haben, wenn sie von der irdischen Hülle befreit waren. Dies war wohl den eingeäscherten Toten allein vorbehalten. Wie wir gesehen haben, sind über den ganzen Jensberg hinweg, aber auch auf der Knebelburg Einäscherungsstellen nachgewiesen worden. War vielleicht der Jensberg und damit die Knebelburg ein grosses Gräberfeld in weitläufiger Auflockerung?
Nicht nur der gallo-römische Tempelbezirk auf dem Gumpboden oberhalb Petinesca, nicht verstreute Gräber nur weisen auf geweihte Erde hin. Der ganze Jensberg mit seinen markanten, exponierten Punkten, mit den vielen, nicht als Wohnstätten anzusprechenden grösseren und kleineren Bauwerken, musste in einem bestimmten Mass kultische Bedeutung besitzen. Bereits vor Christi Geburt vor 2000 Jahren waren Kultstätten vorhanden, und andere wurden bis mindestens zum 7. nachchristlichen Jahrhundert noch angelegt. Alle die Menschen, die hier lebten und liebten, arbeiteten, kämpften und ihre kultisch-religiösen Bräuche ausübten, sie sind hier auch den Weg alles irdischen gegangen. Wohl nicht nur auf dem Jensberg schlechthin, sondern dort, wo ihm, wann auch immer, mit Hügel, Wall und Graben gewissermassen eine Krone erwachsen ist, wurden die Verblichenen als Asche in ihr letztes symbolisches Ruhelager gebettet. Geheimnisvolle Knebelburg, einst geheiligter Ort auf heiligem Berg?