St.Petersinsel
Vorbemerkung:
Seit rund 450 Jahren gibt es auf der St. Petersinsel kein Kloster und seit etwa 420 Jahren keine Kirche mehr. Trotzdem spricht heute noch jedermann vom Insel-Kloster - und auch auf der offiziellen Landeskarte der Schweiz (Massstab 1:25 000) taucht der Begriff «Chloster›› noch auf. Mit diesem heutigen «Chloster» ist keine Weltabgeschiedene Einsiedelei gemeint, sondern der Gasthof der Insel. Dieser allerdings befindet sich in den uralten Mauern des ehemaligen Cluniazenser-Priorates.
Tausende und Abertausende von Besuchern «pilgern›› Jahr für Jahr auf die Insel inmitten des Bielersees. Sie ist für Ausflügler, Touristen, Feriengäste aus nah und fern zu einem Traumziel geworden. Wo einst «klösterliche Weltabgeschiedenheit» zu finden war, herrscht heute an sonnigen Sommertagen ein hektischer Massentourismus. Was suchen die Besucher auf der Insel? Einen Hauch Klosterromantik? Verlorengegangene Stille? Die Spuren weltberühmter Inselbesucher? Oder ein Stück grossartiger Natur? Letzteres suchten die Mönche von Cluny. Sie bevorzugten für ihre Klostergründungen landschaftliche Schönheiten, die sie zum Preisen des Schöpfers veranlassen sollten.
Das kleine Rousseau-Eiland
Ich habe an manch einem reizenden <Orte geweilt; nirgends aber fühlte ich mich so wahrhaft glücklich wie auf der St. Petersinsel inmitten des Bielersees, und an keinen Aufenthalt denke ich mit solch süsser Wehmut zurück. Das kleine Eiland - in Neuenburg nennt man es ,Ile de La Motte' - ist sogar in der Schweiz recht wenig bekannt. Ich wüsste nicht, dass ein Reisender es auch nur erwähnte. Und doch ist es sehr anmutig und dank seiner einzigartigen Lage wie für das Glück eines Menschen geschaffen, der sich zu beschränken liebt _ . .» Diese Worte leiten den «Fünften Spaziergang» der «Träumereien eines einsamen Spaziergängers» ein, geschrieben vom wohl berühmtesten Besucher der Insel, dem grossen Dichter, Schriftsteller und Philosophen Jean-Jacques Rousseau (geboren 1712 in Genf, gestorben 1778 bei Paris). Rousseau kam nicht als Tourist auf die Insel, sondern als Flüchtling. Von Genf und Frankreich ausgewiesen und verfolgt, suchte die damals umstrittene Berühmtheit im August und September 1765 auf der «Insel mitten im See» (Insula medii lacus) Zuflucht. Aber sein Aufenthalt dauerte nicht lange. Trotz der Protektion des Landvogtes von Nidau musste Rousseau auf Befehl der bernischen Regierung die Insel nach wenigen Wochen wieder verlassen. Geblieben sind seine «Träumereien» und für die bildungshungrigen Touristen seine mit Sorgfalt gepflegte Stube im Kloster-Gasthaus wie auch eine Büste, welche seit 1904 in der Nähe der Südländte steht und den «grossen Prediger eines neuen Naturgefühls» ehrt. Durch die begeisterte Schilderung von Rousseau verhalf der grosse Mann der Insel zu geistesgeschichtlicher Bedeutung, welche die früheren Mönche der Insel zu geben vermochten.
Ein falscher Name
Eigentlich trägt die Insel einen falschen Namen, denn im Zuge der 1. Juragewässerkorrektion von 1868 - 1878 wurde der Seespiegel um mehr als zwei Meter gesenkt, wodurch die bisher unter Wasser gelegene Landverbindung mit Erlach trockengelegt wurde. Die ursprüngliche Insel ist heute eine Halbinsel. Und eigentlich sollte die Insel St.-Peter- und St.-Paulus-Insel heissen, denn alle Cluniazenserklöster waren gemäss der strengen Ordensregel den Heiligen Petrus und Paulus geweiht. Da man aber zu späterer Zeit nur ein Klostersiegel mit dem heiligen Petrus fand, gab man der Insel nur ihren halben Namen.
Reben, Wald und Feld
Im Jahre 1903 schrieb ein unbekannter Chronist in einem historischen Kalender über die St. Petersinsel: «Dieselbe gehört zur Gemeinde Twann, somit zum Amt Nidau, und ist bei stillem See mit Ruderschiff von Twann in zwanzig und von Ligerz in zehn Minuten zu erreichen. Sie misst ohne den durch die Entsumpfung gewonnenen, je nach dem Wasserstand aber wechselnden Strandboden ungefähr hundert Jucharten, wovon ein Drittel in Wald, ein Drittel in Feld und ein Drittel in Reben besteht. In allerletzter Zeit wurde aber ein Teil der Reben ausgeschlagen. In der Ebene gegen Südosten befindet sich das Wirtschaftsgebäude, früher ein dem Cluniazenserorden gehörendes Kloster, mit einer dem St. Peter geweihten Kirche.»
Vom Burgund auf die Insel
Im Jahre 910 stiftete der Herzog Wilhelm von Aquitanien zu Cluny im Burgund ein Kloster. Dieses sollte zu einem der grössten, mächtigsten und einflussreichsten Klöstern des Abendlandes werden. Die Mönche von Cluny, die Cluniazenser, schickten sogar verschiedene Male Ordensbrüder nach Rom, wo sie zu Päpsten gekrönt wurden. Zweihundert Jahre nach der Ordensgründung, im Jahre 1107, schenkte Graf Wilhelm III. von Burgund-Mâcon dem Abte Hugo des Mutterklosters in Cluny Güter im Dorfe Bellmund und die nahe Insel, damals genannt die «Insel der Grafen». Der Abt Hugo liess nun in Bellmund eine Filiale, ein Priorat einrichten, wovon heute noch ein Haus zeugen soll (die Kirche verschwand anlässlich der Reformation). Um das Jahr 1127, so weiss Dr. Andres Moser in seiner «Geschichte der Sankt Petersinsel» zu berichten, wurde das Priorat auf die Insel verlegt.
Mord in der Kirche
Am 9. Februar 1127 wurde der Sohn des Kloster-Stifters, Graf Wilhelm IV., mit seinen Getreuen, Peter und Wilhelm von Glana, in der Kirche zu Payerne ermordet. Einem Gerücht entsprechend, könnten die Mönche der Insel am Mord beteiligt gewesen sein. Noch heute ist am Ostflügel des Klosters ein Sarkophagdeckel zu sehen, welcher zur Bestattung des Ermordeten gedient haben könnte.
Aufstieg und Fall
Neben dem Klostervorsteher, dem Prior, zählte man auf der Insel nie mehr als vier bis fünf Mönche, oft auch nur zwei. Diesen wenigen Männern kommt das Verdienst zu, einen Teil der Insel urbar gemacht und Kulturen eingeführt zu haben, vorallem den Weinbau (denn in den Klöstern schätzte man einen guten Tropfen !). Das Priorat gedieh. Durch Schenkungen zahlreicher Grundstücke in der Herrschaft Nidau, auf dem Tessenberg und sogar im Emmental, gewannen die Mönche Reichtum und Einfluss. Im Jahre 1340 wurde das Kloster in das Burgrecht von Nidau und 1359 in dasjenige von Biel aufgenommen. Am 22. Februar 1362 erfolgte die Unterzeichnung eines Bruderschaftsbriefes zwischen den Klöstern der Region, das waren St. Johannsen bei Erlach, Frienisberg bei Seedorf/ Aarberg, Font-André im Neuenburgischen, Gottstatt bei Orpund/Biel und St.Peter und St.Paulus auf der Insel. Aber dem Reichtum und der Macht folgten Verwahrlosung, Ordensregeln und Sittenzerfall auf dem Fusse nach. Bald führten die Mönche ein liederliches Leben. Sie verwickelten sich in Händel, verloren Streite - und verarmten. Im Jahre 1305 befanden sich die Gottesdienstgeräte bei einem Juden in Biel in Pfand! Bereits 1259 wurde die Aufhebung des Priorates erwogen, wurde dann aber dem Bischof von Basel zu besonderer Kontrolle übertragen. 1360 wurde die Auflösung wieder erwogen, da die Visitatoren 1359 überhaupt niemanden auf der Insel antrafen. Im Jahre 1400 war nur der Prior mit einem Weibe anzutreffen. Der Zerfall war nicht mehr aufzuhalten. Selbst die grossen Glocken mussten verkauft werden. Dreiundzwanzig Priore folgten einander auf der Insel. Manche waren Wertvolle Männer, viele aber vernachlässigten ihr Amt. 1417 unternahm einer sogar einen Überfall auf das Priorat, um die Stelle eines Verwalters zu erhalten! Die Mönchszucht liess im 15. Jahrhundert derart nach, dass auf Betreiben der Berner Regierung Papst Innozenz VIII. in einer Bulle vom 14. Dezember 1484 das Priorat auf der Insel aufhob (gleichzeitig mit der Aufhebung der Klöster Interlaken, Münchenwiler bei Murten, Amsoldingen bei Thun, Därstetten, Köniz, Frauenkappelen, Rüeggisberg und Röthenbach im Emmental). Der letzte Prior, Pierre du Terraux, blieb noch bis zum Jahre 1485 auf der Insel und wurde dann Abt im emmentalischen Trub.
Insel und das «Chloster» heute
Nach der Prioratsaufhebung unterstand die Insel dem St.-Vincenzen-Stift von Bern. Aber bereits nach vier Jahren wurde sie dem Kloster St. Johannsen bei Erlach - unter der Bedingung des Abhaltens regelmässiger Gottesdienste und des Gebäudeunterhaltes - verliehen. Der Vorsteher des St.-Vincenzen-Stiftes fürchtete nämlich wegen der schlechten Bedienung des Gottesdienstes den göttlichen Zorn! Während der stürmischen Reformationstage besetzte die Berner Regierung alle Klöster mit Vögten. Auch ins ehemalige Kloster auf der Insel wurde ein Vogt gesandt. Zwei Jahre nach der Einführung der Reformation, 1530, schenkte die bernische Obrigkeit die Insel mitsamt der kleinen Insel (der Kanincheninsel Chüngeliinsel) dem sogenannten Unteren Spital der Stadt Bern, dem heutigen Burgerspital. Dieses besitzt die ganze Domäne heute noch. Die Verwaltung wurde einem Schaffner (Pächter) anvertraut. Die Kirche wurde 1557 teilweise abgebrochen und mit dem angrenzenden Stiftsaal in ein grosses Kellergebäude verwandelt. Lange Zeit gehört dann die Insel kirchlich zu Ligerz. Seit 1732 ist die Insel nun «für Kirchgang und Chorgericht» Twann zugeteilt.