Nidau Kirche
Eingeklemmtes Kleinod
Vom frühern Schulhaus und jetzigen Verwaltungsgebäude sowie einem uralten Spritzenhäuschen flankiert, steht sie da, die kleine Kirche mit dem schiefen Turm - ein eingeklemmtes Kleinod, das viele erst sehen, wenn sie die Glocken läuten hören.
Das Geläute
Die Kirche von Nidau ruft die Gläubigen im Vierklang zum Gebet. Die älteste Glocke datiert aus vorreformatorischer Zeit. Sie trägt die Jahrzahl 1466 und die Inschrift: «Ave Maria gratia plena dominus tecum» (Gegrüsst sei Maria voller Gnaden - der Herr sei mit dir). Die zweitgrösste Glocke wurde 1809 gegossen. Ihr wurde das Stadtwappen eingraviert. Die kleinste Glocke stiftete Albrecht Pagan, damals Amtsschreiber im Grafenstädtchen. Sie zeigt das Wappen dieser alten Nidauer Familie und wurde im Jahre 1810 aufgezogen. Die jüngste Glocke hängt seit der Renovation des Glockenstandes von 1949 im Turm. Als Inschrift trägt sie das Paulus-Wort: «Wo der Geist des Herrn ist, da ist die Freiheit»
Schmucke Schlichtheit
Rund vierhundert Personen bietet die Kirche von Nidau Platz, die sich auch innen durch schmucke Schlichtheit auszeichnet. Aus elf Fenstern flutet reichlich Licht auf die Kanzel, 94 Chorstühle, 15 eichene Bänke und den rötlichen Klinkerboden. Das Licht erhellt auch die architektonisch harmonisch eingefügte Empore mit der silbern schimmernden Orgel und die horizontal verlaufende, getäferte Decke. Nach Sonnenuntergang beleuchten wenige, formschöne Lampen das stimmungsvolle Gotteshaus, das so intim wirkt, dass sich auch ein Einsamer darin geborgen fühlt, und das anderseits doch gross genug ist, um eine gute Akustik zu bieten.
Sparsame Ausstattung
Ein Fremdenführer hätte einer Schar von Touristen die dem heiligen Erhard Bischof von Regensburg geweihte Kirche mit wenigen Worten vorgestellt. Denn obwohl dieses Gotteshaus, wie in alten Schriften berichtet wird, einst Wallfahrtskirche war, zeichnet sich seine Inneneinrichtung nur durch wenige Sehenswürdigkeiten aus. Blickfang im Chor sind die aus dem 16. und 17. Jahrhundert stammenden, sehr schön gestalteten Wappenscheiben bernischer Patriziergeschlechter. Zwei an der Nordfront angebrachte Wappenscheiben sind allerdings nur Kopien. Die Originale wurden 1913 dem Historischen Museum Bern verkauft, weil Geld für Erneuerungsarbeiten beschafft werden musste. Ein ziemlich bedauerlicher Handel, über den nur hinwegtrösten kann, dass ein Rückkaufsrecht besteht. Eine der beiden Kopien zeigt den Krebs und den Fisch, die Nidauer Wappentiere - die andere ist im Original eine Stiftung von Hans Huber, Vogt zu Nidau. Ausser den erwähnten Patrizierwappen aus nachreformatorischer Zeit befinden sich im Chor zwei weitere Wappenscheiben des Standes Bern aus dem Jahre 1607 und eine neuere mit dem Wappen von Neuenstadt. Anlässlich der ersten grossen Renovation in diesem Jahrhundert, wurde der Kirche zudem von privater Seite eine Zwinglischeibe geschenkt.
Ein weiterer Blickfang in der Kirche ist ein prächtig geschnitzter Landvogtstuhl aus dem Jahre 1640. Unmittelbar in Kanzelnähe stehend, wird er zwar heute nicht mehr benützt und dient als Abstellnische für allerlei Utensilien. – Der in der Kirche stehende Taufstein wurde bei der Renovation von 1913 aufgestellt. Was ein Fremdenführer nicht zeigen könnte, ohne Zweifel jedoch nicht zu erwähnen vergessen würde, ist eine Bleikapsel, die man anlässlich der Renovation von 1913 in der Helmkugel des Kirchturms entdeckte. In dieser Kapsel befindet sich ein altes, allerdings schlecht erhaltenes Dokument aus dem Jahre 1765. Im Renovationsjahr wurde die Kapsel ferner mit alten und neueren Münzen sowie mit von der Turmspitze aus aufgenommenen Fotografien bereichert.
Geheimnisvolle Vergangenheit
Über das Alter der Nidauer Kirche ist urkundlich nichts Genaues bekannt. Sie muss fast so alt sein, wie das Städtchen selbst. Bei der Gründung der Stadt Anno 1338 nämlich - in einer Zeit grosser politischer Spannungen übrigens - wurde mit der Erstellung der Kirche begonnen. Kirchliche Bauten dauerten im Mittelalter Jahrzehnte, und so weiss man denn nicht, in welchem Jahr das von Graf Rudolf III. von Nidau gestiftete Gotteshaus erstmals seine Tore geöffnet hat. Im Testierjahr 1368 stand die Kirche jedenfalls, wie ein altes Dokument beweist. Indes fehlen leider die Angaben über den Grundriss, die Ausmasse und das Aussehen der ursprünglichen Kirche oder Kapelle. Von Anfang an wurde die Kirche Nidau als Filiale von Bürglen (Aegerten) bestimmt. Die Mutterkirche gehörte ihrerseits seit ungefähr 1260 dem Koster von Gottstatt an. - Im Laufe der Jahrhunderte muss die Kirche wiederholt Opfer der in Nidau Wütenden Stadtbrände geworden und immer wieder am gleichen Platz neu erstellt worden sein, wobei sie die verschiedensten, baulichen Veränderungen erfuhr. Die Kirche in ihrer heutigen Konstruktion datiert aus dem Jahre 1678, wie aus einem über dem Türeingang auf der Turmseite eingefügten Quaderstein ersichtlich ist. Diese Jahrzahl markiert freilich nicht eine eigentliche Neueinrichtung, sondern lediglich eine Erweiterung, verbunden mit einer Renovation, indem grosse Teile und auch Einrichtungsbestandteile aus früheren Zeiten erhalten blieben. In der ursprünglichen Kirche gab es drei Altäre. Der Hauptaltar stand vorn im Chor und war der Heiligen Jungfrau geweiht. In der Mitte der Kirche stand der Altar des heiligen Michael. Der dritte Altar befand sich auf der rechten Seite. Er war dem heiligen Kreuz geweiht. Die beiden Nebenaltäre waren besonderen Kaplanen unterstellt, woraus zu schliessen ist, dass in Nidau mindestens drei Geistliche gleichzeitig amteten. Näheres über das ursprüngliche Gebäude erfuhr man bei den Erneuerungsarbeiten im Jahre 1913, indem damals die Grundmauern aus früheren Zeiten sichtbar wurden. Der alte Bau scheint eine Krypta - eine unterirdische Gruft zur Bestattung vornehmer Toter - enthalten zu haben. Für diese Annahme sprechen eine bei der erwähnten Renovation zutage gekommene Treppe und wohlerhaltene Skelette. - Der Friedhof befand sich übrigens früher unmittelbar hinter der Kirche an der Stelle des späteren Schulhofes.
Kirchlicher Mittelpunkt
Vor rund 600 Jahren muss es in Nidau ausser der Kirche auch eine Kapelle gegeben haben. Wosie gestanden hat, wird in den alten Urkunden nicht erwähnt - ein alter Stich dagegen zeigt ein an der Hauptstrasse, der Kirche schräg gegenüberliegendes Kapellchen. Zusammen mit dieser Kapelle, einer Kirche in Port und der Frühmesskapelle in St. Niklaus (Gebäude, von denen die Überreste fehlen)besass die Nidauer Bürgerschaft einen Mittelpunkt für das religiöse Leben, an welchem sich die Gläubigen der ganzen Region beteiligten. Nidau war - wenigstens zeitweise - Wallfahrtsort derGläubigen aus der Seegegend, die oft zu Prozessionen und Bittgängen herkamen.ln der Zeit vor der Reformation wurde in Nidau jeweils am zweiten Sonntag im September Kirchweih gefeiert. Gäste aus den umliegenden Gemeinden kamen mit Kirchenfahnen und Kreuzen, mit Baldachinen und Geharnischten zur grossen Prozession, nach welcher jeweils in der Kirche eine Messe zelebriert wurde. Es muss ein malerischer Anblick gewesen sein. Anschliessend wurde immer getanzt, getrunken und gefeiert. Die von der Nachkilbi Heimkehrenden erhielten nach dem vielen,in Nidau getrunkenen Festwein, dann meist zu Hause noch einen Trunk, was oft des Guten zuviel gewesen sein soll. Anderseits fehlten die Nidauer natürlich auch nicht an den Nachkilben der umliegenden Orte - also vor allem nicht in Biel.Der Drang der alten Nidauer zur Selbständigkeit machte sich schon frühzeitig auch auf kirchlicher Ebene bemerkbar. Bereits zu Beginn des 15. Jahrhunderts verlangten sie mehr Unabhängigkeit und erreichten von der Kirchgemeinde Bürglen tatsächlich Zugeständnisse, Ab 1482 durfte Nidau seinen Pfarrer frei wählen, womit die Stadtkirche formell weitgehend selbständig wurde. Bis 1874, als im Kanton Bern eine neue Kirchenordnung in Kraft trat, war die Kirchgemeinde Nidau dem Staat unterstellt.
Sanierter Turm
In der Geschichte der Nidauer Kirche gibt es markante Marksteine, wie die bereits erwähnte Renovation von 1913, die hauptsächlich der Stützung des schief gewordenen Kirchturms galt. Der Turm drohte damals einzustürzen - seine Mauern zeigten bedenkliche Risse. Nach Absenkung desSeewasserspiegels nach der Ersten Juragewässerkorrektion von 1878 waren Teile der als Fundament dienenden Pfähle und Pfahlroste faul geworden. An einen Abbruch des Turms und eine Neuerstellung war 1913 aus finanziellen Gründen nicht zu denken. Man musste sich mit einer Sanierung zufrieden geben, was Nidau zur gleichen touristischen Attraktion verhalf, die auchSt. Moritz und Pisa bekannt machte. Die zweite grosse Renovation mit Umbau in diesem Jahrhundert im Jahre 1953, bei welcher neben zahlreichen Restaurationsarbeiten auch technische und formale Verbesserungen ausgeführt wurden, änderte nichts am schiefen Turm.
Die Kirchgemeinde heute
Ab 1874 hat sich die Kirchgemeinde Nidau, zu der Port, Bellmund und Ipsach gehören, autonom verwaltet. Sutz wurde 1879 als Filial-Kirchgemeinde - mit Personalunion des Pfarrers - Nidau zugeteilt. Im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts wwurde die Kirchgemeinde Sutz wieder selbständig. Nur die Bestimmung betreffend der Pfarrer-Gemeinschaft blieb erhalten.Als die Kirchgemeinde Nidau vor gut hundert Jahren selbständig wurde, war sie mittellos und verschuldet. Die Finanzen besserten sich erst, als Jeannette Wildermeth einen namhaften Betrag stiftete. Mit den ständig zunehmenden Steuereingängen konsolidierte sich die wirtschaftliche Lage. Wenn vor 50 Jahren der Kirche jährlich weniger als tausend Franken in Form von Steuergeldern zuflossen, so beliefen sie sich Ende der siebziger Jahre auf eine Million.Die Kirchgemeinde vergrösserte sich parallel zur Bevölkerungszunahme in den beteiligten Gemeinden. Aus diesem Grunde wurde es nötig, Pfarrkreise zu schaffen. Die Altstadt, seit 1961 Bellmund, Ipsach und Port und die Kirchgemeinde Sutz sowie seit 1966 die Weidteile und das Portmoos, bildeten bis vor wenigen Jahren drei Pfarrkreise. 1968 erhielten die Französischsprechenden der Gemeinde Nidau ein Hilfspfarramt, und 1971 wurde für Port ein Vikariat geschaffen, das später in ein Pfarramt umgewandelt wurde. Seit 1971 beschäftigt die Kirchgemeindeauch eine Gemeindehelferin. Mit dem französischen Pfarramt und mit Sutz teilen sich heute fünf Pfarrer in die Aufgaben der Kirchgemeinde. Ein Teil des kirchlichen Lebens spielt sich im 1964 erstellten Kirchgemeindehaus in den Aalmatten ab, das als offenes Haus zur Durchführung mannigfaltiger Anlässe zur Verfügung steht. Port ist gegenwärtig dabei, ein eigenes kirchliches Zentrum zu erstellen. Die heutige Struktur der Kirchgemeinde Nidau darf als einzigartig bezeichnet werden, weil Stadt- und Landbevölkerung sowie Deutsch- und Französischsprechende zu ihr gehören. Die verschiedenen Interessen auf einen Nenner zu bringen ist nicht leicht, und es wird daher von Zeit zu Zeit eine Neuorganisation diskutiert.
Erste Orgel im Seeland
Die Reformation brachte nicht nur einen neuen Glauben, sondern auch einen Bildersturm - und damit die Vernichtung von unschätzbaren und unersetzbaren Kulturgütern. Zu diesen gehörten auch die Orgeln, die da und dort bereits in den Kirchen anzutreffen waren.Zahlreiche Reformatoren und «Obrigkeiten» betrachteten die Orgel als zum reformatorischen Bekenntnis in widerspruch stehend. Aus diesem Grunde hatte «die Königin der Instrumente»Mühe, sich nach der Reformation wieder oder neu in den Kirchen anzusiedeln.Im Seeland dauerte dieser Prozess besonders lange. Nidau gehörte zusammen mit Aarberg zu den ersten seeländischen Gemeinden, welche für ihre Kirchen eine Orgel anschafften. Das war im Jahre 1761.Das erste Werk lieferte der Toggenburger Orgelbauer Samson Scherrer (Schärer), der von Genf aus seine fruchtbare Tätigkeit entfaltete. Das Nidauer lnstrument soll 15 Register gezählt haben. Beinahe hundert Jahre war diese Orgel im Einsatz, bis sie 1858 abgelöst, beziehungsweise ersetzt wurde.In seinem Bericht über die bernischen Orgeln (Archivband 1977/78 des Historischen Vereins des Kantons Bern) schreibt Hans Gugger über die Anschaffung dieses neuen Orgelwerkes:«Nachdem schon in den Verhandlungen des Gemeinderates vom 27. Mai 1857 festgestellt wird, dass die <hiesige Kirchenorgel sich in einem solch schadhaften Zustande befinde, dass dieselbe zu jedem ferneren Gebrauch untauglich sei und eine Herstellung vorgenommen werden müsse›, und auch schon ein Voranschlag von Weber, Bern, für eine Reparatur im Betrage von 2761 Franken vorliegt, wird beschlossen, <die bedeutende Reparatur› im Bund, in der Neuen Zürcher Zeitung und dem Handelsjournal auszuschreiben.Laut dem Protokoll vom 16. Juni 1857 sind auf die Ausschreibung vier Eingaben eingetroffen»Schliesslich erhielt die Firma Kyburz in Solothurn den Auftrag, für 7000 Franken eine neue Orgel einzubauen. Das Werk wurde am 5. Dezember 1858 eingeweiht.1907 baute Zimmermann aus Basel die dritte Orgel für Nidau (14 Register) und 1954 wurde schliesslich von Kuhn, Männedorf, die noch heute verwendete Orgel montiert. Es handelt sich um ein21-Register-Instrument.