Rüti Kirche
Historisches
Die Kirche von Rüti ist eine der älteren des Bürenamtes. 1251 wird erstmals - soweit bekannt - in einer alten Urkunde ein Priester der Kirche Rüti erwähnt, doch dürfte sie schon damals ein ehrwürdiges Alter gehabt haben. Sie gehörte zum Bistum von Konstanz und wurde von den Grafen von Buchegg gestiftet. Später übernahmen die Freiherren von Münsingen das Erbgut. Am 14. Januar 1368 trat Freiherr Burkhardt Senn von Buchegg die Herrschaft Buchegg mit allen Kirchensätzen, darunter auch Rüti, mit allem Twing und Bann dem Bischof Johann von Basel ab und nahm sie von diesem wieder zu Lehen. Zu Beginn des 15. Jahrhunderts gelangte der Kirchsatz in den Besitz des Teutsch-Ordens-Hauses zu Bern. Mitten in die älteren Fresken der Kirche ist dessen Wappen eingesetzt. Bei der Aufhebung des Ordens im Jahre 1484 ging der Kirchsatz von Rüti an das neue St.-Vinzenzen-Stift zu Bern.
Mit der Zeit der Berner Reformation gelangten die Kirchenrechte an den Staat Bern, in dessen Besitz sie bis heute sind. Pfarrer Niklaus Sybold, Bürger von Bern, unterschrieb im Jahre 1528 die zehn Schlussreden der Berner Disputation. Im gleichen Jahr vermählte er sich mit Dorothea Güntisberger, die also die erste Pfarrfrau in Rüti wurde und mehrere Kinder gebar. Er war ein Verwandter des damaligen Landvogts Kilian Sybold von Büren an der Aare und hat der Kirche von Rüti während nahezu vierzig Jahren gedient. Mit ihm wirkten seit der Reformation fünfundzwanzig Geistliche in dieser Gemeinde.
Die Kirche war der heiligen Katharina sowie Mauritius, dem Führer der Thebäischen Legion, geweiht.
zur Baugeschichte
Der deutlich romanische Baustil der Kirche weist auf das 12. oder gar 11. Jahrhundert zurück. Diese Annahme wurde auch durch die Restaurationsarbeiten von 1968-1970 bestätigt. Der altehrwürdige Käsbissenturm mit seinem im 13. Oder 14. Jahrhundert entstandenen feingliedrigen, gotischen Masswerk, ist ein Schmuckstück von Rüti. Im Laufe der Jahrhunderte hat die Kirche einige bauliche Veränderungen erfahren; die letzte grössere um 1810. Damals erhielt sie die neue Belichtung durch die heutigen Fenster. Die ursprüngliche Belichtung war sehr schwach. Vereinzelte nur kleine rundbogige Öffnungen (ein zugemauertes ursprüngliches Fensterchen ist noch vorhanden) sorgten für kärgliches Licht.
Die grosse Restauration
Während nahezu zweier Jahre, 1968-1970 wurde die Kirche grosszügig restauriert. Der verantwortliche Architekt war Ulrich lndermühle, Bern. Anstoss zur Restauration gab ein schlimmer Schwammschaden, der 1967 festgestellt worden war. Markante Details dieser Restauration sind der auf einem alten Fundament aufgebaute Triumphbogen, der die Trennung von Chor und Schiff akzentuiert und besser zur Geltung bringt. Ein anderes wichtiges Detail ist die neue gotische Decke.
Das Äussere der Kirche erhielt einen ursprünglichen Kalkverputz. Die Tuffsteineinfassungen der Fenster wurden bei dieser Gelegenheit freigelegt und wirken mit den freigelegten Masswerken - ebenfalls in Tuffstein - harmonisch und vorzüglich. Die Beleuchtung der Kirche - jeweils über die Wochenenden eingeschaltet - bringt diese sehr deutlich zur Geltung.
Turmuhr und Glockenspiel
Eines besondern Hinweises wert ist die Sonnenuhr auf der Südseite, die seit 1697 den Rütigern die Zeit - Sonnenstunden nur - anzeigt. Eine neue Turmuhr schlägt - auch andere als Sonnenstunden - seit 1945. In jenem Jahr erhielt der Turm auch neue Glocken (die alten versahen seit 1811 und 1861 ihren Dienst). Wohl das erste Geläute, das in der Nachkriegszeit in der Schweiz, wenn nicht in ganz Europa, von Kindern aufgezogen wurde. Die drei kleinern Glocken wurden noch während des Krieges gegossen (Umguss von alten Glocken) - die grosse vierte Glocke gehört zu einem Guss (13. 9. 1945), der wohl auf dem ganzen Erdenrund der erste Glockenguss seit den Tagen der Waffenruhe war.
Noch ein Wort zur Turmuhr, die bis 1945 im alten Kirchturm von Rüti ihren Dienst versah. Sie hatte eine bewegte Geschichte hinter sich und war wohl eine der berühmtesten schweizerischen Turm- und Schlaguhren. Diese wurde im Jahre 1454 von einem genialen Uhrmacher für den Zeitglockenturm in der Stadt Solothurn erstellt, wo sie bis 1544 den Solothurnern die Stunden schlug.
Von 1544 - 1643 war ihr Standort der «Krumme Turm» in der Solothurner Vorstadt. Der nächste Standort war das innere Berner Tor der Ambassadorenstadt. Nach dessen Abbruch - die Uhr war mittlerweilen bereits altersschwach geworden - wurde sie im Kirchturm von Rüti montiert, wo sie mit prächtigem Zifferblatt und Zeigerwerk bis 1945 den Rütigern die Stunde anzeigte. Seither ist sie im Ruhestand und wird im Heimatmuseum in Büren an der Aare aufbewahrt.
Die Orgel
Rund zweihundert Jahre nach der Einführung der Orgel im Bernbiet erhielt auch Rüti die «Königin der Instrumente››. Man zählte das Jahr 1957! Es handelt sich um ein 15-Register-Werk einer Genfer Firma. Im Jahre 1900 schrieb der damalige Pfarrer F. Schneeberger der Regierung: «Die hiesige Kirchgemeinde hat vor 18 Jahren ein amerikanisches Harmonium angeschafft, das für den Sonntagsgottesdienst genügt und einstweilen noch nicht durch ein Orgelwerk ersetzt werden wird, da die freiwilligen sonntäglichen Kirchensteuern seit Jahren für eine dringend notwendige Kirchenrenovation gesammelt und capitalisiert werden.››
Einzigartiger Wandschmuck
Der Innenraum der Kirche überrascht den Eintretenden mit einem in seiner Art einzigartigen Wandschmuck, der weit und breit nicht seinesgleichen hat. Er besteht aus einer Fülle von mittelalterlichen Wandmalereien - Fresken, wie der Fachausdruck hierfür lautet. Dieser Innenraum ist im Grunde genommen nichts anderes als ein weit aufgeschlagenes Bibel-Bilderbuch.
Die doppelreihigen Fresken im Schiff und Chor zeigen Darstellungen aus dem Alten und Neuen Testament sowie aus der Heiligengeschichte. Die Bilder dienten nicht in erster Linie künstlerischen Zielen, sondern wollten das des Lesens unkundige Kirchenvolk auf recht anschauliche Art mit der Bibel und den christlichen Legenden vertraut machen. Daher ja auch der Name «biblia pauperum - Armenbibel››. Darunter fand man bei den Restaurationsarbeiten noch ältere Malereien Ornamentaler Art (romanischer Kunststil; der sichtbare ist gotischer Art). Diese Wandmalereien dürften im ersten Drittel des 15. Jahrhunderts entstanden sein. Deutlich lassen sich zwei Perioden unterscheiden. Die Fresken wurden wohl von wandernden Malergilden aufgetragen. In erster Linie verdanken wir diese Bilderfolgen jenen unbekannten Künstlern, die damals in Rüti gewirkt haben. Dann sind aber auch die damaligen Auftraggeber zu nennen, die damit erreichen wollten, dass auch die Rütiger zur Erkenntnis der Wahrheit kämen. Weiter die Landleute, die ihre im Schweisse ihres Angesichts erarbeiteten Batzen den Spenden beitrugen. Dann der Reformator von Rüti, Niklaus Sybold. Mit seinen strengen reformatorischen Prinzipien hat er – Ironie der Geschichte - die Bilderwände für unsere Zeitalter konserviert. Entdeckt wurden die Fresken bei Renovationsarbeiten im Jahre 1911. In monatelanger Kleinarbeit und mit viel Geduld, Liebe und Hingabe wurden sie freigelegt. Seit der Reformation im Jahre 1528 schliefen diese Bilder unter Verputz einen Dornröschenschlaf. Bei den Restaurationsarbeiten 1968-1970 hat sie Hans A. Fischer, Bern, nach Entfeuchtung der Wände in souveräner und feinfühliger Weise gereinigt und restauriert. Zusammenfassend sei über die Bilderfolgen folgendes festgehalten:
Bibel in Bildern
Die Südwand zeigt im Obern Teil Bilder der ersten Seiten der Bibel: Die Schöpfung, die Erschaffung des Menschen, der Sündenfall und Kain und Abel, Die untere Reihe zeigt eine geschlossene Darstellung der Passionsgeschichte: Die Fusswaschung, Jesus in Gethsemane, die Gefangennahme Jesu, Jesus vor dem Hohen Rat, Jesus vor Pilatus, die Geisselung Jesu und die Dornenkrönung Jesu.
Auf der Nordwand kommen unten die grossen Heilstatsachen - Karfreitag, Ostern, Himmelfahrt und Pfingsten –in einer sehr feinen und zurückhaltenden Weise zur Darstellung: Die Grablegung Jesu, die Bewachung des Grabes, das leere Grab, Maria aus Magdala, die Himmelfahrt Jesu, Pfingsten (Ausgiessung des Heiligen Geistes) und Maria Himmelfahrt. Die obere Reihe zeigt Legendenstoff, unter anderem eine Darstellung der heiligen Verena mit Wasserkrug und Läusekamm.
St.Verena
Die heilige Verena war aus Ober-Ägypten gebürtig und wurde durch Bischof Chairemon getauft. Von Unter-Ägypten aus folgte die fromme Jungfrau dem heiligen Mauritius nach Italien nach und verweilte etliche Jahre beim heiligen Maximus zu Mailand, während die Thebäische Legion gemäss ihrem Marschbefehl weitergezogen war. Da erreichte sie in Mailand die Nachricht von der grausamen Abschlachtung ihrer Landsleute zu St. Maurice, wobei auch ihr Geliebter Viktor die Marterkrone errungen habe. Um den genauen Sachverhalt zu erkunden, überschreitet Verena sofort die Alpen und gelangt über St-Maurice nach Solothurn, wo sie die traurige Nachricht bestätigt findet.
Infolgedessen entschliesst sie sich vorerst, als Eremitin in der St.-Verena- Einsiedelei zu leben und den zahlreichen Heiden der Umgebung das Evangelium bekannt zu machen. Tatsächlich gelang ihr die Bekehrung zahlreicher Leute, worüber schliesslich der römische Landpfleger ergrimmte und sie ins Gefängnis werfen liess. Dort erschien ihr St. Mauritius und tröstete sie, während der römische Befehlshaber erkrankte, so dass er Verena wieder frei liess. Zum Dank heilte sie ihn durch ihr Gebet. Hierauf sammelte sie eine Anzahl frommer Jungfrauen um sich und stand bis zu ihrem gottseligen Tod an ihrer Spitze.
Im Martyrologium des heiligen Notker Balbulus wird hinzugefügt, dass St. Verena in Zurzach begraben sei. Über das Datum ihres Todes ist nichts bekannt. Ihr Fest fiel Seit jeher auf den 1. September, unter welchem ihr Name auch ins Martyrologium Romanum Aufnahme fand. St. Verena wird dargestellt mit Henkelkrug und zweireihigem Läusekamm. Krug und Kamm sind Zeichen der Liebestätigkeit Verenas. (Nach einer Handschrift aus dem 9. oder 10. Jahrhundert der St. Galler Stiftsbibliothek.)
Christus
Die alles überragende Darstel lung aber ist die Christusgestalt, die das ganze Chorgewölbe ausfüllt. Wir sehen Christus in seiner ganzen Grösse thronend auf zwei Regenbogen, in der linken Hand die Weltkugel haltend und die Rechte zum Segen erhoben. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, eine Weltbeherrschergestalt über sich zu haben. Um die thronende Christusgestalt gruppieren sich die vier Evangelisten, dargestellt durch ihre Symbole: Geflügelter Löwe (Markus), geflügelter Stier (Lukas), Engel (Matthäus) und Adler (Johannes). Alle vier Gestalten blicken auf die erhöhte Christusgestalt in der Mitte. Und es ist, als wollten sie uns auffordern, aus unserer Beschaulichkeit herauszutreten und die Lebensgeschichte Jesu Christi, so wie die vier Evangelisten sie uns als heiliges Vermächtnis hinterlassen haben, segenvoll auf uns einwirken zu lassen und in seine Nachfolge zu treten.
Märtyrerlegion
Was für eine Kraft- und Segensquelle auch dem Menschen der Gegenwart in seiner Nachfolge erschlossen wird, wird durch die Bilderfolge an der Ostwand im Chor deutlich gemacht. Es ist die Darstellung des Leidens- und Siegesweges der Thebäischen Legion. Es war dies - so weiss die Legende zu berichten - eine römische Legion, welche in Theben in Ägypten gesamthaft zum Christenglauben übertrat. Über Jerusalem, Rom, Mailand und den Grossen St. Bernhard gelangte die Legion ins Wallis und sollte um das Jahr 300 in Gallien zu Christenverfolgungen eingesetzt werden. Da verweigerten ihre Führer den Gehorsam. Durch willkürliche Hinrichtungen (das Los traf zweimal jeden zehnten Legionär) sowie durch grausame Folterungen sollte ihr Starrsinn gebrochen werden. Mauritius, der Führer der Legion (dem übrigens auch die Kirche von Rüti geweiht war), Urs und Viktor, die späteren Schutzpatrone von Solothurn und mit ihnen all die andern starben den Märtyrertod. Sie verloren um ihrer Treue zu Christus Willen das irdische Leben und gewannen daür das ewige.
Und was gab ihnen die Kraft zum Ausharren in ihrer Glaubenstreue? «Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt.» So hat es die alles überragende Christusgestalt verheissen. In ihm gewannen die Thebäer und seither bis heute Ungezählte ihren Glaubensmut und ihre Glaubensstärke. «Von guten Mächten wunderbar geborgen, Erwarten wir getrost was kommen mag. Gott ist mit uns am Abend und am Morgen Und ganz gewiss an jedem neuen Tag.»
Moderne Kirchefenster
Neben den jahrhundertealten Fresken findet der Besucher der Kirche auch modernste Glasmalereien: Eine Konfrontation, eine Herausforderung für den Kirchengänger und Kunstkenner? lm ersten Augenblick mag dies zutreffen, ist doch das Nebeneinander von Mittelalter und Neuzeit, beziehungsweise Jetztzeit, etwas ungewohnt. Beim näheren Betrachten der modernen Fenster - und beim Vergleichen der Fenster mit den ehrwürdig alten Fresken entdeckt man aber bald Gemeinsamkeiten und ein gegenseitiges Sich-Ergänzen. Nach langen Vorarbeiten wurden am letzten Novembersonntag des Jahres 1975 die Kirchgemeindeglieder von Rüti erstmals über die künstlerische Ausschmückung der beiden grossen Kirchenfenster orientiert. Wenig später, anlässlich der Kirchgemeindeversammlung vom 14. Dezember 1975 entschied sich die Mehrheit der Versammelten für die Ausführung der heutigen Glasgemälde. 21 Gemeindeglieder stimmten dafür, 12 dagegen und ein Mitglied legte seine Stimme leer ein. Der Kostenvoranschlag lautete auf 36 000 Franken. Drei Jahre später, an Pfingsten 1978 konnten der Künstler Max Brunner aus Unterramsern und der Glasmaler Eugen Halter aus Bern ihre Werke der Gemeinde übergeben. Anlässlich der feierlichen Übergabe erklärte Max Brunner den Versammelten unter anderem:
Brückenschlag über 500 Jahre
Es gilt, in den zwei neuen Fenstern unsere heutige Weltsicht derjenigen des Mittelalters gegenüberzustellen; eine Brücke über die Zeitspanne der letzten fünfhundert Jahre, einen Bogen über sechzehn Generationen hin zu schlagen. Die neuen Symbolfenster unterscheiden sich äusserlich total von der Bildfolge der Fresken. Dies mit Recht, weil unser Denken sich im Laufe der Zeit auch verändert hat. Jedes Chorfenster zählt vier Medaillons. Diese Rundform ist sehr alt und hat besonders in der Gotik eine dominierende Stellung in der Glasmalerei (aus welcher Zeit auch die Fresken stammen). Das Kirchenfenster auf der Ostseite - von unten nach oben gelesen -, zeigt folgende Symbolmedaillons:
1. Medaillon: Ein Kohlenstoff-Atommodell mit der Ordnungszahl sechs. Sechs Protonen und sechs Neutronen sind im Kern vereint und sechs Elektronen kreisen darum herum. Das Modell versinnbildlicht die Schöpfung.
2. Medaillon: Das Auge, das Sinnesorgan, das dem Geist am meisten Informationen vermittelt. Das Sehen bereitet die Grundlage für das Denken,
3. Medaillon: Die fünf Kontinente, dargestellt mit fünf verschiedenfarbigen Kreisen. In jedem derselben ist das Fischzeichen eingeschlossen, also das Zeichen für Christus.
4. Medaillon: Die Einheit Gottes: Drei Kreise, drei Zweiecke und das Dreieck stehen mit der Zahl Drei für die Dreieinigkeit Gottes (Vater, Sohn, Heiliger Geist). Ein graues Band verbindet alle vier Medaillons miteinander.
Das Kirchenfenster auf der Südseite ebenfalls von unten nach oben zu lesen, zeigt die vier klassischen Elemente: Feuer, Erde, Wasser und Luft. Auch hier findet sich das graue Band.»