Lengnau Kirche
997: Kloster Einsiedeln
Die erste uns bekannte urkundliche Erwähnung von Lengnau geht auf das Jahr 997 zurück und ist in einem Güterverzeichnis (Liberi Heremi) des Klosters Einsiedeln zu finden. Demnach besass das Kloster nEinsiedeln in Lengnau eine «Hube» (grösserer Hof), stammend aus der Schenkung eines Mannes Lampertus.
Von der Kirche erfahren wir erst 1228 etwas Näheres aus dem Chartular des Bistums Lausanne, wo es heisst: «Die Kirche Longieuva lag im Dekanat Solothurn besagten Bistums.» Die Bezeichnung «Sancti Germani de longa acqua (oder aua)›› weist darauf hin, dass die Kirche dem heiligen Germanus geweiht war.
1318: Romanische Kapelle
Nach den anlässlich der umfangreichen Umbau- und Renovationsarbeiten in den Jahren 1959/60 gemachten Feststellungen ist mit Sicherheit anzunehmen, dass vor 1318 anstelle der Kirche eine romanische Kapelle gestanden hat, welche im Kriegszug des Herzog Leopold I. von Österreich 1318 gegen Solothurn durch die dem Herzog zu Diensten verpflichteten Freiburger zerstört wurde. Überreste der Grundmauern, Branderde und Brandspuren, welche im Innern der Kirche freigelegt wurden, und die Tatsache, dass die letzte Gräfin von Strassberg und die Kirchherren der Grafschaft 1323 einen Verzicht auf Schadenersatz gegenüber den Freiburgern unterschrieben, bekräftigen diese Annahme. Für Lengnau tat es «Chünradus››, rector ecclesiae in Lengowa.
In der Folge, zu welcher Zeit ist ungewiss, wurde dann eine Kirche mit Turm erbaut, deren Schiff ungefähr um ein Drittel kürzer war als die heutige Kirche. Zu dieser Erkenntnis kam man ebenfalls anlässlich des Umbaus 1959/1960, als bei Aushubarbeiten, ungefähr auf der Höhe des nun zugemauerten südlichen Eingangs, quer durch das Schiff eine Fundamentmauer zum Vorschein kam, welche sich in der Mauertechnik, im Material und Zustand wesentlich von den übrigen älteren Fundamenten unterschied.
1600 finden wir eine Aufzeichnung, nach welcher ein Bendicht Renfer eine Beisteuer an eine Kirchenglocke leisten wollte. Weil er sich aber damit einige Vorteile in Bezug auf Landnutzung verschaffen wollte, wurde auf Anordnung der Regierung das Angebot ausgeschlagen.
1632: Um- und Ausbau
Inzwischen war die nun etwa 300jährige Kirche offenbar sehr baufällig geworden, denn in den
Jahren 1630-1640 wurde mit Aufwand grosser Geldmittel eine gründliche Erneuerung und gleichzeitig eine Vergrösserung der Kirche durchgeführt. Dieses Unternehmen brachte der Kirchgemeinde eine schwere Schuldenlast. 1633 gelangte man mit einem Gesuch an die Regierung, um einen Beitrag an die Renovation des Turmes, und zwar mit Erfolg, denn die Regierung leistete einen Beitrag von 1400 Pfund barem Geld. Auch einem weiteren Gesuch um einen Beitrag an die Vergrösserung der Kirche wurde 1645 entsprochen. Es handelte sich mit Sicherheit um die oben
erwähnte Verlängerung des Kirchenschiffes um etwa einen Drittel. Damals erhielt also unsere Kirche die Form und Grösse, wie wir sie vor 1960 kannten. An zwei Stellen finden wir die Jahreszahl 1632 eingehauen, einmal aussen an der freien Turmecke auf einem eingesetzten Stein, das andere Mal im Chor auf dem Türsturz gegen den Turin. Beide weisen auf die damaligen Renovations- und Umbauarbeiten hin, ebenso ein Wappenstein an der Südfassade mit den Insignien des Standes Bern und der Jahreszahl 1661.
Im Jahre 1676 erhielt Lengnau einen Staatsbeitrag an die Kirchenglocken.
Wappenscheiben im Museum
Im Historischen Museum in Bern konnten auch zwei Wappenscheiben aufgefunden werden, welche laut Protokoll des Kirchgemeinderates im Jahre 1900 um den Preis von 3000 Franken an das Museum verkauft wurden. Dieser Verkauf wurde nicht aus vorwiegend finanziellen Gründen getätigt, denn den Anstoss dazu gab ein Zirkular des Synodalrates vom 16. Februar 1900. In diesem Rundschreiben werden die Kirchgemeinden auf die Gefahr aufmerksam gemacht, dass zum Teil wertvolle Altertümer aus Unkenntnis des Wertes zu Schundpreisen an fahrende Händler veräussert werden und so verlorengehen. Um dem vorzubeugen, wünsche die Museumskommission solche Altertümer gegen angemessene Entschädigung zu erwerben. Der Rat beschliesse auf Antrag von Pfarrer Dick, dem Museum die beiden Wappenscheiben zum Kaufe anzubieten, offenbar schon mit dem Gedanken, mit dem Erlös die meist leere Kasse etwas zu sanieren. Herr Pfarrer Dick erhält vom Rat den Auftrag, mit der Museumskommission zu verhandeln. Schon am 30. März 1900 liegt ein Angebot aus Bern vor: 3000 Franken für die beiden Scheiben, allerdings mit der Auflage, dass ein Teil des Betrages für dringend notwendige Reparaturen in der Kirche und für die Anbringung eines grösseren Bogenfensters im Chor zu verwenden sei.
Am 10. Juni 1900 beschliesst die Kirchgemeinde auf Antrag von Rudolf Renfer den Verkauf der beiden Wappenscheiben, nachdem bereits eine Offerte eines Baumeisters für die Vornahme der notwendigen Reparaturen und für den Ausbruch eines Chorfensters um den Betrag von 600 Franken vorgelegt werden konnten. Am gleichen Tag, an dem der Kaufvertrag mit dem Historischen Museum durch Joh. Rüfli und Friedrich Rüfli unterzeichnet wurde, musste wegen schlechtem Zustand des Glockenstuhles das Läuten mit den Kirchenglocken eingestellt werden, jedoch ist nirgends ersichtlich, für wie lange!
Am 23. Juli 1900 wurden die Wappenscheiben abgeholt, unter gleichzeitiger Entrichtung der ersten Rate der Kaufsumme, nämlich 1500 Franken. Zu dieser Zeit lag auch schon eine Offerte für die Anfertigung und den Einbau eines Glasgemäldes vor. Der Glasmaler A. Kreutzer und der Gipser Rud. Tschan, beide aus Solothurn, verlangten für diese Arbeit 1215 Franken. Es handelte sich dabei um das der älteren Generation noch wohlbekannte Christusbild «Klopfet an!›>, Welches anlässlich des letzten Umbaues durch ein Glasmosaik ersetzt wurde.
Kauf des Kirchenchors
Ein Antrag auf Abtretung des Chors, gestellt von der Kirchendirektion an die Kirchgemeinde, erfolgte am 22. März 1901, vermutlich im Hinblick auf ausgeführte und noch auszuführende bauliche Arbeiten, denn das Angebot lautete auf 300 Franken für bereits ausgeführte Reparaturen, 200 Franken für noch bevorstehende Reparaturen und 800 Franken für den künftigen Unterhalt des Chors, also total 1300 Franken. Diesem Antrag wurde am 14. April 1901 durch die Kirchgemeindeversamrnlung zugestimmt, so dass am 28. Juli 1901 die Verträge unterzeichnet werden konnten. Gleichentags erfolgte die Auszahlung der zweiten Rate für die Wappenscheiben, also nochmals 1500 Franken. Warum aber diese Abtretung des Chors an die Kirchgemeinde? Nun, bis zur Reformation war der Chor der Ort, wo sich die Chorherren versammelten. Nach der Reformation wurden von der Regierung durch eine Verordnung vom 8. März 1529 in allen Kirchgemeinden die sogenannten Chor- oder Ehegerichte eingesetzt und diesen als Besammlung der Chor der Ortskirche zugewiesen. Gleichzeitig übernahm der Staat aber auch die Unterhaltspflicht für diesen Teil der Kirche. Genau gesehen ging es also um die Abwälzung der Unterhaltspflicht für diesen Gebäudeteil vom Staat auf die Kirchgemeinde, nachdem die Chorgerichte ja schon 1831 aufgehoben und 1852 durch die Kirchenvorstände (Kirchgemeinderat) ersetzt worden waren. Nach einem Beschluss der Kirchgemeindeversammlung wurden 1925 eine elektrische Heizung und eine neue Beleuchtung in der Kirche installiert, verbunden mit einer einfachen Innenrenovation.
1945: Erste Orgel ?
1931, also zur Zeit der schweren wirtschaftlichen Krise, von der Lengnau so hart betroffen wurde, schritt man zur dringend notwendigen Aussenrenovation von Kirche und Turm. Letzterer wurde gleichzeitig um 1,5 Meter erhöht, damit auf Wunsch vieler Gemeindebürger auf allen vier Seiten des Turmes ein Zifferblatt der Turmuhr angebracht werden konnte. Eine wertvolle Bereicherung erhielt unsere Kirche im Jahre 1945 durch die Anschaffung einer Orgel, die bisher unserem Gotteshaus fehlte. Es handelt sich um ein Goll-Instrument mit 16 Registern. (1887 wurde ein Harmonium zum Preise von 2700 Franken angeschafft !) Die Finanzierung der Orgel erfolgte in verdankenswerter Weise zum grossen Teil durch Spenden.
1950: Neues Geläute
in weiterer Markstein in der Geschichte unserer Dorfkirche bedeutet das Jahr 1950, denn damals wurde ein vollständig neues Geläute mit elektrischem Antrieb angeschafft, was die Erstellung eines Betonzwischenbodens und eines neuen Glockenstuhls in Eisenkonstruktion notwendig machte. Gleichzeitig wurden auch die Turmuhr und die Turmtreppe ersetzt. Die Gesamtkosten betrugen 96 000 Franken. Der Glockenguss erfolgte am 4. Juli 1950 in der Glockengiesserei Rüetschi in Aarau, der Glockenaufzug am 26. August und das Probeläuten am 16. September 1950. Dieses neue Geläute weist die Tonfolge c-es-f-g-b auf und hat ein Gesamtgewicht an Bronze von 6028 kg. Die Glocken tragen in derselben Reihenfolge die Namen Christus, Matthäus, Markus, Lukas und Johannes. Nicht zu vergessen ist das Gemeindeglöcklein mit der Jahreszahl 1666, das zwar nie zum eigentlichen Geläute gehörte. Dieses Glöcklein, das ganz zuoberst im Turm hängt, also über dem Geläute, wird noch von Hand geläutet als «Zeichen» vor Beginn der Gemeinde- oder Burgergemeindeversammlungen, früher auch noch vor Beginn der Holzsteigerungen der Burgergemeinde. Die Glocke trägt unter anderem die Inschrift: «Diese Glocke ist gegossen worden aus Verehrung unserer gnädigen Herren und Oberen.» Das Geläute wird nach einer bestimmten Läutordnung bedient, zum Teil automatisch über die Turmuhr, so das Läuten um 11 Uhr und 20 Uhr mit der es-Glocke und das Vesperläuten, von März bis Oktober jeweils um 16 Uhr, von November bis Februar um 15 Uhr, immer mit der g- Glocke. Bei Grossalarm für die Feuerwehr oder im Fall von Krieg oder Katastrophen kommt das Sturmgeläute zum Einsatz. In diesen Fällen werden alle Glocken in ungewohnter Reihenfolge geläutet. Handgesteuert wird ebenfalls das Geläute für den Gottesdienst: Zeichen (c-Glocke), Einläuten (alle Glocken), Ausläuten (f-g-b-Glocken). Bei Trauungen: Vorzeichen (es-Glocke), Einläuten (g-b-f-es-Glocken). Bei Bestattungen: Vorzeichen (b-Glocke), zur Bestattung (c-es-g-Glocken).
1959 / 60: Restauration
Zum Abschluss nun noch einiges über die letzten baulichen Veränderungen an unserer Kirche. Im Jahre 1955 beauftragte die Kirchgemeinde den Architekten Peter Indermühle in Bern mit der Schaffung eines Projektes für eine eigentliche Restauration der Kirche, verbunden mit einer Erweiterung durch einen Mehrzweckraum mit den notwendigen Nebenräumen. Nach reiflichem Studium konnte der Kirchgemeindeversammlung am 15. Februar 1959 ein Projekt vorgelegt werden, das auch angenommen wurde, Das Projekt umfasste die Erstellung eines unterkellerten Anbaues bergseits, enthaltend WC-Anlage und Luftschutzräume, Raum für die versenkbaren Zwischenwände und den Treppenaufgang im Kellergeschoss, Vorraum mit Garderobe und Aufgang zur Empore, Kirchensaal und eine kleine Küche im Parterre; Ersetzen der baufälligen bergseitigen Kirchenmauer, versehen mit drei Öffnungen zum Kirchenschiff, verschliessbar mit versenkbaren Wänden; ferner das Ersetzen des Bodens in der Kirche und des ganzen Dachstuhles.
Anstelle des Renaissance-Chorbogens kam ein gotischer Spitzbogen zur Ausführung. Auch die Empore, die Bestuhlung, die Kanzel, die Decke in Schiff und Chor, die Beleuchtung, die Heizung, die Chorfenster und alle Türen wurden erneuert, so dass von der umzubauenden Kirche eigentlich nur die Umfassungsmauern der West-, Süd- und Ostseite und der Turm übernommen wurden. Der Turm erhielt zwei seiner gotisch profilierten Gurtengesimse wieder zurück, welche auf alten Zeichnungen oder Aufnahmen sichtbar sind; zudem wurde das Masswerk der Schallfenster und Kirchenfenster durch den Lengnauer Steinhauer Armin Rüfli ersetzt oder ausgebessert, ebenso die äussere Sockelverkleidung. Für beides wurden Lengnauer Steine verwendet, dagegen kamen für den Kirchenboden und den Chorbogen Solothurner Steine zur Verwendung. Mit den Bauarbeiten wurde nach Ostern 1959 begonnen, und am Palmsonntag 1960 konnte die neugestaltete Kirche eingeweiht werden.
Die Kosten für diese umfangreichen und sicher als gelungen zu bezeichnenden Umbau- und Erneuerungsarbeiten, für welche ein Kredit von 365 300 Franken bewilligt worden war, beliefen sich auf Fr. 364 999.05 und blieben damit knapp im Rahmen des Kredites. Allerdings sind in diesem Betrag die Spenden von 21732 Franken nicht inbegriffen, so dass sich eigentlich eine Totalbausumme von Fr. 386 772.95 ergibt. An diesen Betrag leistete die Burgergemeinde einen Barbeitrag von 12 000 Franken anstelle des nach Ausscheidungsvertrag zu liefernden Holzes.
Bei den oben genannten Spenden handelt es sich um die Kanzel und um die beiden Chorfenster in Glasmosaik, letztere geschaffen von Kunstmaler P. Schmidt, Beatenberg, nach den Themen «Golgatha›› (rechts) und «Auferstehung» (mit Wandspruch aus der alten Kirche). An Ausstattungsgegenständen wurden aus der alten Kirche weiter verwendet der Abendmahlstisch, die beiden Opferkässeli (nun im Vorraum des Anbaus) und natürlich die Orgel, welche vor dem Umbau total zerlegt und sorgfältig verpackt eingelagert wurde. Mit dem Wiederaufbau der Orgel nach Beendigung der Bauarbeiten erfuhr der Orgelprospekt eine Erweiterung, die es erlaubte, weitere Register einzubauen.
Der Friedhof
Dieser Abschnitt wäre unvollständig, wenn man nicht auch die unmittelbare Umgebung der Kirche einbeziehen würde, nämlich den Kirchhof oder Totenhof oder heute gebräuchlicher Friedhof. Bis Ende 1888 wurden die Toten auf dem Kirchhof, also bei der Kirche, bestattet. Einige wenige Grabsteine oder Grabplatten auf der Ostseite der Kirche (Chorseite) sind noch Zeugen aus jener Zeit. Mit dem Anwachsen der Dorfbevölkerung mehrten sich auch die Toten und es ergab sich eine Platznot bei der Kirche. An eine Erweiterung an Ort konnte nicht gedacht werden, nachdem rings um die Kirche nach und nach Häuser erstellt worden waren. Also musste man sich nach einer anderen Lösung umsehen, welche nur in einer Verlegung des Friedhofes an einen Ort ausserhalb des Dorfes zu finden war. Der Gemeinderat fasste vier Stellen in einen Vorschlag zusammen und legte diesen einem Expertengremium zur Prüfung vor. Die vorgeschlagenen Landstücke befanden sich im oberen Grenchenfeld (heute Baugeschäft Valli, Garage Saurer), Richtung Pieterlen je ein Stück ob der Hauptstrasse und unterhalb, also südlich derselben, und schliesslich das vierte Stück auf dem Munterhubel, für welches sich die Experten entschieden. So kam der Friedhof dorthin, wo er heute noch ist. Seit 1954 wurden für Sanierung, Neugestaltung und Erweiterung dieses Friedhofes rund 500 000 Franken aufgewendet. Als Krönung der prächtigen Friedhofanlage bewilligte die Gemeindeversammlung vom 27. März 1969 einen Kredit von rund 1,3 Mio. Franken für die Erstellung einer Abdankungshalle mit Aufbahrungsräumen. Mitte 1971 konnte das moderne Bauwerk seiner Bestimmung übergeben werden.