Radelfingen Kirche
Etwas Geschichte
Nur langsam stiessen in der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts die Alemannen von den Landschaften an der mittleren Aare die Hänge des Frienisberges hinauf. Auf einer Plattform am Westabhang des Frienisberges über den Auen der Aare liess sich ein Radolf oder Ratolf mit seiner ,Sippe nieder, die dem Dorfe den Namen gaben. Es ist durchaus möglich, dass sich auf dem Platze der heutigen Kirche bereits römische Bauten befanden; aber Genaues weiss man nicht, auch nicht über die erste Kirche hoch über dem Bord des Tschachenbaches, die nach der Überlieferung von Königin Berta von Burgund (964-1024) gestiftet wurde. 1131 wird erstmals in der Stiftungsurkunde des Klosters Frienisberg der Leutpriester von Radelfingen erwähnt. Die Kirche war seit unbekannter Zeit in den Händen der Herren von Bubenberg und gehörte geographisch zum Dekanat Wangen beziehungsweise Büren in der Diözese Konstanz. Am 14. August 1421 gelangte der Kirchensatz testamentarisch an das Deutschordenshaus Köniz und der Marienaltar an das Frauenkloster des Zisterzienserordens in «Tedlingen». Die Schenkung des Kirchensatzes an das Deutschordenshaus war schon zu Lebzeiten Hartmanns von Bubenberg erfolgt, wurde aber erst 1421 nach seinem Tode in rechtsgültiger Form vollzogen. Herr Hartmann, ein Geistlicher von hohem Rang, war schon 1367 Domherr zu Konstanz und wurde später Propst zu Solothurn und zu Zofingen. Man kann mit grosser Wahrscheinlichkeit annehmen, dass die künstlerische Ausschmückung von Chor und Schiff durch diesen bedeutenden Vertreter des Hauses Bubenberg veranlasst worden ist. Vom Deutschordenshaus kam der Kirchensatz 1484 an das Vincenzenstift und von da im Zuge der Reformation 1528 an den Staat.
Der Turm
Der Turm mit dem würdigen, romanischen Dach steht vermutlich auf den Fundamenten eines keltischen Wachtturms; ob er noch in spätromanische Zeit zurückreicht, ist fraglich. Die originellen Säulenspolien als Mittelstützen in den Schallöchern stammen aber jedenfalls noch aus römischer Zeit. Der ganze Turm steht auf der Felsbrust eines Steinbruches, aus welchem wohl schon die Kelten Steine brachen. Eine junge Christengemeinde stellte nun später ein Kirchenschiff vor diesen alten Turm in den Steinbruch hinein, angelehnt an die bergseitige Felsbrust. Talseits lief die Sohle des Steinbruches im Abhang aus, wie geschaffen für Vorplatz und Kirchenzugang. Das unterste Geschoss des Turms diente wohl einst als Sakristei; bei der Renovation der Kirche von 1958-1965 entdeckte man einen halb zugeschütteten Türdurchgang, der im Kircheninnern direkt hinter die Treppe zur Kanzel führte. 1958 wurde das alte zweistimmige Geläute durch vier Glocken ersetzt. Die alten Glocken wurden 1731 und 1851 gegossen und wogen zusammen 575 Kilogramm. Die besonders reich dekorierte grössere Glocke von 1731 steht jetzt vor dem Turmeingang. Sie wurde von Abraham Gerber in Bern gegossen und ist mit dem Namen des damaligen Landvogtes zu Aarberg, Johannes Oth, versehen, des Pfarrers Vinzenz Neuhaus, des Stiftschaffners J. H. Wurstemberger, des Meiers Hans Suter zu Ostermanigen, des Kirchmeiers Hans Heimberg zu «Lengerswyl›› und des Meiers zu «Oberrumligen», Albrecht Sali. Zudem trägt sie den Spruch:«Gott‘s Volck kom hier zusamen, / Hörr Gottes Wort, Lob‘ seinen Namen» -
Die Glocke von 1851 wurde von den Gebrüdern Rüetschi in Aarau gegossen. Sie ist ebenfalls verziert und trägt die Inschrift: «Ich Vereine die Christengemeine/ Von nahe und fern zum Lobe des Herrn.» Das neue vierteilige und elektrische Geläute ist abgestimmt auf die Töne e', g', a' und h‘ und wiegt zusammen 2800 kg. Die Glocken wurden auf die Namen Glauben, Hoffnung, Liebe und Ewigkeit getauft.
Das Kirchenschiff
Bei der Renovation (1958-1965) fand man die in die Molasse eingehauene Rundung einer romanischen Apsis, ebenso noch die untersten Steinschichten des Fundamentes. Aus Mangel an Zeit und Geld wurde bei der Renovation der alte Befund sofort wieder zugeschüttet, und es bleibt einer späteren Generation vorbehalten, mehr über diese uralte Kirche am Ort zu ergründen. Der jetzige Bau reicht aber sicher noch in romanische Zeit zurück.Aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts stammen die gotischen Fresken, die in Spuren an der ganzen Südwand nachgewiesen werden konnten; allerdings waren sie nur an zwei Stellen so erhalten, dass sie restauriert werden konnten. Die eine Stelle befindet sich in der Südostecke des Chores, wo oben der heilige Theodul mit Begleiterin erscheint, während unten das Martyrium der heiligen Apollonia dargestellt ist. Die andere Stelle zwischen den beiden Fenstern des Schiffes zeigt fünf grosse Heiligenfiguren, von denen die heilige Barbara und die heilige Agnes hervorzuheben sind. Oben und unten sind die Fresken eingerahmt von zwei Bändern, die mit schönem Pflanzengerank ausgefüllt sind. Über den Fresken sieht man eine Nische, die wohl der Standort einer Heiligenfigur oder einer Madonna gewesen ist.Auch die Decke mit den wunderschönen Flachschnitzereien stammt aus gotischer Zeit und ist während der Renovation anfangs der sechziger Jahre von der störenden Farbe befreit worden.Von einem weiteren Zeugen aus der Gotik, einem Sakramentshäuschen, fand man noch zahlreiche Bruchstücke in feinster Bearbeitung.
Die Kanzel
Der erhöhte Chor mit geradlinigem Abschluss enthält eine gutgeformte Kanzel, die um 1630 entstanden sein dürfte; es ist eine schöne Renaissancearbeit. Den Schalldeckel dazu verfertigte 1703 der Tischmacher Christoffel Hüpscher, zu lesen steht darauf: «Gott ist so gut, darum sein Lobe ewig währen tut» und «allein, dass es in dem Herrn geschähe» und den Namen des damaligen Pfarrers Peter Gassiard. Bis 1963 befand sich die Kanzel seit unbekannter Zeit an der Südwand des Chores, bis sie dann während der Renovation wieder an ihren ursprünglichen Platz an die Nordwand versetzt wurde.
Der Taufstein
In der Mitte des Chores steht ein schöner Taufstein. Verwandte Stücke sind weder aus der Spät-noch der Nachgotik bekannt. Wenn er nicht kurz vor der Reformation entstanden ist, dann wohl erst im 17. Jahrhundert. Er hat einen prismatischen, gekehlten Schaft, der zum gestutzten Pyramidenstumpf des Taufbeckens übergeht. Es fanden sich bei der Renovation Spuren einer Schwarztünche.
Die Orgel
Auf der Empore steht die schlichte Orgel, die die Gebrüder Wälti von Gümligen gebaut haben. Bei der Einweihung der Kirche nach der Renovation am 30. Mai 1965 war die neue 10-Register-Orgel spielbereit. Dieses Instrument ersetzt das aus dem Jahre 1904 stammende Goll-Werk mit 8 Registern. Das erste Musikinstrument erhielt die Kirche im Jahre 1885. Es handelte sich um ein einfaches Harmonium.
Chorfenster
Aus jüngster Zeit - April 1977 eingesetzt- stammt das farbige Fenster an der Frontseite des Chores; es ist ein Werk des Künstlers Werner Eberli von Gottlieben (Kanton Thurgau), geboren 1930. Weitere Werke von ihm sind in der Kirche Schönau in Thun zu sehen sowie in den Kirchen Tägerwilen und Gottlieben. Das Thema des Fensters in Radelfingen ist das Gleichnis vom verlorenen Sohn. Das Zentrum enthält vier Motive mit Symbolen, zu denen die einzelnen Phasen der Geschichte gehören. Der Bildablauf spielt sich wie in alten Glasfenstern, Bildteppichen und Fresken von unten nach oben ab, dem Wachstum entsprechend dem Höhepunkt entgegen, wo der Vater im Gleichnis den verlorenen Sohn wieder aufnimmt und der ältere Sohn sich nicht mitfreut über die Heimkehr des Bruders.Vorbau und Inschriften
wie auf einem alten Stich von Weibel aus dem Jahre 1824 zu sehen ist hatte die Kirche an der Westseite damals keinen Vorbau. Der Anbau mit dem direkten Zugang zur Empore wurde erst 1850 erstellt. Man entdeckte an der Kirchenwand allerdings noch die Spuren einer viel älteren Vorbaukonstruktion. Der jetzige Bau erweckt fast den Eindruck eines mehr zufällig angebauten bürgerlichen Zweckhauses.An der Südwand der Kirche sind zwei Gedenksteine angebracht. Der eine ist Pfarrer Rudolf König gewidmet, der nach 44jährigem Hirtenamte in der Gemeinde gestorben ist; er lebte vom 13. Juli 1796 bis zum 6. Januar 1868. Der zweite Epitaph ist Zeuge von grossem Leid, das 1870 über eine Familie Walther in Landerswil gekommen ist. Auf dem Stein heisst es: «Hier ruhen 3 Kinder des Joh. Walther und der Anna Maria geb. Ritz sel. von Landerswyl, Magdalena Elisabeth 5. Aug. 1866 bis 2. Febr. 1870, Rosa Maria 26. Juni 1865 bis 4. Mai 1870, Joh. Rudolf 5. April 1868 bis 1. Mai 1870.»Zur Kirche gehören die geschützten Abendmahls- und Taufgerätschaften: Eine grosse und zwei kleine Zinnkannen von 1728; zwei sehr schön verarbeitete silberne und vergoldete Kelche von 1733 und 1667 und einer von 1868; ein Brotteller von 1742; zwei zinnerne Steuerteller von 1800 und 1821 und eine Taufkanne von 1742.
Kunstdenkmal
Am 19. Februar 1908 ist die Kirche durch Beschluss des Regierungsrates in das Inventar der staatlich geschützten Kunstaltertümer aufgenommen worden. Sie ist aber nicht nur für Kunstkenner ein interessantes und schönes Gebäude, sie ist eine schmucke Kirche an einem schön gelegenen Platz und hoffentlich auch in Zukunft ein Ort der Besinnung und Geborgenheit wie schon viele Jahrhunderte zuvor.