Evangelisch Methodistische Kirche
Geschichte und Gegenwart
im Mittelalter war es kaum anders zu denken, als dass eine Kirche im Zentrum einer Ortschaft, also im Mittelpunkt der dörflichen oder städtischen Gesellschaft, zu stehen kam. Damit wurde die Bedeutung der Kirche sichtbar demonstriert. Schon im letzten Jahrhundert begann sich das Bild zu ändern. Der Einfluss der Kirche wurde aus der oft beherrschenden Stellung zur immer mehr dienenden Kirche geführt. Bei Neubauten war es nur noch in Einzelfällen möglich, die Kirchen optisch ins Zentrum einer Ortschaft zu stellen - und meist nur dann, wenn sich das Grundstück aus irgend einem Grunde nicht für die maximale Ausnützung zu wirtschaftlichen Zwecken eignete. Die Evangelisch-methodistische Kirche, eine vom Staate unabhängige Freikirche, nahm in Lyss ihre Tätigkeit im Jahre 1874 auf. Die Gläubigen versammelten sich zuerst in einem Privathaus. 1878 fand sich an der damaligen Peripherie der Gemeinde, am Grentschelbächli, der heutigen Rosengasse, ein Bauplatz zum Bau der ersten Kapelle. Aus wirtschaftlichen Gründen musste dieser Bau nebst einem Versammlungslokal auch noch eine Predigerwohnung enthalten. Die Kapelle wurde 1880 eingweiht. Von aussen mochten einzig die unverhältnismässig hohen Fenster darauf schliessen, dass sich hinter der Fassade ein Gottesdienstraum für hundertfünfzig Personen befand.
Diese erste Kapelle diente der Gemeinde dreissig Jahre. Recht baufällig, wich sie 1910 dem neuen Wohnhaus des Predigers. Im Kellergeschoss dieses neuen Pfarrhauses wurde ein geräumiger Jugendraum mit Teeküche eingebaut, der noch heute rege benützt wird. In den Wintermonaten wird hier jeweils am Freitag das öffentliche «Suppen z‘Mittag» serviert. Der Reinerlös dieser Veranstaltung wird für missionarische Aufgaben und für die Aktion «Brot für Brüder» verwendet.
Der in Lyss stationierte Pfarrer bedient von hier aus den Bezirk Lyss, zu welchem auch die Gemeinden von Aarberg, Diessbach, Büren an der Aare und Ammerzwil (teils mit eigenen Kapellen oder Gottesdiensträumen) gehören.Die vor vielen Jahrzehnten gegründeten Sonntagsschulen in umliegenden Gemeinden werden noch in Wiler und Ammerzwil von Lyss aus betreut. Die Sonntagsschulen von Worben, Diessbach und Grossaffoltern wurden an die dortigen evangelisch-reformierten Landeskirchen abgetreten.
Die heutige Kirche der evangelisch-methodistischen Gläubigen von Lyss und Umgebung wurde im Jahre 1910 eingeweiht. Sie fasst dreihundert Personen. Aus wirtschaftlichen Gründen finden wir unter dem gleichen Dach auch noch eine Prediger- und eine Sigristenwohnung.
Eigenartige Architektur
Die Verkoppelung von Kirche und Wohnraum ist für viele Freikirchen ein typisches Merkmal. Das Jahr der Einweihung des Kirchenbaues fällt in eine Kunststilepoche, welche der Kunst im allgemeinen und der Architektur im besonderen eine spezielle Note gab: Es war die Zeit des Jugendstils (zirka 1890 bis gegen Ende des Ersten Weltkrieges). Mehr oder weniger wurde auch der Kirchenbau an der Rosengasse im Zeitgeist des (abflauenden) Jugendstiles entworfen und ausgeführt, was in der Gesamtkonzeption wie auch im Detail zum Ausdruck kommt. Das Langhaus, wegen der Grundstückform von Süden nach Norden gerichtet, erhielt ein mächtiges, hohes Satteldach, welches die im Scheitel spitzwinkligen Giebelfassaden («gotisierend») einrahmt. Trotz der Vielfalt der Rundbogenöffnungen und der Asymmetrie in der südlichen Eingangsfassade, zeigt dieselbe eine bemerkenswerte Ausgewogenheit. Auffällig ist das asymmetrisch eingesetzte Treppenhausfenster, eine hochgestellte Ellipse mit entsprechender Sprosseneinteilung. Die östliche Längsfassade zeigt die jeweils architektonisch zusammengefassten zweiteiligen hohen Rundbogenfenster des Saales mit motivierten Fensterbrüstungen dazwischen. ln der westlichen Längsfassade dominiert die Ausbuchtung des Treppenhausvorbaues in Form eines Halbrundes. Dahinter verbirgt sich die Wendeltreppe. Dieser Anbau wird mit einem sechseckigen Pyramidendach abgeschlossen. Die freibleibenden Fassadenflächen wurden mit einem damals üblichen grobkörnigen Rieselputz versehen und hell getönt. Für den Gebäudesockel wurde aus Sparsamkeitsgründen statt eines stilgemässen Zyklopenmauenverkes aus Naturstein bloss ein Verputz beziehungsweise eine Nachahmung gewählt. Das hohe Satteldach wurde mit naturfarbenen Biberschwanzziegeln mit Spitzbogenschnitt als «DoppeIdach›› eingedeckt. . Den Dachsattel ziert ein originelles Dachreiterlein, ursprünglich als Glockentürmchen gebaut, das nach allen Seiten dem Bau eine sakrale Note verleiht. Die Verkleidung dieses Türmchens besteht aus Flachziegeln und aus speziell hierfür angefertigten kleinen Hohlziegeln mit Nasen für die Gräte oder Kanten des achteckigen Turmbaues mit Pyramidendach. Nach damaligem und noch heutigem Begriff stellt dieser Dachaufbau ein Meisterwerk der Dachbauerkunst dar. Der Helm des Türmchens läuft in eine Spitze mit einem zeitgemässen Knauf aus. Das keck in den Himmel ragende Türmchen regte den Poeten zu folgendem Vierzeiler an:
«Dachreiterlein, Mahnzeichen:
Du führest ohnegleichen
An d”Rosengasse heut‘
Zu der Kapell‘ die Leut‘ »
Eigenart auch im Innern
Im Innenausbau wurde dem regen Vereinsleben und der grossen Sonntagsschule durch die Unterteilbarkeit der Räume Rechnung getragen. Als Eigenheit dieser Bauepoche sind die dreiseitigen Emporen zu werten. Solche Emporen wurden im 18. Jahrhundert in England, dem Geburtsland der methodistischen Weltbewegung, oft gebaut. Sie wurden wohl von dort übernommen. Die Mittelempore kann zu einem Versammlungslokal abgetrennt werden. Auf künstlerischen Schmuck wurde nicht nur aus finanziellen Gründen, sondern bewusst, verzichtet. Die Fenster sind ohne Glasmalereien. Sie bestehen aus schwach grün getöntem Kathedralglas, Die Tragstützen für die Emporen mit den kapitälartig ausgebildeten Kopfstützen sowie die Emporebrüstungen mit den flachen und façonierten Staketen sind typische Motive des Jugendstils. Weitere charakteristische Motive und Ornamente sind beim Getäfer längs den Saalwänden, bei den Wangen der Kirchenbänke, an den Fensterbrüstungen, an der Eingangstür usw. zu finden. Über der leicht erhöhten, einfachen, aber etwas wuchtigen Kanzel im Zentrum der Frontwand weist das schmucklose Kreuz auf den für uns gekreuzigten und auferstandenen Christus als Zentrum kirchlicher Verkündigung hin. Die aufgemalten Worte «Gott ist die Liebe» unterstreichen diese zentrale Wahrheit.
Ausblick
Seit 1978 sucht eine Planungskommission nach Mitteln und Wegen, um das siebzigjährige Gebäude einer umfassenden und zweckdienlichen Innen- und Aussenrenovation unterziehen zu können. Diese soll anfangs der achtziger Jahre erfolgen.