Die Einwohnergemeinde
Aus den Abschnitten «Burgergemeinde» und «Kirchgemeinde» wissen wir, dass es im 11. und 12. Jahrhundert noch keine Gemeinden im heutigen Sinne gab. Wir wissen auch, dass aus einzelnen Siedlungshöfen Dörfer und schliesslich Gemeinden entstanden sind. Dagegen waren sogenannte Kirchspiele vielerorts bereits ausgebildet, indem die Bewohner eines bestimmten Gebietes einem Kirchensprengel (gleichbedeutend wie Kirchspiel) zugeteilt waren. Die Errichtung von Einwohnergemeinden neben oder an Stelle der bisherigen Bürgergemeinden (für das Bernbiet Burgergemeinden) geht auf die kurze Zeit der Helvetik unmittelbar nach dem Untergang des alten Berns zurück. Es war eine der Errungenschaften der Helvetischen Staatsverfassung, welche in ihren Grundformen den Sturz der Helvetik, die nachfolgende Mediationszeit, die Restauration und die Regeneration überlebte. Was wir heute unter dem Begriff Einwohnergemeinde zu verstehen haben, hat seinen Ursprung im Gesetz über die Gemeinden von 1799, welches dem Sinne nach in die Verfassungsurkunde von 1831 übernommen wurde. Auch die Staatsverfassungen von 1846 und 1893 änderten an der Grundform der Einwohnergemeinde nichts. In der heute gültigen Staatsverfassung des Kantons Bern von 1893 befasst sich der Titel IV (Art. 63 bis 71) mit dem Begriff Gemeinden. Der erste Absatz von Artikel 63 lautet: «Die gegenwärtige Einteilung des Staatsgebietes in Gemeinden und Kirchgemeinden wird beibehalten» Dieser Satz bedeutet nichts anderes als die Staatsgarantie für den Fortbestand der Gemeinde.
Vergleichen wir die Volkszählungsergebnisse vom 1. Dezember 1900 und 1970 so ergibt sich folgende Zusammensetzung der Bevölkerung:
1900
In 323 Haushaltungen 1646 Einwohner, davon 825 männliche und 821 weibliche. 1100 bezeichneten als Geburtsort Lengnau, 372 eine andere bernische Gemeinde, 165 eine ausserkantonale Gemeinde und 9 waren im Ausland geboren. Ledige gab es 1051, Verheiratete 515, Verwitwete 75 und Geschiedene 5. Beheimatet in Lengnau waren 882, in anderen bernischen Gemeinden 574, in anderen Kantonen 174 und im Ausland 16. Es gab 1597 Reformierte, 48 Katholiken und 1 Person anderer Konfession. Für 1594 war die Muttersprache Deutsch, für 49 Französisch und für 3 Italienisch.
1970
Von 4736 Einwohnern in 1600 Haushaltungen waren 2379 weiblichen Geschlechts. 2450 Personen waren verheiratet, 38 lebten getrennt, 237 waren verwitwet und 85 geschieden. Protestanten gab es 3623, Römisch-katholische 1026, Christ-katholische 14, andere 37, Konfessionslose 33 und ohne Angabe 3. Deutscher Muttersprache waren 4067, französischer 139, italienischer 428, rätoromanischer 5 und anderer Muttersprache 24. Von 2589 Berufstätigen arbeiteten in der Land- und Forstwirtschaft 71, davon Selbständigerwerbende 28. In Industrie, Handwerk und Baugewerbe total 2061, davon 78 Selbständige. Im Dienstleistungssektor sind 457 Personen beschäftigt, davon 47 selbständig. Die Frauen sind am Total mit 1019 beteiligt. Kinder im Alter bis zu 6 Jahren gab es 584, von 7 bis 14 Jahren deren 592; die nächste Altersgruppe, 15 bis 64 Jahre zählte 3119 Personen und über 65 Jahre gab es 441 Personen, wovon die fünf ältesten zwischen 90 und 94 Jahren. Der Anteil der Ausländer an der Gesamteinwohnerzahl betrug 616 Personen.
Dass die um die Jahrhundertwende einsetzende Industrialisierung massgeblich am Tempo der Wandlung unseres Dorfes beteiligt war, ist klar, obschon die Krisenzeiten, hauptsächlich diejenigen der zwanziger und dreissiger Jahre, starke Rückschläge brachten. Waren zum Beispiel 1939 noch 54 landwirtschaftliche Betriebe, welche hauptberuflich geführt wurden, so waren es 1955 noch deren 33 und 1967 noch 21. Noch ausgeprägter ist der Wandel bei den als Nebenerwerb geführten Betrieben: 1939 zählte man deren 80, 1955 noch 24 und 1967 keine mehr. Demgegenüber gab es 1929 bereits 12 Fabrikbetriebe und 1967 waren 33 Betriebe dem Fabrikgesetz unterstellt.
Dass diese Wandlung und das damit verbundene Wachstum den Dorfcharakter etwas umgekrempelt hat, ist verständlich, aber das Dorf ist noch Dorf. Alle Dorfbewohner sind Bürger der Einwohnergemeinde, einige dazu noch Burger, also Glieder der Burgergemeinde. Gut drei Viertel der Einwohner gehören zudem der Reformierten Kirchgemeinde an und etwas weniger als ein Viertel sind Katholiken oder Andersgläubige.
Also lautet der Schluss wie der Titel: Drei Gemeinden = ein Dorf.