Drei Gemeinden – ein Dorf

Obschon bereits die Helvetier und vor allem die Alemannen in der Gemeinschaft ihre Felder bebauten (Allmeinde, Dreifeldersystem), so finden wir den Ursprung der Gemeinde in unserem Sinne doch erst mit dem Zerfall der Feudalherrschaft. Aus den Untertanen und Eigenen der Vasallen der einstigen Kaiser, Könige und Herzoge, der Grafen und Ritter des späteren Mittelalters, welche als Lehensleute ihren Grundherren dienten, waren selbständige Bauern geworden, welche nun mit den anderen Dorfbewohnern eine Gemeinschaft bildeten. An erster Stelle standen die Dorfgenossen oder Bauern, welche in den Besitz der ehemaligen Lehensgüter gelangt waren. Sie waren auch die Wortführer im Ort. An zweiter Stelle waren die Tauner und Handwerker, welche im Dorf eine bescheidene Hütte und ein Stücklein Land ihr eigen nannten. Die Tanner arbeiteten als Tagelöhner bei den Bauern und bewirtschafteten daneben ihr «Heimetli». Als dritte Kategorie gab es die Hintersässen oder Zugezogenen. Diese waren meist übler dran als die Tanner und arbeiteten in den grossen Werken samt Weib und Kind bei den Bauern. Die Hintersässen fühlten sich nicht als zur «Gemeinde» gehörend, und sie hatten in Gemeindeaugelegenheiten auch nichts zu bestellen. Offenbar gab es schon zu jener Zeit «Gastarbeiter», welche jedoch das Recht besassen, sich einzukaufen, wenn sie alle Bedingungen erfüllten.

Die Burgergemeinde

Bald nach der Reformation begannen sich die Gemeinden in mancher Hinsicht zu verändern. Gemeinde und Kirche wurden von der Obrigkeit zur Mitarbeit herangezogen. So verlangte die Eidgenössische Bettelordnung vom 23.11. 1551, dass jede Gemeinde für ihre Armen selbst aufkomme. Fremde Bettler waren aus dem Gemeindegebiet wegzuweisen. Diese Verordnung führte dazu, dass manch armer Teufel von einer Gemeinde in die andere abgeschoben wurde, denn jede Gemeinde achtete streng darauf, dass ja kein Fremder innerhalb ihrer Grenzen dem Bettel oblag oder gar durch Diebereien sich das Notwendigste verschaffte. Mit einem Mandat vom 31. 5. 1571 bekräftigte die Berner Obrigkeit die Eidgenössische Bettelordnung und in einer weiteren Verordnung vom 28. 12. 1614 forderte sie die reicheren Gemeinden auf, den ärmeren Gemeinden bei der Lösung des Armenproblems zu helfen, also gab es schon damals den freiwilligen Lastenausgleich. Doch all das reichte nicht aus, um den misslichen Verhältnissen Herr zu werden. In Lengnau versuchte man, mit der Aufstellung einer <<Dorf- und Allmendordnung» der Situation Herr zu werden, welche 17 Jahre später eine Ergänzung im Sinne einer gewissen Lockerung erfuhr. Beides, Dorfbrief und Abänderung, wurde von der Obrigkeit sanktioniert, ersterer am 15. Mai 1646, letztere am 10. Dezember 1663. In diesen beiden Aktenstücken ist noch nirgends die Rede von Bürgern oder Burgern, sondern von Dorfbewohnern welche sich der Obrigkeit gegenüber als Untertanen bezeichnen. Es ist vom Ammann und von <<Ussgeschossenen>› (Ausgeschossenen, Abgeordneten) die Rede, aber auch von der «Gmeind» als Gemeindeversammlung und «Gmeindt» als Körperschaft. Die Bezeichnung Burger oder Bürger blieb noch den Städtern vorbehalten. Erst ab 1676 gab es dann die Einbürgerung mit einem Heimatschein als Ausweis. Ab 1679 entstanden dann die Burgergemeinden auf dem Lande. 1799 wurden ein Gesetz über das Bürgerrecht und ein Gesetz über die Gemeinden in Kraft gesetzt. Obschon die Bettelordnung von 1690 als Grundlage für die Bildung der Burgergemeinden angesehen werden muss, so dauerte es doch recht lange, bis sich das herausgeschält hatte, was wir heute unter der Bezeichnung Burgergemeinde im bernischen Sinne verstehen. Erst die Staatsverfassung von 1831 strebte eine klare Trennung der Befugnisse

der Burgergemeinde und der nun gesetzlich verankerten Einwohnergemeinde an. Letzterer wurden alle Belange allgemeiner Art zugewiesen. In Artikel 94 wurde vorgeschrieben, dass die Gemeindeversammlung diejenigen Gemeimdevorgesetzten zu wählen hatte, welche zur Besorgung der Gemeindeangelegenheiten im Allgemeinen, der Vormundschaft, der Armenpflege, der Ortspolizei, der Sittenpolizei, des Gesundheitswesens und des Schulwesens notwendig waren. Die Burgergemeinde jedoch sollte sich nur noch mit der Verwaltung des Burgergutes und mit den die Burger betreffenden Angelegenheiten befassen. In der Durchführung dieser Gesetzesbestimmungen zeigten sich aber bald gewisse Schwierigkeiten. Wem gehörten zum Beispiel die Strassen und wer hatte für den Bau und Unterhalt derselben aufzukommen? Das nur ein Beispiel. Auch die Verfassung von 1846 vermochte in solchen Dingen keine Änderung herbeizuführen. Sinn und Inhalt des alten Artikels 94 kehren neu in den Artikeln 67 und 69 wieder. Ein von Eduard Blösch (1807 bis 1866), Fürsprecher, 1850 bis 1854 Regierungspräsident, ausgearbeitetes Gemeindegesetz (Gesetz über das Gemeindewesen) schlug vor, entweder «Gemischte Gemeinden mit gemeinsamer Verwaltung» zu schaffen, also Einwohnergemeinde und Burgergemeinde unter eine Verwaltung zu stellen, oder die Vermögensausscheidung herbeizuführen. Am 10. Oktober 1853 trat dann das Gesetz über das Ausscheidungsverfahren in Kraft. Dazu wurden am 4. April 1859 noch besondere Instruktionen über das Vorgehen herausgegeben, weil es vielerorts nicht möglich war, ohne Mitwirkung des Staates gerechte und vernünftige Ausscheidungen durchzuführen. Grundsätzlich kann gesagt werden, dass die Verordnungen von 1676 und 1679 als die Aktenstücke zu betrachten sind, durch welche für die bernischen Landgemeinden das Heimat- und Bürgerrecht eingeführt wurde.

Für die Gemeinde Lengnau trat der Ausscheidungsvertrag zwischen der Burgergemeinde und der Einwohnergemeinde am 7. Januar 1860 in Kraft. Wie sieht nun die Organisation der Burgergemeinde aus und welche Aufgaben fallen ihr zu? Die Burgergemeinde Lengnau ist eine öffentlich-rechtliche Körperschaft, welche alle das Burgerrecht von Lengnau besitzenden und zugleich in Lengnau wohnenden Personen umfasst. Im Jahr 1972 waren dies zirka 1100 Personen, wovon 341 Männer und 367 Frauen stimmberechtigt. Seit 1972 besitzen auch die Burgerfrauen das aktive Stimm- und Wahlrecht.

Die hauptsächlichsten Aufgaben der Burgergemeinde sind:

Führen des Burgerrodels, Ausstellen von Heimatscheinen und anderen Auszügen aus dem Burgerrodel.
Die Leistung von Burgergutsbeiträgen nach Armen- und Niederlassungsgesetz.
Die Verwaltung des Vermögens (Land, Wald, Liegenschaften usw.)
Die Aufnahme neuer Burger.
Die Besorgung von Aufgaben, welche die Burgergemeinde zum öffentlichen Wohl durch Reglemente oder Beschlüsse übernimmt.

Die Behörde der Burgergemeinde

Oberstes Organ ist die Burgergemeinde-Versammlung. Sie wird gebildet aus allen stimmberechtigten Burgern, welche in Lengnau Wohnsitz haben und sich zu dieser einfinden. Vollziehendes und verwaltendes Organ der Burgergemeinde ist der Burgerrat. Er zählt sieben Mitglieder. Die Wahl der Burgerräte erfolgt alle vier Jahre durch die Burgergemeinde-Versammlung. Nach Ablauf von drei Amtsperioden ist ein Ratsmitglied nicht wieder wählbar. Der Burgerrat tritt ordentlicherweise alle

14 Tage zur Erledigung der anfallenden Geschäfte zusammen. Burgerschreiber und Burgerkassier sind nebenamtlich angestellt, der Förster hauptamtlich.

Der Grundbesitz der Burgergemeirıde setzt sich zusammen aus 297,29 Hektaren Wald und 181,71 Hektaren Land. Davon entfallen 34,43 Hektaren Wald und 68,29 Hektaren Land (Weide) auf die Teufmatt.

Das Teufmattberggut ist der Stolz der Lengnauer Burger. Dasselbe ging durch Kaufvertrag vom 18. April 1820 von Baron Ludwig von Besenwal und der Familie von Roll in Solothurn in den Besitz der Burgergemeinde Lengnau über. Der endgültige Besitz der Burgerwaldungen wurde im Ausscheidungs-Vertrag zwischen Einwohner- und Burgergemeinde festgelegt. Das Forsthaus konnte im Herbst 1973 seiner Bestimmung übergeben werden.

Die Burgergeschlechter von Lengnau:

Abrecht, Egger, Gilomen, Gribi, Renfer, Rüfli, Schaad, Schädeli, Schlup, Schneider, Schott, Spahr, Steffen, Udry, Wolf und Ziegler.

Interessant ist, zu erwähnen, dass in einem Schriftstück aus dem Jahre 1357, welches sich mit der Zehntenpflicht auf Grundstücken befasst, unter etwa 30 Namen einzig der Name Rüfli oder Rüfly als späteres Burgergeschlecht vorkommt.